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[Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759.

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tigen Wiederwillen gegen die Wahrheit der-
selben hegen.

Unser eigen Daseyn und die Existentz aller
Dinge ausser uns muß geglaubt und kann
auf keine andere Art ausgemacht werden.
Was ist gewisser als des Menschen Ende,
und von welcher Wahrheit gibt es eine all-
gemeinere und bewährtere Erkenntnis? Nie-
mand ist gleichwol so klug solche zu glauben,
als der, wie Moses zuverstehen giebt, von
Gott selbst gelehrt wird zu bedenken, daß er
sterben müsse. Was man glaubt, hat daher
nicht nöthig bewiesen zu werden, und ein
Satz kann noch so unumstößlich bewiesen
seyn, ohne deswegen geglaubt zu werden.

Es giebt Beweise von Wahrheiten, die so
wenig taugen als die Anwendung, die man von
den Wahrheiten selbst machen kann; *) ja
man kann den Beweiß eines Satzes glauben
ohne dem Satz selbst Beyfall zu geben. Die
Gründe eines Hume mögen noch so triftig
seyn, und ihre Wiederlegungen immerhin

lau-
*) Ein Philosoph laß über die Unsterblichkeit der
Seelen so überzeugend, daß seine Zuhörer vor
Freuden Selbstmörder wurden, wie uns Lactanz
erzählt.
D
C

tigen Wiederwillen gegen die Wahrheit der-
ſelben hegen.

Unſer eigen Daſeyn und die Exiſtentz aller
Dinge auſſer uns muß geglaubt und kann
auf keine andere Art ausgemacht werden.
Was iſt gewiſſer als des Menſchen Ende,
und von welcher Wahrheit gibt es eine all-
gemeinere und bewaͤhrtere Erkenntnis? Nie-
mand iſt gleichwol ſo klug ſolche zu glauben,
als der, wie Moſes zuverſtehen giebt, von
Gott ſelbſt gelehrt wird zu bedenken, daß er
ſterben muͤſſe. Was man glaubt, hat daher
nicht noͤthig bewieſen zu werden, und ein
Satz kann noch ſo unumſtoͤßlich bewieſen
ſeyn, ohne deswegen geglaubt zu werden.

Es giebt Beweiſe von Wahrheiten, die ſo
wenig taugen als die Anwendung, die man von
den Wahrheiten ſelbſt machen kann; *) ja
man kann den Beweiß eines Satzes glauben
ohne dem Satz ſelbſt Beyfall zu geben. Die
Gruͤnde eines Hume moͤgen noch ſo triftig
ſeyn, und ihre Wiederlegungen immerhin

lau-
*) Ein Philoſoph laß uͤber die Unſterblichkeit der
Seelen ſo uͤberzeugend, daß ſeine Zuhoͤrer vor
Freuden Selbſtmoͤrder wurden, wie uns Lactanz
erzaͤhlt.
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[49/0053] tigen Wiederwillen gegen die Wahrheit der- ſelben hegen. Unſer eigen Daſeyn und die Exiſtentz aller Dinge auſſer uns muß geglaubt und kann auf keine andere Art ausgemacht werden. Was iſt gewiſſer als des Menſchen Ende, und von welcher Wahrheit gibt es eine all- gemeinere und bewaͤhrtere Erkenntnis? Nie- mand iſt gleichwol ſo klug ſolche zu glauben, als der, wie Moſes zuverſtehen giebt, von Gott ſelbſt gelehrt wird zu bedenken, daß er ſterben muͤſſe. Was man glaubt, hat daher nicht noͤthig bewieſen zu werden, und ein Satz kann noch ſo unumſtoͤßlich bewieſen ſeyn, ohne deswegen geglaubt zu werden. Es giebt Beweiſe von Wahrheiten, die ſo wenig taugen als die Anwendung, die man von den Wahrheiten ſelbſt machen kann; *) ja man kann den Beweiß eines Satzes glauben ohne dem Satz ſelbſt Beyfall zu geben. Die Gruͤnde eines Hume moͤgen noch ſo triftig ſeyn, und ihre Wiederlegungen immerhin lau- *) Ein Philoſoph laß uͤber die Unſterblichkeit der Seelen ſo uͤberzeugend, daß ſeine Zuhoͤrer vor Freuden Selbſtmoͤrder wurden, wie uns Lactanz erzaͤhlt. D C

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Zitationshilfe: [Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hamann_denkwuerdigkeiten_1759/53>, abgerufen am 24.04.2024.