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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 1. 2. Aufl. Nürnberg, 1650.

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Die erste Stund.
nemlich aus dem/ was nichts ist/ etwas machet; o-
der das/ was bereit ist/ wie es seyn könte/ kunstzier-
lich gestaltet/ darvon hernach ein mehrers folgen
wird. Der Philosophus * trägt seine tiefsinnige
Gedanken mit schlechten und einfältigen Worten
vor/ und ist zu frieden/ daß man ihn verstehet: der
Redner führet hohe und prächtige Wort/ und be-
gnüget sich/ wann er den Zuhörer beredet. Der
Poet aber muß nicht nur verstanden werden/ und
einem etwas einschwätzen/ sondern auch belustigen.
Erstlich war die Rede zu Ausdrückung seiner Ge-
danken gebrauchet/ hernach zu einer Zier durch
die Redkunst für den Richterstul gestellet: nach
und nach auch zu Belustigung deß Verstands in
Gebände gebracht. Wie nun das Gold/ welches
künstlich gearbeitet ist/ viel höher gehalten wird/
als das jenige/ so von den Schlacken noch nicht
gereiniget worden/ also ist auch die gebundene Re-
de viel wehrter zu achten/ als die alle Tagswort
aus eines groben Pflügersrülpen Mund.

6. Wann ich einen Brief schreib en will/ muß
ich erstlich wissen/ was desselben Jnhalt seyn sol/
und bedenken den Anfang/ das Mittel/ das End/
und/ wie ich besagten Jnhalt aufeinander ordnen
möge/ daß iedes an seinem Ort sich wolgesetzet fü-

ge:
* Wie dieses Wort zu Teutsch ist gehandelt in Speci-
mine Philolog. Germ.

Die erſte Stund.
nemlich aus dem/ was nichts iſt/ etwas machet; o-
der das/ was bereit iſt/ wie es ſeyn koͤnte/ kunſtzier-
lich geſtaltet/ darvon hernach ein mehrers folgen
wird. Der Philoſophus * traͤgt ſeine tiefſinnige
Gedanken mit ſchlechten und einfaͤltigen Worten
vor/ und iſt zu frieden/ daß man ihn verſtehet: der
Redner fuͤhret hohe und praͤchtige Wort/ und be-
gnuͤget ſich/ wann er den Zuhoͤrer beredet. Der
Poet aber muß nicht nur verſtanden werden/ und
einem etwas einſchwaͤtzẽ/ ſondern auch beluſtigen.
Erſtlich war die Rede zu Ausdruͤckung ſeiner Ge-
danken gebrauchet/ hernach zu einer Zier durch
die Redkunſt fuͤr den Richterſtul geſtellet: nach
und nach auch zu Beluſtigung deß Verſtands in
Gebaͤnde gebracht. Wie nun das Gold/ welches
kuͤnſtlich gearbeitet iſt/ viel hoͤher gehalten wird/
als das jenige/ ſo von den Schlacken noch nicht
gereiniget worden/ alſo iſt auch die gebundene Re-
de viel wehrter zu achten/ als die alle Tagswort
aus eines groben Pfluͤgersruͤlpen Mund.

6. Wann ich einen Brief ſchreib en will/ muß
ich erſtlich wiſſen/ was deſſelben Jnhalt ſeyn ſol/
und bedenken den Anfang/ das Mittel/ das End/
und/ wie ich beſagten Jnhalt aufeinander ordnen
moͤge/ daß iedes an ſeinem Ort ſich wolgeſetzet fuͤ-

ge:
* Wie dieſes Wort zu Teutſch iſt gehandelt in Speci-
mine Philolog. Germ.
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[4/0022] Die erſte Stund. nemlich aus dem/ was nichts iſt/ etwas machet; o- der das/ was bereit iſt/ wie es ſeyn koͤnte/ kunſtzier- lich geſtaltet/ darvon hernach ein mehrers folgen wird. Der Philoſophus * traͤgt ſeine tiefſinnige Gedanken mit ſchlechten und einfaͤltigen Worten vor/ und iſt zu frieden/ daß man ihn verſtehet: der Redner fuͤhret hohe und praͤchtige Wort/ und be- gnuͤget ſich/ wann er den Zuhoͤrer beredet. Der Poet aber muß nicht nur verſtanden werden/ und einem etwas einſchwaͤtzẽ/ ſondern auch beluſtigen. Erſtlich war die Rede zu Ausdruͤckung ſeiner Ge- danken gebrauchet/ hernach zu einer Zier durch die Redkunſt fuͤr den Richterſtul geſtellet: nach und nach auch zu Beluſtigung deß Verſtands in Gebaͤnde gebracht. Wie nun das Gold/ welches kuͤnſtlich gearbeitet iſt/ viel hoͤher gehalten wird/ als das jenige/ ſo von den Schlacken noch nicht gereiniget worden/ alſo iſt auch die gebundene Re- de viel wehrter zu achten/ als die alle Tagswort aus eines groben Pfluͤgersruͤlpen Mund. 6. Wann ich einen Brief ſchreib en will/ muß ich erſtlich wiſſen/ was deſſelben Jnhalt ſeyn ſol/ und bedenken den Anfang/ das Mittel/ das End/ und/ wie ich beſagten Jnhalt aufeinander ordnen moͤge/ daß iedes an ſeinem Ort ſich wolgeſetzet fuͤ- ge: * Wie dieſes Wort zu Teutſch iſt gehandelt in Speci- mine Philolog. Germ.

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 1. 2. Aufl. Nürnberg, 1650, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter01_1650/22>, abgerufen am 29.03.2024.