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Heckert, Adolph (Hrsg.): Handbuch der Schulgesetzgebung Preußens. Berlin, 1847.

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schaftlichen und sittlichen Ausbildung noch nicht für reif erkennt, nach
vorhergegangener Berathung mit seinen Collegen, den Eltern und
Vormündern, sowie auch dem Schüler selbst, sein Urtheil unumwunden
mittheilen und zu verhindern suchen, daß er nicht zu frühe die Schule
verlasse. Wird demungeachtet auf die Prüfung bestanden, und ist der
Schüler bereits ein Jahr lang Mitglied der obersten Classe gewesen,
so darf die Zulassung zur Prüfung nicht verweigert werden.

§. 3. Die Entlassungs-Zeugnisse sind entweder Zeugnisse der Reife
mit den Prädicaten: vorzüglich, oder gut, oder hinreichend
bestanden, oder der Nichtreife mit dem Prädicat: nicht bestanden.

Das Zeugniß der Nichtreife schließt von dem Anspruch auf den
Genuß der im §. 1. a. erwähnten Rechte und Zugeständnisse aus.

§. 4. Das Zeugniß der Reife wird ertheilt, wenn der Geprüfte
in den Haupt-Unterrichtsgegenständen der höheren Bürger- und Real-
schulen vorzüglich, gut und hinreichend bestanden, und über-
haupt in seiner geistigen und sittlichen Ausbildung so weit vorgerückt
ist, daß er für den Eintritt in die für ihn bestimmte Laufbahn hin-
reichend vorbereitet erscheint.

Dazu ist erforderlich:

A. In Hinsicht auf Sprachen:
a) Im Deutschen muß der schriftliche Ausdruck des zu Entlassenden
von grammatischen Fehlern, von Undeutlichkeit und Verwechselung
des Prosaischen und Poetischen frei sein, und im zusammenhän-
genden mündlichen Vortrage, im Disponiren leichter Themata,
eine angemessene Fertigkeit, sowie auch Bekanntschaft mit dem
Bildungsgange der deutschen Literatur, insbesondere mit den
ausgezeichnetsten Schriftstellern seit der Mitte des vorigen Jahr-
hunderts, nachgewiesen werden;
b) im Lateinischen muß der Schüler Fertigkeit besitzen, den Julius
Cäsar und leichtere Stellen des Ovidius und Virgilius zu über-
setzen, die Regeln der Etymologie und Syntax inne haben und
anwenden können, auch mit der Quantität und dem daktylischen
Versmaaße bekannt sein.
c) Im Französischen muß ein Brief oder ein Aufsatz über ein an-
gemessenes Thema richtig geschrieben, eine in Rücksicht auf Inhalt
und Sprache nicht zu schwierige Stelle eines Dichters oder Pro-
saikers mit Geläufigkeit übersetzt, ferner richtige Aussprache und

ſchaftlichen und ſittlichen Ausbildung noch nicht für reif erkennt, nach
vorhergegangener Berathung mit ſeinen Collegen, den Eltern und
Vormündern, ſowie auch dem Schüler ſelbſt, ſein Urtheil unumwunden
mittheilen und zu verhindern ſuchen, daß er nicht zu frühe die Schule
verlaſſe. Wird demungeachtet auf die Prüfung beſtanden, und iſt der
Schüler bereits ein Jahr lang Mitglied der oberſten Claſſe geweſen,
ſo darf die Zulaſſung zur Prüfung nicht verweigert werden.

§. 3. Die Entlaſſungs-Zeugniſſe ſind entweder Zeugniſſe der Reife
mit den Prädicaten: vorzüglich, oder gut, oder hinreichend
beſtanden, oder der Nichtreife mit dem Prädicat: nicht beſtanden.

Das Zeugniß der Nichtreife ſchließt von dem Anſpruch auf den
Genuß der im §. 1. a. erwähnten Rechte und Zugeſtändniſſe aus.

§. 4. Das Zeugniß der Reife wird ertheilt, wenn der Geprüfte
in den Haupt-Unterrichtsgegenſtänden der höheren Bürger- und Real-
ſchulen vorzüglich, gut und hinreichend beſtanden, und über-
haupt in ſeiner geiſtigen und ſittlichen Ausbildung ſo weit vorgerückt
iſt, daß er für den Eintritt in die für ihn beſtimmte Laufbahn hin-
reichend vorbereitet erſcheint.

Dazu iſt erforderlich:

A. In Hinſicht auf Sprachen:
a) Im Deutſchen muß der ſchriftliche Ausdruck des zu Entlaſſenden
von grammatiſchen Fehlern, von Undeutlichkeit und Verwechſelung
des Proſaiſchen und Poetiſchen frei ſein, und im zuſammenhän-
genden mündlichen Vortrage, im Disponiren leichter Themata,
eine angemeſſene Fertigkeit, ſowie auch Bekanntſchaft mit dem
Bildungsgange der deutſchen Literatur, insbeſondere mit den
ausgezeichnetſten Schriftſtellern ſeit der Mitte des vorigen Jahr-
hunderts, nachgewieſen werden;
b) im Lateiniſchen muß der Schüler Fertigkeit beſitzen, den Julius
Cäſar und leichtere Stellen des Ovidius und Virgilius zu über-
ſetzen, die Regeln der Etymologie und Syntax inne haben und
anwenden können, auch mit der Quantität und dem daktyliſchen
Versmaaße bekannt ſein.
c) Im Franzöſiſchen muß ein Brief oder ein Aufſatz über ein an-
gemeſſenes Thema richtig geſchrieben, eine in Rückſicht auf Inhalt
und Sprache nicht zu ſchwierige Stelle eines Dichters oder Pro-
ſaikers mit Geläufigkeit überſetzt, ferner richtige Ausſprache und
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[597/0611] ſchaftlichen und ſittlichen Ausbildung noch nicht für reif erkennt, nach vorhergegangener Berathung mit ſeinen Collegen, den Eltern und Vormündern, ſowie auch dem Schüler ſelbſt, ſein Urtheil unumwunden mittheilen und zu verhindern ſuchen, daß er nicht zu frühe die Schule verlaſſe. Wird demungeachtet auf die Prüfung beſtanden, und iſt der Schüler bereits ein Jahr lang Mitglied der oberſten Claſſe geweſen, ſo darf die Zulaſſung zur Prüfung nicht verweigert werden. §. 3. Die Entlaſſungs-Zeugniſſe ſind entweder Zeugniſſe der Reife mit den Prädicaten: vorzüglich, oder gut, oder hinreichend beſtanden, oder der Nichtreife mit dem Prädicat: nicht beſtanden. Das Zeugniß der Nichtreife ſchließt von dem Anſpruch auf den Genuß der im §. 1. a. erwähnten Rechte und Zugeſtändniſſe aus. §. 4. Das Zeugniß der Reife wird ertheilt, wenn der Geprüfte in den Haupt-Unterrichtsgegenſtänden der höheren Bürger- und Real- ſchulen vorzüglich, gut und hinreichend beſtanden, und über- haupt in ſeiner geiſtigen und ſittlichen Ausbildung ſo weit vorgerückt iſt, daß er für den Eintritt in die für ihn beſtimmte Laufbahn hin- reichend vorbereitet erſcheint. Dazu iſt erforderlich: A. In Hinſicht auf Sprachen: a) Im Deutſchen muß der ſchriftliche Ausdruck des zu Entlaſſenden von grammatiſchen Fehlern, von Undeutlichkeit und Verwechſelung des Proſaiſchen und Poetiſchen frei ſein, und im zuſammenhän- genden mündlichen Vortrage, im Disponiren leichter Themata, eine angemeſſene Fertigkeit, ſowie auch Bekanntſchaft mit dem Bildungsgange der deutſchen Literatur, insbeſondere mit den ausgezeichnetſten Schriftſtellern ſeit der Mitte des vorigen Jahr- hunderts, nachgewieſen werden; b) im Lateiniſchen muß der Schüler Fertigkeit beſitzen, den Julius Cäſar und leichtere Stellen des Ovidius und Virgilius zu über- ſetzen, die Regeln der Etymologie und Syntax inne haben und anwenden können, auch mit der Quantität und dem daktyliſchen Versmaaße bekannt ſein. c) Im Franzöſiſchen muß ein Brief oder ein Aufſatz über ein an- gemeſſenes Thema richtig geſchrieben, eine in Rückſicht auf Inhalt und Sprache nicht zu ſchwierige Stelle eines Dichters oder Pro- ſaikers mit Geläufigkeit überſetzt, ferner richtige Ausſprache und

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Zitationshilfe: Heckert, Adolph (Hrsg.): Handbuch der Schulgesetzgebung Preußens. Berlin, 1847, S. 597. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heckert_schulgesetzgebung_1847/611>, abgerufen am 28.03.2024.