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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653.

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Hunger.
macht Widerwillen sparen. Man lustert nach
der Speis wie blinde nach dem Sehen. An Man-
gel mangelts nicht/ die schwere Hungersnoht
laufft sehnlich nach dem Brod und martert auch
die Kinder/ dem Mord Tyrannen gleich/ der
mehrt der Todten Reich.

Der Hunger wird gebildet durch eine alte
Weibsperson/ welche zerrissen/ mager/ daß die
Haut kaum die Beine bedecken/ in einer Hand ei-
nen Weidenzweig (als ein Zeichen der Busse)
und in der andern Hand einen Pinsenstein (wel-
cher die Deutung der Unfruchtbarkeit hat) tra-
gend. Neben ihr stehet eine magere Kuhe/ abzielend
auf Josephs bekannten Traum. Fast also wird
auch die Theurung gemahlet.

209. Huer.

Eine offentliche Dirne/ gemeine Schleppe/
Metze/ Vetel/ die mit falsch angeschminkter Zier/
manchen Jüngling lockt zu ihr. Die mit Hönig-
süssen Worten hegt die Gall an allen Orten. Die
mit Circe Zauberkunst wirbt und würkt verbott-
ne Brunst. Die mit mancher Meucheltücke
bringt den Buler in die Stricke/ die mit Lügen
kan vergnügen/ die sich willig lassen trügen.
Hand und Mund ist niemals stumm/ und das
Hertz weiß nichts darumb.

Sie ist ein Schandgefäß voller Unflat/ eine
Behaltniß der Unreinigkeit/ ein Stein der Aer-

gerniß

Hunger.
macht Widerwillen ſparen. Man luſtert nach
der Speiſ wie blinde nach dem Sehen. An Man-
gel mangelts nicht/ die ſchwere Hungersnoht
laufft ſehnlich nach dem Brod und marteꝛt auch
die Kinder/ dem Mord Tyrannen gleich/ der
mehrt der Todten Reich.

Der Hunger wird gebildet durch eine alte
Weibsperſon/ welche zerriſſen/ mager/ daß die
Haut kaum die Beine bedecken/ in einer Hand ei-
nen Weidenzweig (als ein Zeichen der Buſſe)
und in der andern Hand einen Pinſenſtein (wel-
cher die Deutung der Unfruchtbarkeit hat) tra-
gend. Nebẽ ihr ſtehet eine magere Kuhe/ abzielend
auf Joſephs bekannten Traum. Faſt alſo wird
auch die Theurung gemahlet.

209. Huer.

Eine offentliche Dirne/ gemeine Schleppe/
Metze/ Vetel/ die mit falſch angeſchminkter Zier/
manchen Juͤngling lockt zu ihr. Die mit Hoͤnig-
ſuͤſſen Worten hegt die Gall an allen Orten. Die
mit Circe Zauberkunſt wirbt und wuͤrkt verbott-
ne Brunſt. Die mit mancher Meucheltuͤcke
bringt den Buler in die Stricke/ die mit Luͤgen
kan vergnuͤgen/ die ſich willig laſſen truͤgen.
Hand und Mund iſt niemals ſtumm/ und das
Hertz weiß nichts darumb.

Sie iſt ein Schandgefaͤß voller Unflat/ eine
Behaltniß der Unreinigkeit/ ein Stein der Aer-

gerniß
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[276[274]/0306] Hunger. macht Widerwillen ſparen. Man luſtert nach der Speiſ wie blinde nach dem Sehen. An Man- gel mangelts nicht/ die ſchwere Hungersnoht laufft ſehnlich nach dem Brod und marteꝛt auch die Kinder/ dem Mord Tyrannen gleich/ der mehrt der Todten Reich. Der Hunger wird gebildet durch eine alte Weibsperſon/ welche zerriſſen/ mager/ daß die Haut kaum die Beine bedecken/ in einer Hand ei- nen Weidenzweig (als ein Zeichen der Buſſe) und in der andern Hand einen Pinſenſtein (wel- cher die Deutung der Unfruchtbarkeit hat) tra- gend. Nebẽ ihr ſtehet eine magere Kuhe/ abzielend auf Joſephs bekannten Traum. Faſt alſo wird auch die Theurung gemahlet. 209. Huer. Eine offentliche Dirne/ gemeine Schleppe/ Metze/ Vetel/ die mit falſch angeſchminkter Zier/ manchen Juͤngling lockt zu ihr. Die mit Hoͤnig- ſuͤſſen Worten hegt die Gall an allen Orten. Die mit Circe Zauberkunſt wirbt und wuͤrkt verbott- ne Brunſt. Die mit mancher Meucheltuͤcke bringt den Buler in die Stricke/ die mit Luͤgen kan vergnuͤgen/ die ſich willig laſſen truͤgen. Hand und Mund iſt niemals ſtumm/ und das Hertz weiß nichts darumb. Sie iſt ein Schandgefaͤß voller Unflat/ eine Behaltniß der Unreinigkeit/ ein Stein der Aer- gerniß

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653, S. 276[274]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653/306>, abgerufen am 28.03.2024.