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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776.

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III. Abs. Der Zustand des Menschen.
tung (q), und auf einmal nicht viel Junge. Auch unter
den Menschen starb ein Zwerg in einem Alter von dreißig
Jahren als ein abgelebter Greis (r).

Endlich scheinet ein warmer Himmelsstrich der lan-
gen Lebensdauer günstig zu seyn. So lebt das Renn-
thier, welches doch grösser als die Gemse ist, nicht so
lange als diese, und es erhalten sich in der Türkey die
Pferde viel länger als bei uns.

§. 14.
2) Die lange Lebensdauer der Menschen.

Der Mensch befindet sich unter denen Thieren mit,
die das höchste Alter erreichen (a), und wie ungerecht
sind also seine Klagen über ein kurzes Leben.

Man siehet nemlich an dem Menschen lauter solche
Anzeigen, welche auf eine langsame Periode seines Lebens
zielen. Die Natur verweilt mit ihm lange in der Mut-
ter, und beinahe so lange als das dreimal grössere Pferd.
Nach meiner Vermuthung bekömmt der Mensch unter
allen Thieren die Zähne am spätesten. Der Mensch
wächst seine zwanzig Jahre in eins fort, welches gewiß
eine sehr lange Zeit ist, unter Thieren die nicht viel grös-
ser sind, als er. Seine Knochenansäzze bleiben sehr
lange knorplich, wie am Elephanten. Er wird spät mann-
bar, und ich kenne kein einziges Thier, welches sich erst
im vierzehnten Jahre begatten sollte.

Die Hauptsache kömmt indessen bei dem Menschen
darauf an, daß sein Fadengewebe ungemein weich, und
daß sein ganzer Bau viel zärter ist, als bey irgend einem
der vierfüßigen Thiere. So ist die Nervenhaut an dem
Gedärme der Hunde härter, als bei dem Menschen, und

es
(q) [Spaltenumbruch] MONRO fem. test. p. 67.
(r) Gazelle liter. ann. 1764. P.
p.
60.
(a) [Spaltenumbruch] VERULAMIUS p. 72 PAR-
SONS gener. p.
212.

III. Abſ. Der Zuſtand des Menſchen.
tung (q), und auf einmal nicht viel Junge. Auch unter
den Menſchen ſtarb ein Zwerg in einem Alter von dreißig
Jahren als ein abgelebter Greis (r).

Endlich ſcheinet ein warmer Himmelsſtrich der lan-
gen Lebensdauer guͤnſtig zu ſeyn. So lebt das Renn-
thier, welches doch groͤſſer als die Gemſe iſt, nicht ſo
lange als dieſe, und es erhalten ſich in der Tuͤrkey die
Pferde viel laͤnger als bei uns.

§. 14.
2) Die lange Lebensdauer der Menſchen.

Der Menſch befindet ſich unter denen Thieren mit,
die das hoͤchſte Alter erreichen (a), und wie ungerecht
ſind alſo ſeine Klagen uͤber ein kurzes Leben.

Man ſiehet nemlich an dem Menſchen lauter ſolche
Anzeigen, welche auf eine langſame Periode ſeines Lebens
zielen. Die Natur verweilt mit ihm lange in der Mut-
ter, und beinahe ſo lange als das dreimal groͤſſere Pferd.
Nach meiner Vermuthung bekoͤmmt der Menſch unter
allen Thieren die Zaͤhne am ſpaͤteſten. Der Menſch
waͤchſt ſeine zwanzig Jahre in eins fort, welches gewiß
eine ſehr lange Zeit iſt, unter Thieren die nicht viel groͤſ-
ſer ſind, als er. Seine Knochenanſaͤzze bleiben ſehr
lange knorplich, wie am Elephanten. Er wird ſpaͤt mann-
bar, und ich kenne kein einziges Thier, welches ſich erſt
im vierzehnten Jahre begatten ſollte.

Die Hauptſache koͤmmt indeſſen bei dem Menſchen
darauf an, daß ſein Fadengewebe ungemein weich, und
daß ſein ganzer Bau viel zaͤrter iſt, als bey irgend einem
der vierfuͤßigen Thiere. So iſt die Nervenhaut an dem
Gedaͤrme der Hunde haͤrter, als bei dem Menſchen, und

es
(q) [Spaltenumbruch] MONRO fem. teſt. p. 67.
(r) Gazelle liter. ann. 1764. P.
p.
60.
(a) [Spaltenumbruch] VERULAMIUS p. 72 PAR-
SONS gener. p.
212.
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[937[939]/0991] III. Abſ. Der Zuſtand des Menſchen. tung (q), und auf einmal nicht viel Junge. Auch unter den Menſchen ſtarb ein Zwerg in einem Alter von dreißig Jahren als ein abgelebter Greis (r). Endlich ſcheinet ein warmer Himmelsſtrich der lan- gen Lebensdauer guͤnſtig zu ſeyn. So lebt das Renn- thier, welches doch groͤſſer als die Gemſe iſt, nicht ſo lange als dieſe, und es erhalten ſich in der Tuͤrkey die Pferde viel laͤnger als bei uns. §. 14. 2) Die lange Lebensdauer der Menſchen. Der Menſch befindet ſich unter denen Thieren mit, die das hoͤchſte Alter erreichen (a), und wie ungerecht ſind alſo ſeine Klagen uͤber ein kurzes Leben. Man ſiehet nemlich an dem Menſchen lauter ſolche Anzeigen, welche auf eine langſame Periode ſeines Lebens zielen. Die Natur verweilt mit ihm lange in der Mut- ter, und beinahe ſo lange als das dreimal groͤſſere Pferd. Nach meiner Vermuthung bekoͤmmt der Menſch unter allen Thieren die Zaͤhne am ſpaͤteſten. Der Menſch waͤchſt ſeine zwanzig Jahre in eins fort, welches gewiß eine ſehr lange Zeit iſt, unter Thieren die nicht viel groͤſ- ſer ſind, als er. Seine Knochenanſaͤzze bleiben ſehr lange knorplich, wie am Elephanten. Er wird ſpaͤt mann- bar, und ich kenne kein einziges Thier, welches ſich erſt im vierzehnten Jahre begatten ſollte. Die Hauptſache koͤmmt indeſſen bei dem Menſchen darauf an, daß ſein Fadengewebe ungemein weich, und daß ſein ganzer Bau viel zaͤrter iſt, als bey irgend einem der vierfuͤßigen Thiere. So iſt die Nervenhaut an dem Gedaͤrme der Hunde haͤrter, als bei dem Menſchen, und es (q) MONRO fem. teſt. p. 67. (r) Gazelle liter. ann. 1764. P. p. 60. (a) VERULAMIUS p. 72 PAR- SONS gener. p. 212.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776, S. 937[939]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/991>, abgerufen am 19.04.2024.