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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Erstes Buch. §. 57.
und Verfolgung reiner Privatrechte handelt, auch der Souverän
an die unter Privatpersonen anwendbaren Rechtsnormen gebun-
den; er kann sich selbst auch davon nur dispensiren, so weit er
einen Unterthan davon dispensiren könnte, nicht aber, wo dies der
Sitte des Staates schlechthin widersprechen würde. 1

Verlust der persönlichen Souveränetät.

57. Die persönliche Souveränetät hört auf mit dem Erlöschen
der Person 2 und mit dem Verlust der Staatsgewalt, letzteres für
immer, sobald der Verlust auf einem legitimen Staats- oder völ-
kerrechtlichen Wege eingetreten ist; oder aber vorübergehend, mit
dem Vorbehalt des Postliminium, wenn jener durch einen illega-
len Zwang herbeigeführt wird, z. B. durch Usurpation. 3 Ob ei-
nem abgetretenen Souverän noch die früheren internationalen Rechte
und Ehren verbleiben sollen, hängt lediglich von der Convenienz
der anderen Mächte ab; 4 einem bloß gehinderten kann sie wenig-
stens derjenige Staat nicht versagen, welcher ein Recht desselben
auf Wiederherstellung ausdrücklich anerkennt, wofern nur noch eine
Möglichkeit dazu in Aussicht gestellt werden kann.

Daß übrigens die Acte der Staatsgewalt eines früheren Herr-
schers, welche der Verfassung des regierten Staates entsprechen,
auch für den Nachfolger verbindlich sind, kann gewiß nach inter-
nationalem Recht in keinen Zweifel gezogen werden. 5



und auch in unbeschränkt monarchischen germanischen Staaten ist es nicht
anders. Die Unverletzbarkeit des Regierenden stellt sich allein jeder Zwangs-
maaßregel wider die Person entgegen.
1 Die Gesetze eines Staates sind seine Sitte; das schlechthin Unsittliche kann
aber durch einseitigen Willen nicht sittlich, also auch kein Recht werden.
2 Ein Verstorbener hat keine Rechte mehr. Wohl aber haben die Lebenden,
deren Angehöriger er war, ein Recht, sein Andenken in Ehren zu halten
und zu vertheidigen. L. 1. §. 4. 6. D. de injur.
3 Sedes impedita. Hiervon Buch II, Abschn. 4.
4 Beispiele abgetretener Regenten, denen man noch Königliche Ehren er-
wies, waren Christine von Schweden 1654--1689, welche sogar noch das
Recht der Exterritorialität mit eigener Gerichtsbarkeit in Frankreich in An-
spruch nahm (Bynkershoek, de jud. legat. c. III, 4 u. 16. und de Martens,
N. Causes celebr. t. II. Append. No. IV.
), Stanislaus Lescinsky 1709
-- 1766, K. Carl IV. von Spanien seit 1808, K. Gustav IV. von Schwe-
den, K. Ludwig von Holland.
5 Die Literatur der Frage im weitesten Umfange s. bei Maurenbrecher, Staatsr.
§. 243 b. und Zachariä, Staats- u. Bundesr. §. 58.

Erſtes Buch. §. 57.
und Verfolgung reiner Privatrechte handelt, auch der Souverän
an die unter Privatperſonen anwendbaren Rechtsnormen gebun-
den; er kann ſich ſelbſt auch davon nur dispenſiren, ſo weit er
einen Unterthan davon dispenſiren könnte, nicht aber, wo dies der
Sitte des Staates ſchlechthin widerſprechen würde. 1

Verluſt der perſönlichen Souveränetät.

57. Die perſönliche Souveränetät hört auf mit dem Erlöſchen
der Perſon 2 und mit dem Verluſt der Staatsgewalt, letzteres für
immer, ſobald der Verluſt auf einem legitimen Staats- oder völ-
kerrechtlichen Wege eingetreten iſt; oder aber vorübergehend, mit
dem Vorbehalt des Poſtliminium, wenn jener durch einen illega-
len Zwang herbeigeführt wird, z. B. durch Uſurpation. 3 Ob ei-
nem abgetretenen Souverän noch die früheren internationalen Rechte
und Ehren verbleiben ſollen, hängt lediglich von der Convenienz
der anderen Mächte ab; 4 einem bloß gehinderten kann ſie wenig-
ſtens derjenige Staat nicht verſagen, welcher ein Recht deſſelben
auf Wiederherſtellung ausdrücklich anerkennt, wofern nur noch eine
Möglichkeit dazu in Ausſicht geſtellt werden kann.

Daß übrigens die Acte der Staatsgewalt eines früheren Herr-
ſchers, welche der Verfaſſung des regierten Staates entſprechen,
auch für den Nachfolger verbindlich ſind, kann gewiß nach inter-
nationalem Recht in keinen Zweifel gezogen werden. 5



und auch in unbeſchränkt monarchiſchen germaniſchen Staaten iſt es nicht
anders. Die Unverletzbarkeit des Regierenden ſtellt ſich allein jeder Zwangs-
maaßregel wider die Perſon entgegen.
1 Die Geſetze eines Staates ſind ſeine Sitte; das ſchlechthin Unſittliche kann
aber durch einſeitigen Willen nicht ſittlich, alſo auch kein Recht werden.
2 Ein Verſtorbener hat keine Rechte mehr. Wohl aber haben die Lebenden,
deren Angehöriger er war, ein Recht, ſein Andenken in Ehren zu halten
und zu vertheidigen. L. 1. §. 4. 6. D. de injur.
3 Sedes impedita. Hiervon Buch II, Abſchn. 4.
4 Beiſpiele abgetretener Regenten, denen man noch Königliche Ehren er-
wies, waren Chriſtine von Schweden 1654—1689, welche ſogar noch das
Recht der Exterritorialität mit eigener Gerichtsbarkeit in Frankreich in An-
ſpruch nahm (Bynkershoek, de jud. legat. c. III, 4 u. 16. und de Martens,
N. Causes célèbr. t. II. Append. No. IV.
), Stanislaus Lescinsky 1709
— 1766, K. Carl IV. von Spanien ſeit 1808, K. Guſtav IV. von Schwe-
den, K. Ludwig von Holland.
5 Die Literatur der Frage im weiteſten Umfange ſ. bei Maurenbrecher, Staatsr.
§. 243 b. und Zachariä, Staats- u. Bundesr. §. 58.
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[104/0128] Erſtes Buch. §. 57. und Verfolgung reiner Privatrechte handelt, auch der Souverän an die unter Privatperſonen anwendbaren Rechtsnormen gebun- den; er kann ſich ſelbſt auch davon nur dispenſiren, ſo weit er einen Unterthan davon dispenſiren könnte, nicht aber, wo dies der Sitte des Staates ſchlechthin widerſprechen würde. 1 Verluſt der perſönlichen Souveränetät. 57. Die perſönliche Souveränetät hört auf mit dem Erlöſchen der Perſon 2 und mit dem Verluſt der Staatsgewalt, letzteres für immer, ſobald der Verluſt auf einem legitimen Staats- oder völ- kerrechtlichen Wege eingetreten iſt; oder aber vorübergehend, mit dem Vorbehalt des Poſtliminium, wenn jener durch einen illega- len Zwang herbeigeführt wird, z. B. durch Uſurpation. 3 Ob ei- nem abgetretenen Souverän noch die früheren internationalen Rechte und Ehren verbleiben ſollen, hängt lediglich von der Convenienz der anderen Mächte ab; 4 einem bloß gehinderten kann ſie wenig- ſtens derjenige Staat nicht verſagen, welcher ein Recht deſſelben auf Wiederherſtellung ausdrücklich anerkennt, wofern nur noch eine Möglichkeit dazu in Ausſicht geſtellt werden kann. Daß übrigens die Acte der Staatsgewalt eines früheren Herr- ſchers, welche der Verfaſſung des regierten Staates entſprechen, auch für den Nachfolger verbindlich ſind, kann gewiß nach inter- nationalem Recht in keinen Zweifel gezogen werden. 5 3 1 Die Geſetze eines Staates ſind ſeine Sitte; das ſchlechthin Unſittliche kann aber durch einſeitigen Willen nicht ſittlich, alſo auch kein Recht werden. 2 Ein Verſtorbener hat keine Rechte mehr. Wohl aber haben die Lebenden, deren Angehöriger er war, ein Recht, ſein Andenken in Ehren zu halten und zu vertheidigen. L. 1. §. 4. 6. D. de injur. 3 Sedes impedita. Hiervon Buch II, Abſchn. 4. 4 Beiſpiele abgetretener Regenten, denen man noch Königliche Ehren er- wies, waren Chriſtine von Schweden 1654—1689, welche ſogar noch das Recht der Exterritorialität mit eigener Gerichtsbarkeit in Frankreich in An- ſpruch nahm (Bynkershoek, de jud. legat. c. III, 4 u. 16. und de Martens, N. Causes célèbr. t. II. Append. No. IV.), Stanislaus Lescinsky 1709 — 1766, K. Carl IV. von Spanien ſeit 1808, K. Guſtav IV. von Schwe- den, K. Ludwig von Holland. 5 Die Literatur der Frage im weiteſten Umfange ſ. bei Maurenbrecher, Staatsr. §. 243 b. und Zachariä, Staats- u. Bundesr. §. 58. 3 und auch in unbeſchränkt monarchiſchen germaniſchen Staaten iſt es nicht anders. Die Unverletzbarkeit des Regierenden ſtellt ſich allein jeder Zwangs- maaßregel wider die Perſon entgegen.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/128>, abgerufen am 29.03.2024.