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Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.

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gerafften Röcke ließen die breiten Hüften noch
breiter erscheinen. Eine Kraft schien von dem
Weibe auszugehen, unbezwingbar, unentrinnbar,
der Thiel sich nicht gewachsen fühlte.

Leicht, gleich einem feinen Spinngewebe und
doch fest, wie ein Netz von Eisen legte es sich
um ihn, fesselnd, überwindend, erschlaffend. Er
hätte in diesem Zustand überhaupt kein Wort
an sie zu richten vermocht, am allerwenigsten
ein hartes, und so mußte Tobias, der Thränen
gebadet und verängstet in einer Ecke hockte, sehen,
wie der Vater, ohne auch nur weiter nach ihm
umzuschauen, das vergess'ne Brot von der Ofen¬
bank nahm, es der Mutter als einzige Erklärung
hinhielt und mit einem kurzen, zerstreuten Kopf¬
nicken sogleich wieder verschwand.


III.

Obgleich Thiel den Weg in seine Waldein¬
samkeit mit möglichster Eile zurücklegte, kam er
doch erst fünfzehn Minuten nach der ordnungs¬
mäßigen Zeit an den Ort seiner Bestimmung.

Der Hilfswärter, ein infolge des bei seinem
Dienst unumgänglichen, schnellen Temperatur¬

gerafften Röcke ließen die breiten Hüften noch
breiter erſcheinen. Eine Kraft ſchien von dem
Weibe auszugehen, unbezwingbar, unentrinnbar,
der Thiel ſich nicht gewachſen fühlte.

Leicht, gleich einem feinen Spinngewebe und
doch feſt, wie ein Netz von Eiſen legte es ſich
um ihn, feſſelnd, überwindend, erſchlaffend. Er
hätte in dieſem Zuſtand überhaupt kein Wort
an ſie zu richten vermocht, am allerwenigſten
ein hartes, und ſo mußte Tobias, der Thränen
gebadet und verängſtet in einer Ecke hockte, ſehen,
wie der Vater, ohne auch nur weiter nach ihm
umzuſchauen, das vergeſſ'ne Brot von der Ofen¬
bank nahm, es der Mutter als einzige Erklärung
hinhielt und mit einem kurzen, zerſtreuten Kopf¬
nicken ſogleich wieder verſchwand.


III.

Obgleich Thiel den Weg in ſeine Waldein¬
ſamkeit mit möglichſter Eile zurücklegte, kam er
doch erſt fünfzehn Minuten nach der ordnungs¬
mäßigen Zeit an den Ort ſeiner Beſtimmung.

Der Hilfswärter, ein infolge des bei ſeinem
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[23/0035] gerafften Röcke ließen die breiten Hüften noch breiter erſcheinen. Eine Kraft ſchien von dem Weibe auszugehen, unbezwingbar, unentrinnbar, der Thiel ſich nicht gewachſen fühlte. Leicht, gleich einem feinen Spinngewebe und doch feſt, wie ein Netz von Eiſen legte es ſich um ihn, feſſelnd, überwindend, erſchlaffend. Er hätte in dieſem Zuſtand überhaupt kein Wort an ſie zu richten vermocht, am allerwenigſten ein hartes, und ſo mußte Tobias, der Thränen gebadet und verängſtet in einer Ecke hockte, ſehen, wie der Vater, ohne auch nur weiter nach ihm umzuſchauen, das vergeſſ'ne Brot von der Ofen¬ bank nahm, es der Mutter als einzige Erklärung hinhielt und mit einem kurzen, zerſtreuten Kopf¬ nicken ſogleich wieder verſchwand. III. Obgleich Thiel den Weg in ſeine Waldein¬ ſamkeit mit möglichſter Eile zurücklegte, kam er doch erſt fünfzehn Minuten nach der ordnungs¬ mäßigen Zeit an den Ort ſeiner Beſtimmung. Der Hilfswärter, ein infolge des bei ſeinem Dienſt unumgänglichen, ſchnellen Temperatur¬

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/35>, abgerufen am 19.04.2024.