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Heckert, Adolph (Hrsg.): Handbuch der Schulgesetzgebung Preußens. Berlin, 1847.

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der Schüler entziehe, sondern auch derselben durch ein todtes Formel-
wesen positiv nachtheilig werde.

Je weniger sich bis jetzt die verschiedenen Ansichten über die Er-
theilung des deutschen Unterrichts in den höheren Lehranstalten geeinigt
haben, desto nothwendiger ist es, diejenigen Versuche aus denselben
fern zu halten, welche durch die Erfahrung sowohl, als durch eine
richtige Würdigung derselben als unfruchtbar oder gar nachtheilig er-
kannt werden. Dahin gehört der in manchen Anstalten übliche theo-
retische grammatische Unterricht in der Muttersprache, welcher die
deutsche Sprache, den Schülern gegenüber, gleichsam als eine fremde,
erst noch zu erlernende betrachtet, oder die natürliche Aeußerung der
Sprachthätigkeit von dem Standpunkte eines philosophischen gram-
matischen Systems und zu einer bewußten zu erheben sucht, und häufig
schon in der Behandlung des Gegenstandes von Seiten des Lehrers,
sowie in der sich kund gebenden Theilnahmlosigkeit der Schüler seine
Unzweckmäßigkeit zu erkennen giebt. Während der lateinische Unter-
richt am natürlichsten Gelegenheit darbietet, den Knaben an dieser ihm
fremden Sprache grammatische Formen und Verhältnisse anschauen
und auffassen zu lassen, und ihn bei fortschreitender Entwickelung anzu-
leiten, die so erworbenen Kenntnisse allmählig und besonders, wenn
ihm das Verständniß der an Formen und feinen Unterscheidungen noch
reicheren griechischen Sprache eröffnet wird, zu solchen zu erheben,
welche auf dem sprachlichen Gebiete allgemeine Gültigkeit haben: deutet
das Königl. Provinzial-Schulcollegium zu Coblenz mit Recht darauf
hin, daß der deutsche Unterricht überall die Aufgabe zu verfolgen habe,
die Muttersprache in geeigneten, für das jedesmalige Alter der Schüler
angemessenen Musterstücken zur lebendigen Anschauung zu
bringen und dadurch die sichere Aneignung der Sprache zu fördern.
Wird auf diese Weise die natürliche Sprachentwickelung unterstützt, so
wird es niemals an Veranlassung fehlen, beim Lesen das Fehlerhafte
in der Aussprache zu entfernen, auf die richtige Formenbildung auf-
merksam zu machen, die Orthographie zu befestigen, Natürlichkeit und
Wahrheit des Ausdrucks zu befördern, überhaupt das Sprachgefühl
ohne ein dürres Analysiren der einzelnen Wörter und Sätze immer
mehr auszubilden und zu schärfen.

Sowie unlängst die gedankenreiche Schrift von Hiecke der näheren
Prüfung empfohlen worden ist, so sehe ich mich jetzt veranlaßt, auf

der Schüler entziehe, ſondern auch derſelben durch ein todtes Formel-
weſen poſitiv nachtheilig werde.

Je weniger ſich bis jetzt die verſchiedenen Anſichten über die Er-
theilung des deutſchen Unterrichts in den höheren Lehranſtalten geeinigt
haben, deſto nothwendiger iſt es, diejenigen Verſuche aus denſelben
fern zu halten, welche durch die Erfahrung ſowohl, als durch eine
richtige Würdigung derſelben als unfruchtbar oder gar nachtheilig er-
kannt werden. Dahin gehört der in manchen Anſtalten übliche theo-
retiſche grammatiſche Unterricht in der Mutterſprache, welcher die
deutſche Sprache, den Schülern gegenüber, gleichſam als eine fremde,
erſt noch zu erlernende betrachtet, oder die natürliche Aeußerung der
Sprachthätigkeit von dem Standpunkte eines philoſophiſchen gram-
matiſchen Syſtems und zu einer bewußten zu erheben ſucht, und häufig
ſchon in der Behandlung des Gegenſtandes von Seiten des Lehrers,
ſowie in der ſich kund gebenden Theilnahmloſigkeit der Schüler ſeine
Unzweckmäßigkeit zu erkennen giebt. Während der lateiniſche Unter-
richt am natürlichſten Gelegenheit darbietet, den Knaben an dieſer ihm
fremden Sprache grammatiſche Formen und Verhältniſſe anſchauen
und auffaſſen zu laſſen, und ihn bei fortſchreitender Entwickelung anzu-
leiten, die ſo erworbenen Kenntniſſe allmählig und beſonders, wenn
ihm das Verſtändniß der an Formen und feinen Unterſcheidungen noch
reicheren griechiſchen Sprache eröffnet wird, zu ſolchen zu erheben,
welche auf dem ſprachlichen Gebiete allgemeine Gültigkeit haben: deutet
das Königl. Provinzial-Schulcollegium zu Coblenz mit Recht darauf
hin, daß der deutſche Unterricht überall die Aufgabe zu verfolgen habe,
die Mutterſprache in geeigneten, für das jedesmalige Alter der Schüler
angemeſſenen Muſterſtücken zur lebendigen Anſchauung zu
bringen und dadurch die ſichere Aneignung der Sprache zu fördern.
Wird auf dieſe Weiſe die natürliche Sprachentwickelung unterſtützt, ſo
wird es niemals an Veranlaſſung fehlen, beim Leſen das Fehlerhafte
in der Ausſprache zu entfernen, auf die richtige Formenbildung auf-
merkſam zu machen, die Orthographie zu befeſtigen, Natürlichkeit und
Wahrheit des Ausdrucks zu befördern, überhaupt das Sprachgefühl
ohne ein dürres Analyſiren der einzelnen Wörter und Sätze immer
mehr auszubilden und zu ſchärfen.

Sowie unlängſt die gedankenreiche Schrift von Hiecke der näheren
Prüfung empfohlen worden iſt, ſo ſehe ich mich jetzt veranlaßt, auf

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[167/0181] der Schüler entziehe, ſondern auch derſelben durch ein todtes Formel- weſen poſitiv nachtheilig werde. Je weniger ſich bis jetzt die verſchiedenen Anſichten über die Er- theilung des deutſchen Unterrichts in den höheren Lehranſtalten geeinigt haben, deſto nothwendiger iſt es, diejenigen Verſuche aus denſelben fern zu halten, welche durch die Erfahrung ſowohl, als durch eine richtige Würdigung derſelben als unfruchtbar oder gar nachtheilig er- kannt werden. Dahin gehört der in manchen Anſtalten übliche theo- retiſche grammatiſche Unterricht in der Mutterſprache, welcher die deutſche Sprache, den Schülern gegenüber, gleichſam als eine fremde, erſt noch zu erlernende betrachtet, oder die natürliche Aeußerung der Sprachthätigkeit von dem Standpunkte eines philoſophiſchen gram- matiſchen Syſtems und zu einer bewußten zu erheben ſucht, und häufig ſchon in der Behandlung des Gegenſtandes von Seiten des Lehrers, ſowie in der ſich kund gebenden Theilnahmloſigkeit der Schüler ſeine Unzweckmäßigkeit zu erkennen giebt. Während der lateiniſche Unter- richt am natürlichſten Gelegenheit darbietet, den Knaben an dieſer ihm fremden Sprache grammatiſche Formen und Verhältniſſe anſchauen und auffaſſen zu laſſen, und ihn bei fortſchreitender Entwickelung anzu- leiten, die ſo erworbenen Kenntniſſe allmählig und beſonders, wenn ihm das Verſtändniß der an Formen und feinen Unterſcheidungen noch reicheren griechiſchen Sprache eröffnet wird, zu ſolchen zu erheben, welche auf dem ſprachlichen Gebiete allgemeine Gültigkeit haben: deutet das Königl. Provinzial-Schulcollegium zu Coblenz mit Recht darauf hin, daß der deutſche Unterricht überall die Aufgabe zu verfolgen habe, die Mutterſprache in geeigneten, für das jedesmalige Alter der Schüler angemeſſenen Muſterſtücken zur lebendigen Anſchauung zu bringen und dadurch die ſichere Aneignung der Sprache zu fördern. Wird auf dieſe Weiſe die natürliche Sprachentwickelung unterſtützt, ſo wird es niemals an Veranlaſſung fehlen, beim Leſen das Fehlerhafte in der Ausſprache zu entfernen, auf die richtige Formenbildung auf- merkſam zu machen, die Orthographie zu befeſtigen, Natürlichkeit und Wahrheit des Ausdrucks zu befördern, überhaupt das Sprachgefühl ohne ein dürres Analyſiren der einzelnen Wörter und Sätze immer mehr auszubilden und zu ſchärfen. Sowie unlängſt die gedankenreiche Schrift von Hiecke der näheren Prüfung empfohlen worden iſt, ſo ſehe ich mich jetzt veranlaßt, auf

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Zitationshilfe: Heckert, Adolph (Hrsg.): Handbuch der Schulgesetzgebung Preußens. Berlin, 1847, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heckert_schulgesetzgebung_1847/181>, abgerufen am 24.04.2024.