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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776.

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V. Abs. Die Geburt.
lich diese Handlung (a) überhaupt so willkührlich, wie
der Stuhlgang; ob schon der Wille von dem Schmerze,
welchen man schwerlich aushalten kann, in der That
gezwungen wird. Daher stellen sich Frauenspersonen,
welche wegen des unerträglichen Schmerzens, oder aus
übermäßiger Bekümmerniß der Umstehenden, die Ge-
burtsanstrengungen ehe, als es nöthig, anfangen, vie-
ler Gefahr aus: indessen daß Mädchen, welche so un-
glücklich sind, daß eine geheimgehaltene Liebe, die Ur-
sache von ihrer Schwangerschaft ist (b), gemeiniglich die
Geburt lange verzögern, weil sie blos die Stimme der
Nothwendigkeit vor Augen haben. Jch weiß zuverläßig,
daß zarte Mädchen von Adel, da sich bereits die heftigen
Schmerzen eingestellt hatten, auf ihren Knien zu der
Wehmutter gekrochen, und solches kurz darauf, und
vielleicht nach einer Zwischenstunde wiederholt haben. Es
ist aber die allernächste Ursache zu der Geburt, von einem
Stulzwange in nichts unterschieden, und mit diesem ver-
mischen Frauenspersonen, denen diese Sache noch neu
ist, ihre besondere Schmerzen. Jch halte folglich die
unerträgliche Anstrengung des Kopfes der Frucht gegen
den Mutterhals, und gegen die, im Bekken befindliche
Theile, so empfindlich sind, für die gewisse Ursache der
Geburtswehen, mit welchen die Mutter das Kind zur
Welt bringt. Die übrigen, oben gedachte Unbequemlich-
keiten, bereiten nach und nach die Gebärmutter, die Blase
und den Mastdarm, zu dieser Unerträglichkeit des Schmer-
zens selbst. Je empfindlicher also eine Frauensperson
ist, desto voreiliger gehet das Gebären vor sich, und die
Weiber dieser Art erwarten kaum den neunten Monat (c).
Daher beschleuniget eine jede Art des Reizes die Geburt,
und daher werden Zwillinge selten bis zum neunten Mo-

nate
(a) [Spaltenumbruch] STORCH T. V. cas. 40.
(b) Conf. HARVEI p. 266.
Weiberkrankh. V. p.
352 Mitten
in der Einsamkeit des Waldes eine
[Spaltenumbruch] glükkliche Geburt Trankenbar
mission. contin. 96. p.
1253.
(c) CARRON.
X x 5

V. Abſ. Die Geburt.
lich dieſe Handlung (a) uͤberhaupt ſo willkuͤhrlich, wie
der Stuhlgang; ob ſchon der Wille von dem Schmerze,
welchen man ſchwerlich aushalten kann, in der That
gezwungen wird. Daher ſtellen ſich Frauensperſonen,
welche wegen des unertraͤglichen Schmerzens, oder aus
uͤbermaͤßiger Bekuͤmmerniß der Umſtehenden, die Ge-
burtsanſtrengungen ehe, als es noͤthig, anfangen, vie-
ler Gefahr aus: indeſſen daß Maͤdchen, welche ſo un-
gluͤcklich ſind, daß eine geheimgehaltene Liebe, die Ur-
ſache von ihrer Schwangerſchaft iſt (b), gemeiniglich die
Geburt lange verzoͤgern, weil ſie blos die Stimme der
Nothwendigkeit vor Augen haben. Jch weiß zuverlaͤßig,
daß zarte Maͤdchen von Adel, da ſich bereits die heftigen
Schmerzen eingeſtellt hatten, auf ihren Knien zu der
Wehmutter gekrochen, und ſolches kurz darauf, und
vielleicht nach einer Zwiſchenſtunde wiederholt haben. Es
iſt aber die allernaͤchſte Urſache zu der Geburt, von einem
Stulzwange in nichts unterſchieden, und mit dieſem ver-
miſchen Frauensperſonen, denen dieſe Sache noch neu
iſt, ihre beſondere Schmerzen. Jch halte folglich die
unertraͤgliche Anſtrengung des Kopfes der Frucht gegen
den Mutterhals, und gegen die, im Bekken befindliche
Theile, ſo empfindlich ſind, fuͤr die gewiſſe Urſache der
Geburtswehen, mit welchen die Mutter das Kind zur
Welt bringt. Die uͤbrigen, oben gedachte Unbequemlich-
keiten, bereiten nach und nach die Gebaͤrmutter, die Blaſe
und den Maſtdarm, zu dieſer Unertraͤglichkeit des Schmer-
zens ſelbſt. Je empfindlicher alſo eine Frauensperſon
iſt, deſto voreiliger gehet das Gebaͤren vor ſich, und die
Weiber dieſer Art erwarten kaum den neunten Monat (c).
Daher beſchleuniget eine jede Art des Reizes die Geburt,
und daher werden Zwillinge ſelten bis zum neunten Mo-

nate
(a) [Spaltenumbruch] STORCH T. V. caſ. 40.
(b) Conf. HARVEI p. 266.
Weiberkrankh. V. p.
352 Mitten
in der Einſamkeit des Waldes eine
[Spaltenumbruch] gluͤkkliche Geburt Trankenbar
miſſion. contin. 96. p.
1253.
(c) CARRON.
X x 5
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[695[697]/0749] V. Abſ. Die Geburt. lich dieſe Handlung (a) uͤberhaupt ſo willkuͤhrlich, wie der Stuhlgang; ob ſchon der Wille von dem Schmerze, welchen man ſchwerlich aushalten kann, in der That gezwungen wird. Daher ſtellen ſich Frauensperſonen, welche wegen des unertraͤglichen Schmerzens, oder aus uͤbermaͤßiger Bekuͤmmerniß der Umſtehenden, die Ge- burtsanſtrengungen ehe, als es noͤthig, anfangen, vie- ler Gefahr aus: indeſſen daß Maͤdchen, welche ſo un- gluͤcklich ſind, daß eine geheimgehaltene Liebe, die Ur- ſache von ihrer Schwangerſchaft iſt (b), gemeiniglich die Geburt lange verzoͤgern, weil ſie blos die Stimme der Nothwendigkeit vor Augen haben. Jch weiß zuverlaͤßig, daß zarte Maͤdchen von Adel, da ſich bereits die heftigen Schmerzen eingeſtellt hatten, auf ihren Knien zu der Wehmutter gekrochen, und ſolches kurz darauf, und vielleicht nach einer Zwiſchenſtunde wiederholt haben. Es iſt aber die allernaͤchſte Urſache zu der Geburt, von einem Stulzwange in nichts unterſchieden, und mit dieſem ver- miſchen Frauensperſonen, denen dieſe Sache noch neu iſt, ihre beſondere Schmerzen. Jch halte folglich die unertraͤgliche Anſtrengung des Kopfes der Frucht gegen den Mutterhals, und gegen die, im Bekken befindliche Theile, ſo empfindlich ſind, fuͤr die gewiſſe Urſache der Geburtswehen, mit welchen die Mutter das Kind zur Welt bringt. Die uͤbrigen, oben gedachte Unbequemlich- keiten, bereiten nach und nach die Gebaͤrmutter, die Blaſe und den Maſtdarm, zu dieſer Unertraͤglichkeit des Schmer- zens ſelbſt. Je empfindlicher alſo eine Frauensperſon iſt, deſto voreiliger gehet das Gebaͤren vor ſich, und die Weiber dieſer Art erwarten kaum den neunten Monat (c). Daher beſchleuniget eine jede Art des Reizes die Geburt, und daher werden Zwillinge ſelten bis zum neunten Mo- nate (a) STORCH T. V. caſ. 40. (b) Conf. HARVEI p. 266. Weiberkrankh. V. p. 352 Mitten in der Einſamkeit des Waldes eine gluͤkkliche Geburt Trankenbar miſſion. contin. 96. p. 1253. (c) CARRON. X x 5

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776, S. 695[697]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/749>, abgerufen am 28.03.2024.