Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

Leben u. Tod der Menschen. XXX. B.
mit überein stimmen. Es ist aber der Tod öfters schon
vor der Erstarrung vollkommen da. Jch habe an mei-
nem eigenen Kinde, da es den dritten Tag nach dem
Tode begraben wurde, keine Erstarrung gefunden.

Jch würde also das wahre Zeichen des Todes blos
in die immerwährende Fortdauer aller dieser Zeichen zu-
sammen genommen sezzen, und es müsten dieselbigen zu-
gleich immer mehr und mehr zunehmen.

Und nunmehr fällt der Körper der Fäulniß anheim,
welche, nachdem sie zuerst die Oele und Salze zerstört,
zu gleicher Zeit das Wasser zerstreut, endlich die fixe
Luft entwikkelt, und die Bande der Grundstoffe zerreiß,
unsere Knochen in diejenige Erde verwandelt, woraus
sie anfangs entstanden. Jch habe dergleichen selbst gese-
hen, und besizze so gar einen Stirnknochen, den man an
seinen Grubenzügen leicht erkennen kann, übrigens aber
vollkommen zu einer Erde geworden, und aus einem
Hügel in Thüringen ausgegraben ist. Und nun zermal-
met die geringste Kraft dergleichen Knochen, um selbige
der Erde beizufügen.

Wir geben die Seele Gott wieder, und dieser kennt
allein den Zustand derselben nach dem Tode. Jndessen
habe ich doch nicht selten bei sterbenden Personen Merk-
male von einer der Seele zulächelnden Hofnung mitten
in ihrer Flucht mit Augen gesehen, und diese Personen
verliessen mit einem vollkommen aufgeklärten Gesichte
und sanftem Lächeln die Welt. Billig ist ein solcher Tod
das lezzte und mächtigste Verlangen eines klugen
Mannes.



Des

Leben u. Tod der Menſchen. XXX. B.
mit uͤberein ſtimmen. Es iſt aber der Tod oͤfters ſchon
vor der Erſtarrung vollkommen da. Jch habe an mei-
nem eigenen Kinde, da es den dritten Tag nach dem
Tode begraben wurde, keine Erſtarrung gefunden.

Jch wuͤrde alſo das wahre Zeichen des Todes blos
in die immerwaͤhrende Fortdauer aller dieſer Zeichen zu-
ſammen genommen ſezzen, und es muͤſten dieſelbigen zu-
gleich immer mehr und mehr zunehmen.

Und nunmehr faͤllt der Koͤrper der Faͤulniß anheim,
welche, nachdem ſie zuerſt die Oele und Salze zerſtoͤrt,
zu gleicher Zeit das Waſſer zerſtreut, endlich die fixe
Luft entwikkelt, und die Bande der Grundſtoffe zerreiß,
unſere Knochen in diejenige Erde verwandelt, woraus
ſie anfangs entſtanden. Jch habe dergleichen ſelbſt geſe-
hen, und beſizze ſo gar einen Stirnknochen, den man an
ſeinen Grubenzuͤgen leicht erkennen kann, uͤbrigens aber
vollkommen zu einer Erde geworden, und aus einem
Huͤgel in Thuͤringen ausgegraben iſt. Und nun zermal-
met die geringſte Kraft dergleichen Knochen, um ſelbige
der Erde beizufuͤgen.

Wir geben die Seele Gott wieder, und dieſer kennt
allein den Zuſtand derſelben nach dem Tode. Jndeſſen
habe ich doch nicht ſelten bei ſterbenden Perſonen Merk-
male von einer der Seele zulaͤchelnden Hofnung mitten
in ihrer Flucht mit Augen geſehen, und dieſe Perſonen
verlieſſen mit einem vollkommen aufgeklaͤrten Geſichte
und ſanftem Laͤcheln die Welt. Billig iſt ein ſolcher Tod
das lezzte und maͤchtigſte Verlangen eines klugen
Mannes.



Des
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f1038" n="984[986]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Leben u. Tod der Men&#x017F;chen. <hi rendition="#aq">XXX.</hi> B.</hi></fw><lb/>
mit u&#x0364;berein &#x017F;timmen. Es i&#x017F;t aber der Tod o&#x0364;fters &#x017F;chon<lb/>
vor der Er&#x017F;tarrung vollkommen da. Jch habe an mei-<lb/>
nem eigenen Kinde, da es den dritten Tag nach dem<lb/>
Tode begraben wurde, keine Er&#x017F;tarrung gefunden.</p><lb/>
              <p>Jch wu&#x0364;rde al&#x017F;o das wahre Zeichen des Todes blos<lb/>
in die immerwa&#x0364;hrende Fortdauer aller die&#x017F;er Zeichen zu-<lb/>
&#x017F;ammen genommen &#x017F;ezzen, und es mu&#x0364;&#x017F;ten die&#x017F;elbigen zu-<lb/>
gleich immer mehr und mehr zunehmen.</p><lb/>
              <p>Und nunmehr fa&#x0364;llt der Ko&#x0364;rper der Fa&#x0364;ulniß anheim,<lb/>
welche, nachdem &#x017F;ie zuer&#x017F;t die Oele und Salze zer&#x017F;to&#x0364;rt,<lb/>
zu gleicher Zeit das Wa&#x017F;&#x017F;er zer&#x017F;treut, endlich die fixe<lb/>
Luft entwikkelt, und die Bande der Grund&#x017F;toffe zerreiß,<lb/>
un&#x017F;ere Knochen in diejenige Erde verwandelt, woraus<lb/>
&#x017F;ie anfangs ent&#x017F;tanden. Jch habe dergleichen &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;e-<lb/>
hen, und be&#x017F;izze &#x017F;o gar einen Stirnknochen, den man an<lb/>
&#x017F;einen Grubenzu&#x0364;gen leicht erkennen kann, u&#x0364;brigens aber<lb/>
vollkommen zu einer Erde geworden, und aus einem<lb/>
Hu&#x0364;gel in Thu&#x0364;ringen ausgegraben i&#x017F;t. Und nun zermal-<lb/>
met die gering&#x017F;te Kraft dergleichen Knochen, um &#x017F;elbige<lb/>
der Erde beizufu&#x0364;gen.</p><lb/>
              <p>Wir geben die Seele Gott wieder, und die&#x017F;er kennt<lb/>
allein den Zu&#x017F;tand der&#x017F;elben nach dem Tode. Jnde&#x017F;&#x017F;en<lb/>
habe ich doch nicht &#x017F;elten bei &#x017F;terbenden Per&#x017F;onen Merk-<lb/>
male von einer der Seele zula&#x0364;chelnden Hofnung mitten<lb/>
in ihrer Flucht mit Augen ge&#x017F;ehen, und die&#x017F;e Per&#x017F;onen<lb/>
verlie&#x017F;&#x017F;en mit einem vollkommen aufgekla&#x0364;rten Ge&#x017F;ichte<lb/>
und &#x017F;anftem La&#x0364;cheln die Welt. Billig i&#x017F;t ein &#x017F;olcher Tod<lb/><hi rendition="#c">das lezzte und ma&#x0364;chtig&#x017F;te Verlangen eines klugen<lb/>
Mannes.</hi></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <fw place="bottom" type="catch">Des</fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[984[986]/1038] Leben u. Tod der Menſchen. XXX. B. mit uͤberein ſtimmen. Es iſt aber der Tod oͤfters ſchon vor der Erſtarrung vollkommen da. Jch habe an mei- nem eigenen Kinde, da es den dritten Tag nach dem Tode begraben wurde, keine Erſtarrung gefunden. Jch wuͤrde alſo das wahre Zeichen des Todes blos in die immerwaͤhrende Fortdauer aller dieſer Zeichen zu- ſammen genommen ſezzen, und es muͤſten dieſelbigen zu- gleich immer mehr und mehr zunehmen. Und nunmehr faͤllt der Koͤrper der Faͤulniß anheim, welche, nachdem ſie zuerſt die Oele und Salze zerſtoͤrt, zu gleicher Zeit das Waſſer zerſtreut, endlich die fixe Luft entwikkelt, und die Bande der Grundſtoffe zerreiß, unſere Knochen in diejenige Erde verwandelt, woraus ſie anfangs entſtanden. Jch habe dergleichen ſelbſt geſe- hen, und beſizze ſo gar einen Stirnknochen, den man an ſeinen Grubenzuͤgen leicht erkennen kann, uͤbrigens aber vollkommen zu einer Erde geworden, und aus einem Huͤgel in Thuͤringen ausgegraben iſt. Und nun zermal- met die geringſte Kraft dergleichen Knochen, um ſelbige der Erde beizufuͤgen. Wir geben die Seele Gott wieder, und dieſer kennt allein den Zuſtand derſelben nach dem Tode. Jndeſſen habe ich doch nicht ſelten bei ſterbenden Perſonen Merk- male von einer der Seele zulaͤchelnden Hofnung mitten in ihrer Flucht mit Augen geſehen, und dieſe Perſonen verlieſſen mit einem vollkommen aufgeklaͤrten Geſichte und ſanftem Laͤcheln die Welt. Billig iſt ein ſolcher Tod das lezzte und maͤchtigſte Verlangen eines klugen Mannes. Des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/1038
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776, S. 984[986]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/1038>, abgerufen am 29.03.2024.