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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 49. Völkerrecht im Zustand des Friedens.
ßig in Collegialweise, oder in gewissen Verhältnissen concurriren 1
oder auch wohl jeder es in solidum auszuüben haben. 2

Erwerbung der Souveränetät im Allgemeinen.

49. Hinsichtlich der Erwerbung der Souveränetät ist dieselbe
eine legitime, wenn die Erlangung ohne Verletzung eines bis da-
hin giltig gewesenen rechtlichen Zustandes und der daran Bethei-
ligten, oder doch mit deren Zustimmung erfolgt ist; sie ist eine illegi-
time, usurpirte, wenn sie mit Verletzung früherer Rechte geschahe;
sie kann aber durch Zustimmung oder gänzliches Erlöschen der frü-
her Berechtigten eine legitime werden. 3 Wo und so lange die
Erwerbung, insbesondere die Legitimität derselben bestritten wird,
vertritt die Thatsache des Souveränetätsbesitzes das Recht des-
selben, und zwar nicht allein für den eigenen Staat, so weit er
jenem Besitz thatsächlich unterworfen ist, sondern auch für aus-
wärtige Staaten, hinsichtlich ihrer Rechtsverhältnisse zu jenem.
Auch die illegitime factische Souveränetät setzt den bisherigen Staat
fort, vertritt ihn und erzeugt ihm Rechte und Verbindlichkeiten für
die Zukunft, 4 unbeschadet der Privatrechte des legitimen Souve-

1 Verhältnisse dieser Art sind selten. Als Beispiel können dienen: die al-
ten deutschen Ganerbschaften und noch jetzt hin und wieder bestehenden Con-
dominate (S. Absch. 2. dieses Buches); die gemeinsame Regierung man-
cher Deutscher Fürstenhäuser für gewisse Angelegenheiten, z. B. der Meck-
lenburgischen, so wie Herzoglich-Sächsischen Linien, die jüngere Linie Reuß,
in einzelnen Beziehungen auch das Haus Lippe. M. s. Klüber, öffentl. R.
d. teutschen B. §. 81. Heffter, Beitr. z. Staats- u. Fürstenr. S. 311.
In Gemeinwesen sind noch größere Verschränkungen der Organe der Staats-
gewalt denkbar.
2 Letzteres kann der Fall sein bei der unbedingten Annahme eines Mitregen-
ten (darüber schon J. J. Moser, Staatsr. XXIV, 236), ohne daß der
Hauptregent auf fortgesetzte Mitregierung verzichtet; bei einer Consularregie-
rung ohne Vertheilung der Functionen. Hier gilt der Grundsatz der l. 25.
D. ad municip.: "Magistratus (plures) cum unum magistratum admi-
nistrent, etiam unius hominis vicem sustinent."
S. auch Hert, de
plurib. hominib. personam unam sustinentib. in Comm. et Op. III,
p.
61. Bis zur Perfection eines Regierungsactes hat dann jeder Mitberech-
tigte ein Recht der Intercession und des Veto.
3 Auf diese einfachen Sätze läßt sich der ganze Streit über Legitimität oder
Illegitimität der Souveräne vor dem Tribunal des Rechts zurückführen.
Vergl. übrigens unten, Buch II. im Kriegsrecht, die Bemerkungen über die
Usurpationen.
4 Denn es ist noch immer derselbe Staat. §. 24. Für Großbritannien ist

§. 49. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
ßig in Collegialweiſe, oder in gewiſſen Verhältniſſen concurriren 1
oder auch wohl jeder es in solidum auszuüben haben. 2

Erwerbung der Souveränetät im Allgemeinen.

49. Hinſichtlich der Erwerbung der Souveränetät iſt dieſelbe
eine legitime, wenn die Erlangung ohne Verletzung eines bis da-
hin giltig geweſenen rechtlichen Zuſtandes und der daran Bethei-
ligten, oder doch mit deren Zuſtimmung erfolgt iſt; ſie iſt eine illegi-
time, uſurpirte, wenn ſie mit Verletzung früherer Rechte geſchahe;
ſie kann aber durch Zuſtimmung oder gänzliches Erlöſchen der frü-
her Berechtigten eine legitime werden. 3 Wo und ſo lange die
Erwerbung, insbeſondere die Legitimität derſelben beſtritten wird,
vertritt die Thatſache des Souveränetätsbeſitzes das Recht des-
ſelben, und zwar nicht allein für den eigenen Staat, ſo weit er
jenem Beſitz thatſächlich unterworfen iſt, ſondern auch für aus-
wärtige Staaten, hinſichtlich ihrer Rechtsverhältniſſe zu jenem.
Auch die illegitime factiſche Souveränetät ſetzt den bisherigen Staat
fort, vertritt ihn und erzeugt ihm Rechte und Verbindlichkeiten für
die Zukunft, 4 unbeſchadet der Privatrechte des legitimen Souve-

1 Verhältniſſe dieſer Art ſind ſelten. Als Beiſpiel können dienen: die al-
ten deutſchen Ganerbſchaften und noch jetzt hin und wieder beſtehenden Con-
dominate (S. Abſch. 2. dieſes Buches); die gemeinſame Regierung man-
cher Deutſcher Fürſtenhäuſer für gewiſſe Angelegenheiten, z. B. der Meck-
lenburgiſchen, ſo wie Herzoglich-Sächſiſchen Linien, die jüngere Linie Reuß,
in einzelnen Beziehungen auch das Haus Lippe. M. ſ. Klüber, öffentl. R.
d. teutſchen B. §. 81. Heffter, Beitr. z. Staats- u. Fürſtenr. S. 311.
In Gemeinweſen ſind noch größere Verſchränkungen der Organe der Staats-
gewalt denkbar.
2 Letzteres kann der Fall ſein bei der unbedingten Annahme eines Mitregen-
ten (darüber ſchon J. J. Moſer, Staatsr. XXIV, 236), ohne daß der
Hauptregent auf fortgeſetzte Mitregierung verzichtet; bei einer Conſularregie-
rung ohne Vertheilung der Functionen. Hier gilt der Grundſatz der l. 25.
D. ad municip.: „Magistratus (plures) cum unum magistratum admi-
nistrent, etiam unius hominis vicem sustinent.“
S. auch Hert, de
plurib. hominib. personam unam sustinentib. in Comm. et Op. III,
p.
61. Bis zur Perfection eines Regierungsactes hat dann jeder Mitberech-
tigte ein Recht der Interceſſion und des Veto.
3 Auf dieſe einfachen Sätze läßt ſich der ganze Streit über Legitimität oder
Illegitimität der Souveräne vor dem Tribunal des Rechts zurückführen.
Vergl. übrigens unten, Buch II. im Kriegsrecht, die Bemerkungen über die
Uſurpationen.
4 Denn es iſt noch immer derſelbe Staat. §. 24. Für Großbritannien iſt
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[91/0115] §. 49. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens. ßig in Collegialweiſe, oder in gewiſſen Verhältniſſen concurriren 1 oder auch wohl jeder es in solidum auszuüben haben. 2 Erwerbung der Souveränetät im Allgemeinen. 49. Hinſichtlich der Erwerbung der Souveränetät iſt dieſelbe eine legitime, wenn die Erlangung ohne Verletzung eines bis da- hin giltig geweſenen rechtlichen Zuſtandes und der daran Bethei- ligten, oder doch mit deren Zuſtimmung erfolgt iſt; ſie iſt eine illegi- time, uſurpirte, wenn ſie mit Verletzung früherer Rechte geſchahe; ſie kann aber durch Zuſtimmung oder gänzliches Erlöſchen der frü- her Berechtigten eine legitime werden. 3 Wo und ſo lange die Erwerbung, insbeſondere die Legitimität derſelben beſtritten wird, vertritt die Thatſache des Souveränetätsbeſitzes das Recht des- ſelben, und zwar nicht allein für den eigenen Staat, ſo weit er jenem Beſitz thatſächlich unterworfen iſt, ſondern auch für aus- wärtige Staaten, hinſichtlich ihrer Rechtsverhältniſſe zu jenem. Auch die illegitime factiſche Souveränetät ſetzt den bisherigen Staat fort, vertritt ihn und erzeugt ihm Rechte und Verbindlichkeiten für die Zukunft, 4 unbeſchadet der Privatrechte des legitimen Souve- 1 Verhältniſſe dieſer Art ſind ſelten. Als Beiſpiel können dienen: die al- ten deutſchen Ganerbſchaften und noch jetzt hin und wieder beſtehenden Con- dominate (S. Abſch. 2. dieſes Buches); die gemeinſame Regierung man- cher Deutſcher Fürſtenhäuſer für gewiſſe Angelegenheiten, z. B. der Meck- lenburgiſchen, ſo wie Herzoglich-Sächſiſchen Linien, die jüngere Linie Reuß, in einzelnen Beziehungen auch das Haus Lippe. M. ſ. Klüber, öffentl. R. d. teutſchen B. §. 81. Heffter, Beitr. z. Staats- u. Fürſtenr. S. 311. In Gemeinweſen ſind noch größere Verſchränkungen der Organe der Staats- gewalt denkbar. 2 Letzteres kann der Fall ſein bei der unbedingten Annahme eines Mitregen- ten (darüber ſchon J. J. Moſer, Staatsr. XXIV, 236), ohne daß der Hauptregent auf fortgeſetzte Mitregierung verzichtet; bei einer Conſularregie- rung ohne Vertheilung der Functionen. Hier gilt der Grundſatz der l. 25. D. ad municip.: „Magistratus (plures) cum unum magistratum admi- nistrent, etiam unius hominis vicem sustinent.“ S. auch Hert, de plurib. hominib. personam unam sustinentib. in Comm. et Op. III, p. 61. Bis zur Perfection eines Regierungsactes hat dann jeder Mitberech- tigte ein Recht der Interceſſion und des Veto. 3 Auf dieſe einfachen Sätze läßt ſich der ganze Streit über Legitimität oder Illegitimität der Souveräne vor dem Tribunal des Rechts zurückführen. Vergl. übrigens unten, Buch II. im Kriegsrecht, die Bemerkungen über die Uſurpationen. 4 Denn es iſt noch immer derſelbe Staat. §. 24. Für Großbritannien iſt

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/115>, abgerufen am 29.03.2024.