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Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811.

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Kirchhof und ihn die Bergleute holten, schloß sie ein Kästlein auf legte sie ihm das schwarzseidene Halstuch mit rothen Streifen um, und begleitete ihn alsdann in ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr Hochzeittag und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre. Denn als man ihn auf dem Kirchhof ins Grab legte, sagte sie: "Schlafe nun wohl, noch einen Tag oder zehen im kühlen Hochzeitbett, und laß dir die Zeit nicht lange werden. Ich habe nur noch wenig zu thun, und komme bald, und bald wirds wieder Tag. - Was die Erde einmal wieder gegeben hat, wird sie zum zweytenmal auch nicht behalten," sagte sie, als sie fortgieng, und noch einmal umschaute.


Andreas Hofer.

Als im letzten Krieg die Franzosen und Oestreicher in der Nachbarschaft von Tirol alle Händevoll mit einander zu thun hatten, dachten die Tiroler: Im Trüben ist gut fischen. Sie wollten nimmer bayrisch seyn. Viel Köpfe, viele Sinne, manchmal gar keiner. Sie wußten zuletzt selber nimmer recht was sie wollten. Unterdessen läuteten in allen Thälern die Sturmglocken. Von allen Bergen herab kamen die Schützen mit ihren Stutzen. Jung und alt, Mann und Weib griff zu den Waffen. Die Bayern und Franzosen hatten harten Stand; besonders in den engen Pässen, wenn Felsenstücke wie kleine Häuser so groß auf sie herabflogen. Bald glücklich bald unglücklich in ihren Gefechten, nahmen die Rebellen bald Inspruck ein, die Hauptstadt in Tirol; bald mußten sie sie wieder verlassen; bekamen sie wieder und konnten sie doch nicht behalten. Ungeheure Grausamkeiten wurden verübt, nicht nur an den bayerischen Beamten und Unterthanen, nein auch an den eigenen Landsleuten; Vogel friß oder stirb. Wer nicht mitmachen wollte war des Lebens nicht sicher. Endlich als manches schöne Dorf und Städtlein in der Asche lag, mancher wohlhabende Mann war ein Bettler, mancher leichtsinnige und rasende verlor sein Leben; jedes Dorf, fast jedes Haus hatte seine Leichen, seine Wunden und seinen Jammer,

Kirchhof und ihn die Bergleute holten, schloß sie ein Kästlein auf legte sie ihm das schwarzseidene Halstuch mit rothen Streifen um, und begleitete ihn alsdann in ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr Hochzeittag und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre. Denn als man ihn auf dem Kirchhof ins Grab legte, sagte sie: „Schlafe nun wohl, noch einen Tag oder zehen im kühlen Hochzeitbett, und laß dir die Zeit nicht lange werden. Ich habe nur noch wenig zu thun, und komme bald, und bald wirds wieder Tag. – Was die Erde einmal wieder gegeben hat, wird sie zum zweytenmal auch nicht behalten,“ sagte sie, als sie fortgieng, und noch einmal umschaute.


Andreas Hofer.

Als im letzten Krieg die Franzosen und Oestreicher in der Nachbarschaft von Tirol alle Händevoll mit einander zu thun hatten, dachten die Tiroler: Im Trüben ist gut fischen. Sie wollten nimmer bayrisch seyn. Viel Köpfe, viele Sinne, manchmal gar keiner. Sie wußten zuletzt selber nimmer recht was sie wollten. Unterdessen läuteten in allen Thälern die Sturmglocken. Von allen Bergen herab kamen die Schützen mit ihren Stutzen. Jung und alt, Mann und Weib griff zu den Waffen. Die Bayern und Franzosen hatten harten Stand; besonders in den engen Pässen, wenn Felsenstücke wie kleine Häuser so groß auf sie herabflogen. Bald glücklich bald unglücklich in ihren Gefechten, nahmen die Rebellen bald Inspruck ein, die Hauptstadt in Tirol; bald mußten sie sie wieder verlassen; bekamen sie wieder und konnten sie doch nicht behalten. Ungeheure Grausamkeiten wurden verübt, nicht nur an den bayerischen Beamten und Unterthanen, nein auch an den eigenen Landsleuten; Vogel friß oder stirb. Wer nicht mitmachen wollte war des Lebens nicht sicher. Endlich als manches schöne Dorf und Städtlein in der Asche lag, mancher wohlhabende Mann war ein Bettler, mancher leichtsinnige und rasende verlor sein Leben; jedes Dorf, fast jedes Haus hatte seine Leichen, seine Wunden und seinen Jammer,

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[294/0302] Kirchhof und ihn die Bergleute holten, schloß sie ein Kästlein auf legte sie ihm das schwarzseidene Halstuch mit rothen Streifen um, und begleitete ihn alsdann in ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr Hochzeittag und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre. Denn als man ihn auf dem Kirchhof ins Grab legte, sagte sie: „Schlafe nun wohl, noch einen Tag oder zehen im kühlen Hochzeitbett, und laß dir die Zeit nicht lange werden. Ich habe nur noch wenig zu thun, und komme bald, und bald wirds wieder Tag. – Was die Erde einmal wieder gegeben hat, wird sie zum zweytenmal auch nicht behalten,“ sagte sie, als sie fortgieng, und noch einmal umschaute. Andreas Hofer. Als im letzten Krieg die Franzosen und Oestreicher in der Nachbarschaft von Tirol alle Händevoll mit einander zu thun hatten, dachten die Tiroler: Im Trüben ist gut fischen. Sie wollten nimmer bayrisch seyn. Viel Köpfe, viele Sinne, manchmal gar keiner. Sie wußten zuletzt selber nimmer recht was sie wollten. Unterdessen läuteten in allen Thälern die Sturmglocken. Von allen Bergen herab kamen die Schützen mit ihren Stutzen. Jung und alt, Mann und Weib griff zu den Waffen. Die Bayern und Franzosen hatten harten Stand; besonders in den engen Pässen, wenn Felsenstücke wie kleine Häuser so groß auf sie herabflogen. Bald glücklich bald unglücklich in ihren Gefechten, nahmen die Rebellen bald Inspruck ein, die Hauptstadt in Tirol; bald mußten sie sie wieder verlassen; bekamen sie wieder und konnten sie doch nicht behalten. Ungeheure Grausamkeiten wurden verübt, nicht nur an den bayerischen Beamten und Unterthanen, nein auch an den eigenen Landsleuten; Vogel friß oder stirb. Wer nicht mitmachen wollte war des Lebens nicht sicher. Endlich als manches schöne Dorf und Städtlein in der Asche lag, mancher wohlhabende Mann war ein Bettler, mancher leichtsinnige und rasende verlor sein Leben; jedes Dorf, fast jedes Haus hatte seine Leichen, seine Wunden und seinen Jammer,

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Zitationshilfe: Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811/302>, abgerufen am 19.04.2024.