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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653.

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Der Reuige Kain.
so manche Körnlein Sands am schroffen Uffer nassen
so manche Sünd' enthält die Mörders Sünd' allein.
Die Furcht/ die blasse Furcht hat mich nun gar umb-
fangen:
Dann GOtt/ der grosse GOtt ist auch mein grosser
Feind.
Was sag' ich? meine Wort/ mein Wünschen und Ver-
langen
entführt der leichte Wind. Was mir entgegen scheint/
das drauet mir den Tod: Der Fluß will mich ertränken
der Felsen stürtzen ab; mir draut der Löwen Stimm/
und jeder Baum im Wald der sagt mir vom erhenken
so dünkt mich kein Geschöpf ohn Wassen/ Nach'und
Grimm.
Wann ich das blaue Feld deß Himmels will beschauen/
so heischet es von mir deß Abels Lebensgeist.
Die Schlossen/ Hagel/ Blitz und rauen Donner drauen/
Die Erd mit Blut beschämt/ den tieffsten Abgrund
weist/
So/ daß mich iedes Blat vom Wind erreget schrecket.
Jch rase sonder Rast und raise fort und fort.
Der Furchte Wnt und Rut mich aus dem Schlaffe
wecket
mich plagt und jagt die Welt von dem/ zu jenem
Ort:'
und ob ich gleich entflieh'und nicht bin an der Stätte
dar ich den Mord verübt; so hör' ich doch den Schall/
der mit der Felsen Grufft rufft gleichsam in die Wette
und tönet fort und fort von Mord und Mord im
Thal.
Wann mir der erste Schlaff die Augen kaum geschlossen
so schau' ich in dem Traum/ wie Abel für mir ligt.
Halb todt/ voll Bluts/ erblasst/ ich höre noch sein Flehen/
wie ihn/ ohn Gegenneid/ deß Höchsten Huld vergnügt.
Schmertz
Der Reuige Kain.
ſo manche Koͤrnlein Sands am ſchroffen Uffer naſſen
ſo manche Suͤnd’ enthaͤlt die Moͤrders Suͤnd’ allein.
Die Furcht/ die blaſſe Furcht hat mich nun gar umb-
fangen:
Dann GOtt/ der groſſe GOtt iſt auch mein groſſer
Feind.
Was ſag’ ich? meine Wort/ mein Wuͤnſchen und Ver-
langen
entfuͤhrt der leichte Wind. Was mir entgegẽ ſcheint/
das drauet mir den Tod: Der Fluß will mich ertraͤnkẽ
der Felſen ſtuͤrtzen ab; mir draut der Loͤwen Stimm/
und jeder Baum im Wald der ſagt mir vom erhenken
ſo duͤnkt mich kein Geſchoͤpf ohn Waſſen/ Nach’und
Grimm.
Wann ich das blaue Feld deß Himmels will beſchauẽ/
ſo heiſchet es von mir deß Abels Lebensgeiſt.
Die Schloſſen/ Hagel/ Blitz und rauen Donner drauẽ/
Die Erd mit Blut beſchaͤmt/ den tieffſten Abgrund
weiſt/
So/ daß mich iedes Blat vom Wind erreget ſchrecket.
Jch raſe ſonder Raſt und raiſe fort und fort.
Der Furchte Wnt und Rut mich aus dem Schlaffe
wecket
mich plagt und jagt die Welt von dem/ zu jenem
Ort:’
und ob ich gleich entflieh’und nicht bin an der Staͤtte
dar ich den Mord veruͤbt; ſo hoͤr’ ich doch den Schall/
der mit der Felſen Grufft rufft gleichſam in die Wette
und toͤnet fort und fort von Mord und Mord im
Thal.
Wann mir der erſte Schlaff die Augen kaum geſchloſſẽ
ſo ſchau’ ich in dem Traum/ wie Abel fuͤr mir ligt.
Halb todt/ voll Bluts/ erblaſſt/ ich hoͤre noch ſein Flehẽ/
wie ihn/ ohn Gegenneid/ deß Hoͤchſtẽ Huld vergnuͤgt.
Schmertz
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[511[509]/0541] Der Reuige Kain. ſo manche Koͤrnlein Sands am ſchroffen Uffer naſſen ſo manche Suͤnd’ enthaͤlt die Moͤrders Suͤnd’ allein. Die Furcht/ die blaſſe Furcht hat mich nun gar umb- fangen: Dann GOtt/ der groſſe GOtt iſt auch mein groſſer Feind. Was ſag’ ich? meine Wort/ mein Wuͤnſchen und Ver- langen entfuͤhrt der leichte Wind. Was mir entgegẽ ſcheint/ das drauet mir den Tod: Der Fluß will mich ertraͤnkẽ der Felſen ſtuͤrtzen ab; mir draut der Loͤwen Stimm/ und jeder Baum im Wald der ſagt mir vom erhenken ſo duͤnkt mich kein Geſchoͤpf ohn Waſſen/ Nach’und Grimm. Wann ich das blaue Feld deß Himmels will beſchauẽ/ ſo heiſchet es von mir deß Abels Lebensgeiſt. Die Schloſſen/ Hagel/ Blitz und rauen Donner drauẽ/ Die Erd mit Blut beſchaͤmt/ den tieffſten Abgrund weiſt/ So/ daß mich iedes Blat vom Wind erreget ſchrecket. Jch raſe ſonder Raſt und raiſe fort und fort. Der Furchte Wnt und Rut mich aus dem Schlaffe wecket mich plagt und jagt die Welt von dem/ zu jenem Ort:’ und ob ich gleich entflieh’und nicht bin an der Staͤtte dar ich den Mord veruͤbt; ſo hoͤr’ ich doch den Schall/ der mit der Felſen Grufft rufft gleichſam in die Wette und toͤnet fort und fort von Mord und Mord im Thal. Wann mir der erſte Schlaff die Augen kaum geſchloſſẽ ſo ſchau’ ich in dem Traum/ wie Abel fuͤr mir ligt. Halb todt/ voll Bluts/ erblaſſt/ ich hoͤre noch ſein Flehẽ/ wie ihn/ ohn Gegenneid/ deß Hoͤchſtẽ Huld vergnuͤgt. Schmertz

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653, S. 511[509]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653/541>, abgerufen am 25.04.2024.