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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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II. Abschnitt. Der Wille.

Daß sich aber an den kleinsten Gefässen etwas zeige,
welches wenigstens in der Thätigkeit, mit den Nerven-
strikken eine Aehnlichkeit hat, erhellet aus der Hemmung
des Blutaderblutes, die eben solche Folge als die Unter-
bindung hat, ferner aus den Hügelchen der Haut, die
sowol vom Schrekken, als von der Kälte herrühren können.

Wir nehmen wahr, daß die Nervenkraft, welche Mus-
keln beherrscht, im Magen und dem Gedärme, stärker
oder schwächer gemacht werden kann; darum rühren aber
die Affekten (a) nicht vom Magen her.

§. 8.
Die Sprache der Leidenschaften.

Gott, der Stifter aller Gesellschaften, hat gewollt,
daß sich die Affekten in der Stimme selbst, durch die Ge-
berden, und vornämlich am Angesichte kenntlich machen
sollen, und daß also ein Mensch dem andern, seine Liebe,
und Zorn, und die übrige Leidenschaften in einer untrüg-
lichen Sprache, die alle verstehen, entdekken soll. Doch
es verstehen auch unvernünftige Thiere dergleichen Spra-
che, um damit ihre Liebe, gesellige Freundschaft, mütter-
liche Zärtlichkeit, Zorn, Schmerz, Furcht, welches die
vornehmsten Affekten sind auszudrükken. Diese Sprache
(b) ist allen vierfüßigen Thieren und Vögeln gemein, sie
verstehen sich einander, und den Menschen, so wie sie
von diesem wieder verstanden werden. Der Hund lieset
nämlich dem Menschen aus seinem Gesichte, wenn dersel-
be zornig ist, er schliest es aus seinen Worten; und der
Mensch erkennt den Grimm eines Stieres aus dessen
Brüllen, so wie sich alle vierfüßige Thiere vor dem Brül-
len des Löwen fürchten.

Jch werde mich, was die Töne anbelangt, kurz fas-
sen, da es doch gewis ist, daß jeder Affekt seine gewisse

Töne
(a) [Spaltenumbruch] WOODWARD eafes p. 31.
33. 34. 35. 242. 288.
(b) [Spaltenumbruch] Conf. CORDEMOI de lo-
quel. p. 16. NICOLAI &c.
II. Abſchnitt. Der Wille.

Daß ſich aber an den kleinſten Gefaͤſſen etwas zeige,
welches wenigſtens in der Thaͤtigkeit, mit den Nerven-
ſtrikken eine Aehnlichkeit hat, erhellet aus der Hemmung
des Blutaderblutes, die eben ſolche Folge als die Unter-
bindung hat, ferner aus den Huͤgelchen der Haut, die
ſowol vom Schrekken, als von der Kaͤlte herruͤhren koͤnnen.

Wir nehmen wahr, daß die Nervenkraft, welche Muſ-
keln beherrſcht, im Magen und dem Gedaͤrme, ſtaͤrker
oder ſchwaͤcher gemacht werden kann; darum ruͤhren aber
die Affekten (a) nicht vom Magen her.

§. 8.
Die Sprache der Leidenſchaften.

Gott, der Stifter aller Geſellſchaften, hat gewollt,
daß ſich die Affekten in der Stimme ſelbſt, durch die Ge-
berden, und vornaͤmlich am Angeſichte kenntlich machen
ſollen, und daß alſo ein Menſch dem andern, ſeine Liebe,
und Zorn, und die uͤbrige Leidenſchaften in einer untruͤg-
lichen Sprache, die alle verſtehen, entdekken ſoll. Doch
es verſtehen auch unvernuͤnftige Thiere dergleichen Spra-
che, um damit ihre Liebe, geſellige Freundſchaft, muͤtter-
liche Zaͤrtlichkeit, Zorn, Schmerz, Furcht, welches die
vornehmſten Affekten ſind auszudruͤkken. Dieſe Sprache
(b) iſt allen vierfuͤßigen Thieren und Voͤgeln gemein, ſie
verſtehen ſich einander, und den Menſchen, ſo wie ſie
von dieſem wieder verſtanden werden. Der Hund lieſet
naͤmlich dem Menſchen aus ſeinem Geſichte, wenn derſel-
be zornig iſt, er ſchlieſt es aus ſeinen Worten; und der
Menſch erkennt den Grimm eines Stieres aus deſſen
Bruͤllen, ſo wie ſich alle vierfuͤßige Thiere vor dem Bruͤl-
len des Loͤwen fuͤrchten.

Jch werde mich, was die Toͤne anbelangt, kurz faſ-
ſen, da es doch gewis iſt, daß jeder Affekt ſeine gewiſſe

Toͤne
(a) [Spaltenumbruch] WOODWARD eafes p. 31.
33. 34. 35. 242. 288.
(b) [Spaltenumbruch] Conf. CORDEMOI de lo-
quel. p. 16. NICOLAI &c.
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[1133/1151] II. Abſchnitt. Der Wille. Daß ſich aber an den kleinſten Gefaͤſſen etwas zeige, welches wenigſtens in der Thaͤtigkeit, mit den Nerven- ſtrikken eine Aehnlichkeit hat, erhellet aus der Hemmung des Blutaderblutes, die eben ſolche Folge als die Unter- bindung hat, ferner aus den Huͤgelchen der Haut, die ſowol vom Schrekken, als von der Kaͤlte herruͤhren koͤnnen. Wir nehmen wahr, daß die Nervenkraft, welche Muſ- keln beherrſcht, im Magen und dem Gedaͤrme, ſtaͤrker oder ſchwaͤcher gemacht werden kann; darum ruͤhren aber die Affekten (a) nicht vom Magen her. §. 8. Die Sprache der Leidenſchaften. Gott, der Stifter aller Geſellſchaften, hat gewollt, daß ſich die Affekten in der Stimme ſelbſt, durch die Ge- berden, und vornaͤmlich am Angeſichte kenntlich machen ſollen, und daß alſo ein Menſch dem andern, ſeine Liebe, und Zorn, und die uͤbrige Leidenſchaften in einer untruͤg- lichen Sprache, die alle verſtehen, entdekken ſoll. Doch es verſtehen auch unvernuͤnftige Thiere dergleichen Spra- che, um damit ihre Liebe, geſellige Freundſchaft, muͤtter- liche Zaͤrtlichkeit, Zorn, Schmerz, Furcht, welches die vornehmſten Affekten ſind auszudruͤkken. Dieſe Sprache (b) iſt allen vierfuͤßigen Thieren und Voͤgeln gemein, ſie verſtehen ſich einander, und den Menſchen, ſo wie ſie von dieſem wieder verſtanden werden. Der Hund lieſet naͤmlich dem Menſchen aus ſeinem Geſichte, wenn derſel- be zornig iſt, er ſchlieſt es aus ſeinen Worten; und der Menſch erkennt den Grimm eines Stieres aus deſſen Bruͤllen, ſo wie ſich alle vierfuͤßige Thiere vor dem Bruͤl- len des Loͤwen fuͤrchten. Jch werde mich, was die Toͤne anbelangt, kurz faſ- ſen, da es doch gewis iſt, daß jeder Affekt ſeine gewiſſe Toͤne (a) WOODWARD eafes p. 31. 33. 34. 35. 242. 288. (b) Conf. CORDEMOI de lo- quel. p. 16. NICOLAI &c.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1151>, abgerufen am 29.03.2024.