Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

Leben u. Tod der Menschen. XXX. B.
nen Appetit übrig behielte; und so müste man, in der
Liebe, im Stud[i]ren, und so auch in den Leibesbewegun-
gen nicht einmal die Mittelmäßigkeit zu erreichen suchen.

Aber ich tröfte auch meine Patienten wieder, ich er-
laube ihnen lange zu schlafen, und demselben lieber etwas
einzuräumen, als mit Gewalt abzubrechen.

Belustigen müste man sich mit Spazzierengehen, mit
der Betrachtung der Natur, mit Bücherlesen, ohne je-
doch eine Begierde dabei zu haben, gelehrt werden, oder
sich berühmt machen zu wollen. Man müste sich zu al-
len Dingen leicht bequemen, und besonders in denjeni-
gen Stükken glükklich seyn, welche sich uns freywillig
darbieten, und uns nicht von geringen Ursachen geraubt
werden können.

§. 21.
Das lange Leben der Altväter vor der Sünd-
fluth.

Vor der Sündfluth lief das Leben der Menschen
langsamer ab, und es hatte ihnen die Natur eine län-
gere Laufbahn ausgestekkt. So gleich nach dieser denk-
würdigen Epoche, deren Spuren in der ganzen Welt
ausgebreiter sind, fing bereits das Leben der Menschen
an, wieder abzunehmen, und es lebte nach wenigen
Jahrhunderten, da noch Sem, der vor der Sündfluth
geboren, vorhanden war, Abraham welcher blos um
sechs Jahre das Alter des Jenkins überlebte. Folglich
kann diese so ansehnliche Abnahme in dem Leben der Men-
schen eine andere Ursache, als die Sündfluth, gehabt
haben.

Jn der That stand dadurch die Erde eine grosse Ver-
änderung aus. Es stellte sich der Regen ein, welcher
wenigstens für ein Land was Neues war, in welchem die
ersten Menschen gewohnet hatten, indem jezt der Regen-

bogen

Leben u. Tod der Menſchen. XXX. B.
nen Appetit uͤbrig behielte; und ſo muͤſte man, in der
Liebe, im Stud[i]ren, und ſo auch in den Leibesbewegun-
gen nicht einmal die Mittelmaͤßigkeit zu erreichen ſuchen.

Aber ich troͤfte auch meine Patienten wieder, ich er-
laube ihnen lange zu ſchlafen, und demſelben lieber etwas
einzuraͤumen, als mit Gewalt abzubrechen.

Beluſtigen muͤſte man ſich mit Spazzierengehen, mit
der Betrachtung der Natur, mit Buͤcherleſen, ohne je-
doch eine Begierde dabei zu haben, gelehrt werden, oder
ſich beruͤhmt machen zu wollen. Man muͤſte ſich zu al-
len Dingen leicht bequemen, und beſonders in denjeni-
gen Stuͤkken gluͤkklich ſeyn, welche ſich uns freywillig
darbieten, und uns nicht von geringen Urſachen geraubt
werden koͤnnen.

§. 21.
Das lange Leben der Altvaͤter vor der Suͤnd-
fluth.

Vor der Suͤndfluth lief das Leben der Menſchen
langſamer ab, und es hatte ihnen die Natur eine laͤn-
gere Laufbahn ausgeſtekkt. So gleich nach dieſer denk-
wuͤrdigen Epoche, deren Spuren in der ganzen Welt
ausgebreiter ſind, fing bereits das Leben der Menſchen
an, wieder abzunehmen, und es lebte nach wenigen
Jahrhunderten, da noch Sem, der vor der Suͤndfluth
geboren, vorhanden war, Abraham welcher blos um
ſechs Jahre das Alter des Jenkins uͤberlebte. Folglich
kann dieſe ſo anſehnliche Abnahme in dem Leben der Men-
ſchen eine andere Urſache, als die Suͤndfluth, gehabt
haben.

Jn der That ſtand dadurch die Erde eine groſſe Ver-
aͤnderung aus. Es ſtellte ſich der Regen ein, welcher
wenigſtens fuͤr ein Land was Neues war, in welchem die
erſten Menſchen gewohnet hatten, indem jezt der Regen-

bogen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f1030" n="976[978]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Leben u. Tod der Men&#x017F;chen. <hi rendition="#aq">XXX.</hi> B.</hi></fw><lb/>
nen Appetit u&#x0364;brig behielte; und &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;te man, in der<lb/>
Liebe, im Stud<supplied>i</supplied>ren, und &#x017F;o auch in den Leibesbewegun-<lb/>
gen nicht einmal die Mittelma&#x0364;ßigkeit zu erreichen &#x017F;uchen.</p><lb/>
              <p>Aber ich tro&#x0364;fte auch meine Patienten wieder, ich er-<lb/>
laube ihnen lange zu &#x017F;chlafen, und dem&#x017F;elben lieber etwas<lb/>
einzura&#x0364;umen, als mit Gewalt abzubrechen.</p><lb/>
              <p>Belu&#x017F;tigen mu&#x0364;&#x017F;te man &#x017F;ich mit Spazzierengehen, mit<lb/>
der Betrachtung der Natur, mit Bu&#x0364;cherle&#x017F;en, ohne je-<lb/>
doch eine Begierde dabei zu haben, gelehrt werden, oder<lb/>
&#x017F;ich beru&#x0364;hmt machen zu wollen. Man mu&#x0364;&#x017F;te &#x017F;ich zu al-<lb/>
len Dingen leicht bequemen, und be&#x017F;onders in denjeni-<lb/>
gen Stu&#x0364;kken glu&#x0364;kklich &#x017F;eyn, welche &#x017F;ich uns freywillig<lb/>
darbieten, und uns nicht von geringen Ur&#x017F;achen geraubt<lb/>
werden ko&#x0364;nnen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 21.<lb/><hi rendition="#b">Das lange Leben der Altva&#x0364;ter vor der Su&#x0364;nd-<lb/>
fluth.</hi></head><lb/>
              <p>Vor der Su&#x0364;ndfluth lief das Leben der Men&#x017F;chen<lb/>
lang&#x017F;amer ab, und es hatte ihnen die Natur eine la&#x0364;n-<lb/>
gere Laufbahn ausge&#x017F;tekkt. So gleich nach die&#x017F;er denk-<lb/>
wu&#x0364;rdigen Epoche, deren Spuren in der ganzen Welt<lb/>
ausgebreiter &#x017F;ind, fing bereits das Leben der Men&#x017F;chen<lb/>
an, wieder abzunehmen, und es lebte nach wenigen<lb/>
Jahrhunderten, da noch <hi rendition="#fr">Sem,</hi> der vor der Su&#x0364;ndfluth<lb/>
geboren, vorhanden war, <hi rendition="#fr">Abraham</hi> welcher blos um<lb/>
&#x017F;echs Jahre das Alter des <hi rendition="#fr">Jenkins</hi> u&#x0364;berlebte. Folglich<lb/>
kann die&#x017F;e &#x017F;o an&#x017F;ehnliche Abnahme in dem Leben der Men-<lb/>
&#x017F;chen eine andere Ur&#x017F;ache, als die Su&#x0364;ndfluth, gehabt<lb/>
haben.</p><lb/>
              <p>Jn der That &#x017F;tand dadurch die Erde eine gro&#x017F;&#x017F;e Ver-<lb/>
a&#x0364;nderung aus. Es &#x017F;tellte &#x017F;ich der Regen ein, welcher<lb/>
wenig&#x017F;tens fu&#x0364;r ein Land was Neues war, in welchem die<lb/>
er&#x017F;ten Men&#x017F;chen gewohnet hatten, indem jezt der Regen-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">bogen</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[976[978]/1030] Leben u. Tod der Menſchen. XXX. B. nen Appetit uͤbrig behielte; und ſo muͤſte man, in der Liebe, im Studiren, und ſo auch in den Leibesbewegun- gen nicht einmal die Mittelmaͤßigkeit zu erreichen ſuchen. Aber ich troͤfte auch meine Patienten wieder, ich er- laube ihnen lange zu ſchlafen, und demſelben lieber etwas einzuraͤumen, als mit Gewalt abzubrechen. Beluſtigen muͤſte man ſich mit Spazzierengehen, mit der Betrachtung der Natur, mit Buͤcherleſen, ohne je- doch eine Begierde dabei zu haben, gelehrt werden, oder ſich beruͤhmt machen zu wollen. Man muͤſte ſich zu al- len Dingen leicht bequemen, und beſonders in denjeni- gen Stuͤkken gluͤkklich ſeyn, welche ſich uns freywillig darbieten, und uns nicht von geringen Urſachen geraubt werden koͤnnen. §. 21. Das lange Leben der Altvaͤter vor der Suͤnd- fluth. Vor der Suͤndfluth lief das Leben der Menſchen langſamer ab, und es hatte ihnen die Natur eine laͤn- gere Laufbahn ausgeſtekkt. So gleich nach dieſer denk- wuͤrdigen Epoche, deren Spuren in der ganzen Welt ausgebreiter ſind, fing bereits das Leben der Menſchen an, wieder abzunehmen, und es lebte nach wenigen Jahrhunderten, da noch Sem, der vor der Suͤndfluth geboren, vorhanden war, Abraham welcher blos um ſechs Jahre das Alter des Jenkins uͤberlebte. Folglich kann dieſe ſo anſehnliche Abnahme in dem Leben der Men- ſchen eine andere Urſache, als die Suͤndfluth, gehabt haben. Jn der That ſtand dadurch die Erde eine groſſe Ver- aͤnderung aus. Es ſtellte ſich der Regen ein, welcher wenigſtens fuͤr ein Land was Neues war, in welchem die erſten Menſchen gewohnet hatten, indem jezt der Regen- bogen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/1030
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776, S. 976[978]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/1030>, abgerufen am 19.04.2024.