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Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.

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II.

An einem Junimorgen gegen sieben Uhr
kam Thiel aus dem Dienst. Seine Frau hatte
nicht so bald ihre Begrüßung beendet, als sie
schon in gewohnter Weise zu lamentieren begann.
Der Pachtacker, welcher bisher den Kartoffel¬
bedarf der Familie gedeckt hatte, war vor Wochen
gekündigt worden, ohne daß es Lenen bisher
gelungen war, einen Ersatz dafür ausfindig zu
machen. Wenngleich nun die Sorge um den
Acker zu ihren Obliegenheiten gehörte, so mußte
doch Thiel einmal übers andere hören, daß
niemand als er daran schuld sei, wenn man in
diesem Jahre zehn Sack Kartoffeln für schweres
Geld kaufen müsse. Thiel brummte nur und
begab sich, Lenens Reden wenig Beachtung
schenkend, sogleich an das Bett seines Aeltesten,
welches er in den Nächten, wo er nicht im
Dienst war, mit ihm teilte. Hier ließ er sich
nieder und beobachtete mit einem sorglichen
Ausdruck seines guten Gesichts das schlafende
Kind, welches er, nachdem er die zudringlichen
Fliegen eine Weile von ihm abgehalten, schlie߬
lich weckte. In den blauen, tiefliegenden Augen
des Erwachenden malte sich eine rührende Freude,
er griff hastig nach der Hand des Vaters, indes

II.

An einem Junimorgen gegen ſieben Uhr
kam Thiel aus dem Dienſt. Seine Frau hatte
nicht ſo bald ihre Begrüßung beendet, als ſie
ſchon in gewohnter Weiſe zu lamentieren begann.
Der Pachtacker, welcher bisher den Kartoffel¬
bedarf der Familie gedeckt hatte, war vor Wochen
gekündigt worden, ohne daß es Lenen bisher
gelungen war, einen Erſatz dafür ausfindig zu
machen. Wenngleich nun die Sorge um den
Acker zu ihren Obliegenheiten gehörte, ſo mußte
doch Thiel einmal übers andere hören, daß
niemand als er daran ſchuld ſei, wenn man in
dieſem Jahre zehn Sack Kartoffeln für ſchweres
Geld kaufen müſſe. Thiel brummte nur und
begab ſich, Lenens Reden wenig Beachtung
ſchenkend, ſogleich an das Bett ſeines Aelteſten,
welches er in den Nächten, wo er nicht im
Dienſt war, mit ihm teilte. Hier ließ er ſich
nieder und beobachtete mit einem ſorglichen
Ausdruck ſeines guten Geſichts das ſchlafende
Kind, welches er, nachdem er die zudringlichen
Fliegen eine Weile von ihm abgehalten, ſchlie߬
lich weckte. In den blauen, tiefliegenden Augen
des Erwachenden malte ſich eine rührende Freude,
er griff haſtig nach der Hand des Vaters, indes

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[12/0024] II. An einem Junimorgen gegen ſieben Uhr kam Thiel aus dem Dienſt. Seine Frau hatte nicht ſo bald ihre Begrüßung beendet, als ſie ſchon in gewohnter Weiſe zu lamentieren begann. Der Pachtacker, welcher bisher den Kartoffel¬ bedarf der Familie gedeckt hatte, war vor Wochen gekündigt worden, ohne daß es Lenen bisher gelungen war, einen Erſatz dafür ausfindig zu machen. Wenngleich nun die Sorge um den Acker zu ihren Obliegenheiten gehörte, ſo mußte doch Thiel einmal übers andere hören, daß niemand als er daran ſchuld ſei, wenn man in dieſem Jahre zehn Sack Kartoffeln für ſchweres Geld kaufen müſſe. Thiel brummte nur und begab ſich, Lenens Reden wenig Beachtung ſchenkend, ſogleich an das Bett ſeines Aelteſten, welches er in den Nächten, wo er nicht im Dienſt war, mit ihm teilte. Hier ließ er ſich nieder und beobachtete mit einem ſorglichen Ausdruck ſeines guten Geſichts das ſchlafende Kind, welches er, nachdem er die zudringlichen Fliegen eine Weile von ihm abgehalten, ſchlie߬ lich weckte. In den blauen, tiefliegenden Augen des Erwachenden malte ſich eine rührende Freude, er griff haſtig nach der Hand des Vaters, indes

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/24>, abgerufen am 28.03.2024.