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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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IV. Abschnitt. Das Sehen.
es ändert auch nicht einmal das enge Loch, durch welches
man siehet (e), unser Urtheil von der Grösse.

§. 30.
Das Urtheil von dem Orte der Dinge.

Es befindet sich der Ort eines erblikkten Objects, wel-
ches wir mit einem einzigen Auge anschauen, in derjenigen
Linie, die zwischen denen zwo geraden Linien ist, welche
man von dem empfindendem Theile der Nezzhaut an, bis
zu den Gränzen dieses Objects zieht (f).

Wenn wir mit zweien Augen sehen, und vielleicht ge-
schicht dieses niemals, als dann ist der Ort am Ende der
Sehachsen, oder in dem Punkte, wo sich beide Linien
durchschneiden, die man von dem empfundenen Punkte
der Nezzhaut auf das Object zieht. Folglich wird uns
ein Object doppelt vorkommen, wenn sich diese Punkte
einander nirgends durchschneiden.

Es ist der Versuch leicht zu machen. Jch fange blos
mit dem linken Auge zu sehen an, ich bemerke den Punkt,
in welchem das Object erblikkt wird. Wenn ich nun das
linke Auge schliesse, und blos das rechte gebrauche, so
hüpft das Bild, und es wendet sich linker Hand hin. Es
muß aber der Körper nicht gar zu groß sein.

Man glaubt, daß die Seele auch hier durch die Er-
fahrung, den Effect des Auges verbessere (g). Wenn
daher ein Object unbeweglich ist, sich aber die Nezzhaut
bewegt (h), so werden sich die Objecte zu bewegen, und
rükkwärts zu laufen scheinen, wenn wir geschwinde vor
demselben vorbei fahren, wie man an den Flüssen siehet
(i), deren Ufer zurükk fliehen, und wenn wir uns selbst
in die Runde umdrehen, so scheinen die Objecte nach ei-

ner
(e) [Spaltenumbruch] SCHEINER p. 141.
(f) PORTERFIELD II. p. 293.
(g) MUSSCHENBROECK 33.
fin. MARTIN p.
149.
(h) [Spaltenumbruch] Senac. ess. de physiq. pag.
585. 704.
(i) STURM vision. sens. p. 42.
T t t 5

IV. Abſchnitt. Das Sehen.
es aͤndert auch nicht einmal das enge Loch, durch welches
man ſiehet (e), unſer Urtheil von der Groͤſſe.

§. 30.
Das Urtheil von dem Orte der Dinge.

Es befindet ſich der Ort eines erblikkten Objects, wel-
ches wir mit einem einzigen Auge anſchauen, in derjenigen
Linie, die zwiſchen denen zwo geraden Linien iſt, welche
man von dem empfindendem Theile der Nezzhaut an, bis
zu den Graͤnzen dieſes Objects zieht (f).

Wenn wir mit zweien Augen ſehen, und vielleicht ge-
ſchicht dieſes niemals, als dann iſt der Ort am Ende der
Sehachſen, oder in dem Punkte, wo ſich beide Linien
durchſchneiden, die man von dem empfundenen Punkte
der Nezzhaut auf das Object zieht. Folglich wird uns
ein Object doppelt vorkommen, wenn ſich dieſe Punkte
einander nirgends durchſchneiden.

Es iſt der Verſuch leicht zu machen. Jch fange blos
mit dem linken Auge zu ſehen an, ich bemerke den Punkt,
in welchem das Object erblikkt wird. Wenn ich nun das
linke Auge ſchlieſſe, und blos das rechte gebrauche, ſo
huͤpft das Bild, und es wendet ſich linker Hand hin. Es
muß aber der Koͤrper nicht gar zu groß ſein.

Man glaubt, daß die Seele auch hier durch die Er-
fahrung, den Effect des Auges verbeſſere (g). Wenn
daher ein Object unbeweglich iſt, ſich aber die Nezzhaut
bewegt (h), ſo werden ſich die Objecte zu bewegen, und
ruͤkkwaͤrts zu laufen ſcheinen, wenn wir geſchwinde vor
demſelben vorbei fahren, wie man an den Fluͤſſen ſiehet
(i), deren Ufer zuruͤkk fliehen, und wenn wir uns ſelbſt
in die Runde umdrehen, ſo ſcheinen die Objecte nach ei-

ner
(e) [Spaltenumbruch] SCHEINER p. 141.
(f) PORTERFIELD II. p. 293.
(g) MUSSCHENBROECK 33.
fin. MARTIN p.
149.
(h) [Spaltenumbruch] Senac. eſſ. de phyſiq. pag.
585. 704.
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[1033/1051] IV. Abſchnitt. Das Sehen. es aͤndert auch nicht einmal das enge Loch, durch welches man ſiehet (e), unſer Urtheil von der Groͤſſe. §. 30. Das Urtheil von dem Orte der Dinge. Es befindet ſich der Ort eines erblikkten Objects, wel- ches wir mit einem einzigen Auge anſchauen, in derjenigen Linie, die zwiſchen denen zwo geraden Linien iſt, welche man von dem empfindendem Theile der Nezzhaut an, bis zu den Graͤnzen dieſes Objects zieht (f). Wenn wir mit zweien Augen ſehen, und vielleicht ge- ſchicht dieſes niemals, als dann iſt der Ort am Ende der Sehachſen, oder in dem Punkte, wo ſich beide Linien durchſchneiden, die man von dem empfundenen Punkte der Nezzhaut auf das Object zieht. Folglich wird uns ein Object doppelt vorkommen, wenn ſich dieſe Punkte einander nirgends durchſchneiden. Es iſt der Verſuch leicht zu machen. Jch fange blos mit dem linken Auge zu ſehen an, ich bemerke den Punkt, in welchem das Object erblikkt wird. Wenn ich nun das linke Auge ſchlieſſe, und blos das rechte gebrauche, ſo huͤpft das Bild, und es wendet ſich linker Hand hin. Es muß aber der Koͤrper nicht gar zu groß ſein. Man glaubt, daß die Seele auch hier durch die Er- fahrung, den Effect des Auges verbeſſere (g). Wenn daher ein Object unbeweglich iſt, ſich aber die Nezzhaut bewegt (h), ſo werden ſich die Objecte zu bewegen, und ruͤkkwaͤrts zu laufen ſcheinen, wenn wir geſchwinde vor demſelben vorbei fahren, wie man an den Fluͤſſen ſiehet (i), deren Ufer zuruͤkk fliehen, und wenn wir uns ſelbſt in die Runde umdrehen, ſo ſcheinen die Objecte nach ei- ner (e) SCHEINER p. 141. (f) PORTERFIELD II. p. 293. (g) MUSSCHENBROECK 33. fin. MARTIN p. 149. (h) Senac. eſſ. de phyſiq. pag. 585. 704. (i) STURM viſion. ſenſ. p. 42. T t t 5

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1033. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1051>, abgerufen am 16.04.2024.