Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

"Aber, frommer Pilgram, eine solche Suppe kann euch doch unmöglich Kraft geben!" So antwortete er: Ey, wenn ihr anstatt des Wassers wolltet Fleischbrühe dazu nehmen, so wärs freylich nahrhafter. Brachte nun die Wirthin eine solche Suppe, und sagte: "Die Tünklein sind doch nicht so gar weich worden", so sagte er: Ja, und die Brühe sieht gar dünn aus. Hättet ihr nicht ein paar Gabeln voll Gemüß darein, oder ein Stücklein Fleisch, oder beydes? Wenn ihm nun die mitleidige Wirthin auch noch Gemüß und Fleisch in die Schüssel legte, so sagte er: "Vergelts euch Gott! Gebt mir jezt Brod, so will ich die Suppe essen." Hierauf streifte er die Ermel seines Pilgergewandes zurück, sezte sich, und grif an das Werk mit Freuden, und wenn er Brod und Wein und Fleisch und Gemüß und die Fleischbrühe aufgezehrt hatte bis auf den lezten Brosamen, Faser und Tropfen, so wischte er den Mund am Tischtuch oder an dem Ermel ab, oder auch gar nicht, und sagte: "Frau Wirthin, eure Suppe hat mich rechtschaffen gesättigt, so daß ich die schönen Kieselsteine nicht einmal mehr zwingen kann. Es ist schade dafür! Aber hebt sie auf. Wenn ich wieder komme, so will ich euch eine heilige Muschel mitbringen ab dem Meeresstrand von Ascalon, oder eine Rose von Jericho."


Untreue schlägt den eigenen Herrn.

Als in dem Krieg zwischen Frankreich und Preußen ein Theil der französischen Armee nach Schlesien einrückte, waren auch Truppen vom rheinischen Bundesheer dabey, und ein baierischer oder württembergischer

„Aber, frommer Pilgram, eine solche Suppe kann euch doch unmöglich Kraft geben!“ So antwortete er: Ey, wenn ihr anstatt des Wassers wolltet Fleischbrühe dazu nehmen, so wärs freylich nahrhafter. Brachte nun die Wirthin eine solche Suppe, und sagte: „Die Tünklein sind doch nicht so gar weich worden“, so sagte er: Ja, und die Brühe sieht gar dünn aus. Hättet ihr nicht ein paar Gabeln voll Gemüß darein, oder ein Stücklein Fleisch, oder beydes? Wenn ihm nun die mitleidige Wirthin auch noch Gemüß und Fleisch in die Schüssel legte, so sagte er: „Vergelts euch Gott! Gebt mir jezt Brod, so will ich die Suppe essen.“ Hierauf streifte er die Ermel seines Pilgergewandes zurück, sezte sich, und grif an das Werk mit Freuden, und wenn er Brod und Wein und Fleisch und Gemüß und die Fleischbrühe aufgezehrt hatte bis auf den lezten Brosamen, Faser und Tropfen, so wischte er den Mund am Tischtuch oder an dem Ermel ab, oder auch gar nicht, und sagte: „Frau Wirthin, eure Suppe hat mich rechtschaffen gesättigt, so daß ich die schönen Kieselsteine nicht einmal mehr zwingen kann. Es ist schade dafür! Aber hebt sie auf. Wenn ich wieder komme, so will ich euch eine heilige Muschel mitbringen ab dem Meeresstrand von Ascalon, oder eine Rose von Jericho.“


Untreue schlägt den eigenen Herrn.

Als in dem Krieg zwischen Frankreich und Preußen ein Theil der französischen Armee nach Schlesien einrückte, waren auch Truppen vom rheinischen Bundesheer dabey, und ein baierischer oder württembergischer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0136" n="128"/>
&#x201E;Aber, frommer Pilgram, eine solche Suppe kann euch doch unmöglich Kraft geben!&#x201C; So antwortete er: Ey, wenn ihr anstatt des Wassers wolltet Fleischbrühe dazu nehmen, so wärs freylich nahrhafter. Brachte nun die Wirthin eine solche Suppe, und sagte: &#x201E;Die Tünklein sind doch nicht so gar weich worden&#x201C;, so sagte er: Ja, und die Brühe sieht gar dünn aus. Hättet ihr nicht ein paar Gabeln voll Gemüß darein, oder ein Stücklein Fleisch, oder beydes? Wenn ihm nun die mitleidige Wirthin auch noch Gemüß und Fleisch in die Schüssel legte, so sagte er: &#x201E;Vergelts euch Gott! Gebt mir jezt Brod, so will ich die Suppe essen.&#x201C; Hierauf streifte er die Ermel seines Pilgergewandes zurück, sezte sich, und grif an das Werk mit Freuden, und wenn er Brod und Wein und Fleisch und Gemüß und die Fleischbrühe aufgezehrt hatte bis auf den lezten Brosamen, Faser und Tropfen, so wischte er den Mund am Tischtuch oder an dem Ermel ab, oder auch gar nicht, und sagte: &#x201E;Frau Wirthin, eure Suppe hat mich rechtschaffen gesättigt, so daß ich die schönen Kieselsteine nicht einmal mehr zwingen kann. Es ist schade dafür! Aber hebt sie auf. Wenn ich wieder komme, so will ich euch eine heilige Muschel mitbringen ab dem Meeresstrand von Ascalon, oder eine Rose von Jericho.&#x201C;</p>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head>Untreue schlägt den eigenen Herrn.</head><lb/>
        <p>Als in dem Krieg zwischen Frankreich und Preußen ein Theil der französischen Armee nach Schlesien einrückte, waren auch Truppen vom rheinischen Bundesheer dabey, und ein baierischer oder württembergischer
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0136] „Aber, frommer Pilgram, eine solche Suppe kann euch doch unmöglich Kraft geben!“ So antwortete er: Ey, wenn ihr anstatt des Wassers wolltet Fleischbrühe dazu nehmen, so wärs freylich nahrhafter. Brachte nun die Wirthin eine solche Suppe, und sagte: „Die Tünklein sind doch nicht so gar weich worden“, so sagte er: Ja, und die Brühe sieht gar dünn aus. Hättet ihr nicht ein paar Gabeln voll Gemüß darein, oder ein Stücklein Fleisch, oder beydes? Wenn ihm nun die mitleidige Wirthin auch noch Gemüß und Fleisch in die Schüssel legte, so sagte er: „Vergelts euch Gott! Gebt mir jezt Brod, so will ich die Suppe essen.“ Hierauf streifte er die Ermel seines Pilgergewandes zurück, sezte sich, und grif an das Werk mit Freuden, und wenn er Brod und Wein und Fleisch und Gemüß und die Fleischbrühe aufgezehrt hatte bis auf den lezten Brosamen, Faser und Tropfen, so wischte er den Mund am Tischtuch oder an dem Ermel ab, oder auch gar nicht, und sagte: „Frau Wirthin, eure Suppe hat mich rechtschaffen gesättigt, so daß ich die schönen Kieselsteine nicht einmal mehr zwingen kann. Es ist schade dafür! Aber hebt sie auf. Wenn ich wieder komme, so will ich euch eine heilige Muschel mitbringen ab dem Meeresstrand von Ascalon, oder eine Rose von Jericho.“ Untreue schlägt den eigenen Herrn. Als in dem Krieg zwischen Frankreich und Preußen ein Theil der französischen Armee nach Schlesien einrückte, waren auch Truppen vom rheinischen Bundesheer dabey, und ein baierischer oder württembergischer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-12-03T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-12-03T13:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-12-03T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811/136
Zitationshilfe: Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811/136>, abgerufen am 19.04.2024.