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Happel, Eberhard Werner: Der Academische Roman. Ulm, 1690.

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Romans II. Buch.
finden würde. Er forschete unterdessen weiter/ ob sie
wol dem Vantenay den Tod wünschete? Sie aber
sprach/ nein/ sondern es wäre Schade/ daß dieser
Mensch schon sterben solte/ er möchte sich mit der Zeit
etwa noch bessern/ und auf einen richtigen Weg kom-
men/ er war hefftig verliebet in mich/ aber er muste
keine Gewalt an mir brauchen. Seine Tapfferkeit
und Courage wird von Jedermann gepriesen/ aber
ich ziehe dieser den fertigen Verstand meines edlen
Belligny weit vor. Klingenfeld sprach jetzo: Es ist/
meine Hoch-Edle Jungfrau/ eine gar wichtige Fra-
ge/ welches an einem Manns-Bild am höchsten zu
schätzen: Ein fertiger Verstand/ ein gutes Judicium,
oder eine unerschrockene Courage und Hertzhafftig-
keit? Saget uns eure Meynung mit einem guten
Grund/ womit wollet ihr es wol halten? Lucretia ließ
auß folgendem Discurs, den sie zur Antwort herfür
brachte/ gnugsam blicken/ daß sie ihre Zeit nicht übel
angewandt/ sondern ihr gute Bücher und Schrifften
gelehrter Leute trefflich hatte angelegen seyn lassen.
Das Menschliche Leben/ sprach sie/ ist so vielen ge-
fährlichen Zufällen unterworffen/ daß sie der Mensch
schwerlich alle absehen kan. Und wann er es gleich et-
licher Massen thun könte/ muste es doch nur durch
den Verstand und Begriff der Dinge so ihm ankom-
men/ geschehen/ welche er dem Judicio, wie er nemlich
sie begriffen/ vorstellet/ ohne welche klare und richti-
ge Vorstellung oder Repraesentation das Judicium
zu Vorkommung allerhand Accidentien nichts thun
kan. Ein Richter vermag kein Urtheil zu fällen/ ehe und
bevor die Advocaten und Procuratores ihme ihrer
Parthey Sachen außführlich deduciret/ und ihrer
beyderseits Intention und Absehen zu erkennen ge-
ben haben/ damit er wissen möge/ zu welchem Theile

er
N n

Romans II. Buch.
finden wuͤrde. Er forſchete unterdeſſen weiter/ ob ſie
wol dem Vantenay den Tod wuͤnſchete? Sie aber
ſprach/ nein/ ſondern es waͤre Schade/ daß dieſer
Menſch ſchon ſterben ſolte/ er moͤchte ſich mit der Zeit
etwa noch beſſern/ und auf einen richtigen Weg kom-
men/ er war hefftig verliebet in mich/ aber er muſte
keine Gewalt an mir brauchen. Seine Tapfferkeit
und Courage wird von Jedermann geprieſen/ aber
ich ziehe dieſer den fertigen Verſtand meines edlen
Belligny weit vor. Klingenfeld ſprach jetzo: Es iſt/
meine Hoch-Edle Jungfrau/ eine gar wichtige Fra-
ge/ welches an einem Manns-Bild am hoͤchſten zu
ſchaͤtzen: Ein fertiger Verſtand/ ein gutes Judicium,
oder eine unerſchrockene Courage und Hertzhafftig-
keit? Saget uns eure Meynung mit einem guten
Grund/ womit wollet ihr es wol halten? Lucretia ließ
auß folgendem Diſcurs, den ſie zur Antwort herfuͤr
brachte/ gnugſam blicken/ daß ſie ihre Zeit nicht uͤbel
angewandt/ ſondern ihr gute Buͤcher und Schrifften
gelehrter Leute trefflich hatte angelegen ſeyn laſſen.
Das Menſchliche Leben/ ſprach ſie/ iſt ſo vielen ge-
faͤhrlichen Zufaͤllen unterworffen/ daß ſie der Menſch
ſchwerlich alle abſehen kan. Und wann er es gleich et-
licher Maſſen thun koͤnte/ muſte es doch nur durch
den Verſtand und Begriff der Dinge ſo ihm ankom-
men/ geſchehen/ welche er dem Judicio, wie er nemlich
ſie begriffen/ vorſtellet/ ohne welche klare und richti-
ge Vorſtellung oder Repræſentation das Judicium
zu Vorkommung allerhand Accidentien nichts thun
kan. Ein Richter vermag kein Urtheil zu faͤllen/ ehe und
bevor die Advocaten und Procuratores ihme ihrer
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[561/0577] Romans II. Buch. finden wuͤrde. Er forſchete unterdeſſen weiter/ ob ſie wol dem Vantenay den Tod wuͤnſchete? Sie aber ſprach/ nein/ ſondern es waͤre Schade/ daß dieſer Menſch ſchon ſterben ſolte/ er moͤchte ſich mit der Zeit etwa noch beſſern/ und auf einen richtigen Weg kom- men/ er war hefftig verliebet in mich/ aber er muſte keine Gewalt an mir brauchen. Seine Tapfferkeit und Courage wird von Jedermann geprieſen/ aber ich ziehe dieſer den fertigen Verſtand meines edlen Belligny weit vor. Klingenfeld ſprach jetzo: Es iſt/ meine Hoch-Edle Jungfrau/ eine gar wichtige Fra- ge/ welches an einem Manns-Bild am hoͤchſten zu ſchaͤtzen: Ein fertiger Verſtand/ ein gutes Judicium, oder eine unerſchrockene Courage und Hertzhafftig- keit? Saget uns eure Meynung mit einem guten Grund/ womit wollet ihr es wol halten? Lucretia ließ auß folgendem Diſcurs, den ſie zur Antwort herfuͤr brachte/ gnugſam blicken/ daß ſie ihre Zeit nicht uͤbel angewandt/ ſondern ihr gute Buͤcher und Schrifften gelehrter Leute trefflich hatte angelegen ſeyn laſſen. Das Menſchliche Leben/ ſprach ſie/ iſt ſo vielen ge- faͤhrlichen Zufaͤllen unterworffen/ daß ſie der Menſch ſchwerlich alle abſehen kan. Und wann er es gleich et- licher Maſſen thun koͤnte/ muſte es doch nur durch den Verſtand und Begriff der Dinge ſo ihm ankom- men/ geſchehen/ welche er dem Judicio, wie er nemlich ſie begriffen/ vorſtellet/ ohne welche klare und richti- ge Vorſtellung oder Repræſentation das Judicium zu Vorkommung allerhand Accidentien nichts thun kan. Ein Richter vermag kein Urtheil zu faͤllen/ ehe und bevor die Advocaten und Procuratores ihme ihrer Parthey Sachen außfuͤhrlich deduciret/ und ihrer beyderſeits Intention und Abſehen zu erkennen ge- ben haben/ damit er wiſſen moͤge/ zu welchem Theile er N n

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Zitationshilfe: Happel, Eberhard Werner: Der Academische Roman. Ulm, 1690, S. 561. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/happel_roman_1690/577>, abgerufen am 18.04.2024.