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Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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frühmorgens von ihm selbst geweckt worden, so schließe das doch nicht aus, daß der verruchte Mörder heimlich in stiller Nacht das Haus verlassen, die Unthat vollbracht habe und dann unbemerkt wieder zurückgekehrt sei, wofür auch der Umstand spreche, daß der Mörder die Gelegenheit im Hause der Marzipan-Lise sehr wohl gekannt haben müsse, da sein Einbruch stattgefunden habe und Thür und Fenster unverletzt gewesen wären.

Mehrere aber wußten mit dieser Angabe noch eine andere zu verbinden und berichteten, zu selbiger Zeit habe der Syndicus, den Nachlaß der Marzipan-Lise ordnend, unter ihrer Wäsche ein Päckchen mit der Ueberschrift: "Legat für meinen Miethsmann" gefunden. Dieses Päckchen habe ein Tellertüchlein, einen von dem Registranten für die Marzipan-Lise aufgesetzten Testamentsentwurf und ein Schreiben dieser Letztern enthalten, worin sie dem Registranten für die Mittheilung jenes Entwurfes dankte, den sie auch nach ihrer Absicht und zu ihrem Zwecke endlich benutzt habe; ihn zum Erben einzusetzen, wäre ihr nie eingefallen; sie hätte ihn damit nur hingehalten, damit sie ohne viele Kosten zu einem brauchbaren Testamentformular käme; wohl aber würde sie ihn für die guten Dienste, die er ihr geleistet, mit einem hübschen Capital bedacht haben, wenn nicht ihre Katze von dem Kuchen, denn er ihr unlängst verehrt, genascht hätte und daran verreckt wäre; sie habe darüber ihre eigenen Gedanken und meine demnach vollkommen genug zu thun, wenn sie ihm das anliegende Teller-

frühmorgens von ihm selbst geweckt worden, so schließe das doch nicht aus, daß der verruchte Mörder heimlich in stiller Nacht das Haus verlassen, die Unthat vollbracht habe und dann unbemerkt wieder zurückgekehrt sei, wofür auch der Umstand spreche, daß der Mörder die Gelegenheit im Hause der Marzipan-Lise sehr wohl gekannt haben müsse, da sein Einbruch stattgefunden habe und Thür und Fenster unverletzt gewesen wären.

Mehrere aber wußten mit dieser Angabe noch eine andere zu verbinden und berichteten, zu selbiger Zeit habe der Syndicus, den Nachlaß der Marzipan-Lise ordnend, unter ihrer Wäsche ein Päckchen mit der Ueberschrift: “Legat für meinen Miethsmann“ gefunden. Dieses Päckchen habe ein Tellertüchlein, einen von dem Registranten für die Marzipan-Lise aufgesetzten Testamentsentwurf und ein Schreiben dieser Letztern enthalten, worin sie dem Registranten für die Mittheilung jenes Entwurfes dankte, den sie auch nach ihrer Absicht und zu ihrem Zwecke endlich benutzt habe; ihn zum Erben einzusetzen, wäre ihr nie eingefallen; sie hätte ihn damit nur hingehalten, damit sie ohne viele Kosten zu einem brauchbaren Testamentformular käme; wohl aber würde sie ihn für die guten Dienste, die er ihr geleistet, mit einem hübschen Capital bedacht haben, wenn nicht ihre Katze von dem Kuchen, denn er ihr unlängst verehrt, genascht hätte und daran verreckt wäre; sie habe darüber ihre eigenen Gedanken und meine demnach vollkommen genug zu thun, wenn sie ihm das anliegende Teller-

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[0043] frühmorgens von ihm selbst geweckt worden, so schließe das doch nicht aus, daß der verruchte Mörder heimlich in stiller Nacht das Haus verlassen, die Unthat vollbracht habe und dann unbemerkt wieder zurückgekehrt sei, wofür auch der Umstand spreche, daß der Mörder die Gelegenheit im Hause der Marzipan-Lise sehr wohl gekannt haben müsse, da sein Einbruch stattgefunden habe und Thür und Fenster unverletzt gewesen wären. Mehrere aber wußten mit dieser Angabe noch eine andere zu verbinden und berichteten, zu selbiger Zeit habe der Syndicus, den Nachlaß der Marzipan-Lise ordnend, unter ihrer Wäsche ein Päckchen mit der Ueberschrift: “Legat für meinen Miethsmann“ gefunden. Dieses Päckchen habe ein Tellertüchlein, einen von dem Registranten für die Marzipan-Lise aufgesetzten Testamentsentwurf und ein Schreiben dieser Letztern enthalten, worin sie dem Registranten für die Mittheilung jenes Entwurfes dankte, den sie auch nach ihrer Absicht und zu ihrem Zwecke endlich benutzt habe; ihn zum Erben einzusetzen, wäre ihr nie eingefallen; sie hätte ihn damit nur hingehalten, damit sie ohne viele Kosten zu einem brauchbaren Testamentformular käme; wohl aber würde sie ihn für die guten Dienste, die er ihr geleistet, mit einem hübschen Capital bedacht haben, wenn nicht ihre Katze von dem Kuchen, denn er ihr unlängst verehrt, genascht hätte und daran verreckt wäre; sie habe darüber ihre eigenen Gedanken und meine demnach vollkommen genug zu thun, wenn sie ihm das anliegende Teller-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:52:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:52:38Z)

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Zitationshilfe: Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/halm_lise_1910/43>, abgerufen am 28.03.2024.