Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 74. Völkerrecht im Zustand des Friedens.
ernstlich behauptet. Nur das Recht auf Flaggengruß ist von Groß-
britannien stets in seinen Engmeeren reclamirt worden. 1 Zuge-
geben wird überdies von den Meisten, daß das Staatseigenthum
oder, was gleichbedeutend ist, die Souveränetät jedes Landes sich
noch ausdehnt

a) auf die darin befindlichen Flußstrecken;
b) auf Meerbusen, Buchten, Rheden und Hafen, welche sich im
Schutz des Landes befinden, und von da aus andern Na-
tionen durch Vertheidigungs-Anstalten verschlossen werden
können; 2
c) auf das ganze Küstenmeer, so weit es von der Küste aus
oder durch stets gegenwärtige Seemacht und Vertheidigungs-
Anstalten in einem ausschließlichen Besitz gehalten werden
kann (quousque mari e terra imperari potest); ja es
scheint hierüber ein gewisses Einverständniß der Nationen
im Princip zu bestehen, wenn auch die Ausdehnung der
Seegrenze nicht von allen auf völlig übereinstimmende Weise
angenommen wird. 3
Das Meeres-Eigenthum überhaupt.

74. Bleibt man bei den natürlichen Verhältnissen der Menschen
unter einander und zu den Kräften der leblosen Schöpfung stehen,
so ist wohl nicht zu leugnen, daß ein einzelnes mächtiges Volk
oder mehrere in Gemeinschaft im Stande sein würden, allen übri-
gen die Mitbenutzung eines bestimmten Meeres, ja selbst des s. g.
großen Weltmeeres zu verschließen, oder doch dieselben bei der Mit-
benutzung von dem Willen des herrschenden Theiles abhängig zu
machen. Allein abgesehen von den endlosen Schwierigkeiten, womit
eine alleinige oder Oberherrschaft zu kämpfen haben würde, die zu

1 Wheaton intern. L. l. c. §. 9. Edinburgh Review XI, p. 17. s.
2 Die Britische Praxis begreift seit undenklicher Zeit hierunter die s. g.
King's chambres, das Meer innerhalb zweier Vorgebirge. Wheaton in-
tern. L. §. 7. l. c.
3 Bei den italienischen Schriftstellern und Rechtslehrern ward sonst meist eine
Entfernung von 100 Meilen angenommen. So auch noch von Don Car-
los Abreu, tratado sobre las prisas maritimas Cadix 1746. Andere ha-
ben 60 Meilen vorgeschlagen. Vgl. Bodin. de rep. 1, 9. Seit Bynkers-
hoek ist vorzüglich die Rücksicht auf Kanonenschußweite aufgekommen. Gün-
ther II, 52.
9*

§. 74. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
ernſtlich behauptet. Nur das Recht auf Flaggengruß iſt von Groß-
britannien ſtets in ſeinen Engmeeren reclamirt worden. 1 Zuge-
geben wird überdies von den Meiſten, daß das Staatseigenthum
oder, was gleichbedeutend iſt, die Souveränetät jedes Landes ſich
noch ausdehnt

a) auf die darin befindlichen Flußſtrecken;
b) auf Meerbuſen, Buchten, Rheden und Hafen, welche ſich im
Schutz des Landes befinden, und von da aus andern Na-
tionen durch Vertheidigungs-Anſtalten verſchloſſen werden
können; 2
c) auf das ganze Küſtenmeer, ſo weit es von der Küſte aus
oder durch ſtets gegenwärtige Seemacht und Vertheidigungs-
Anſtalten in einem ausſchließlichen Beſitz gehalten werden
kann (quousque mari e terra imperari potest); ja es
ſcheint hierüber ein gewiſſes Einverſtändniß der Nationen
im Princip zu beſtehen, wenn auch die Ausdehnung der
Seegrenze nicht von allen auf völlig übereinſtimmende Weiſe
angenommen wird. 3
Das Meeres-Eigenthum überhaupt.

74. Bleibt man bei den natürlichen Verhältniſſen der Menſchen
unter einander und zu den Kräften der lebloſen Schöpfung ſtehen,
ſo iſt wohl nicht zu leugnen, daß ein einzelnes mächtiges Volk
oder mehrere in Gemeinſchaft im Stande ſein würden, allen übri-
gen die Mitbenutzung eines beſtimmten Meeres, ja ſelbſt des ſ. g.
großen Weltmeeres zu verſchließen, oder doch dieſelben bei der Mit-
benutzung von dem Willen des herrſchenden Theiles abhängig zu
machen. Allein abgeſehen von den endloſen Schwierigkeiten, womit
eine alleinige oder Oberherrſchaft zu kämpfen haben würde, die zu

1 Wheaton intern. L. l. c. §. 9. Edinburgh Review XI, p. 17. s.
2 Die Britiſche Praxis begreift ſeit undenklicher Zeit hierunter die ſ. g.
King’s chambres, das Meer innerhalb zweier Vorgebirge. Wheaton in-
tern. L. §. 7. l. c.
3 Bei den italieniſchen Schriftſtellern und Rechtslehrern ward ſonſt meiſt eine
Entfernung von 100 Meilen angenommen. So auch noch von Don Car-
los Abreu, tratado sobre las prisas maritimas Cadix 1746. Andere ha-
ben 60 Meilen vorgeſchlagen. Vgl. Bodin. de rep. 1, 9. Seit Bynkers-
hoek iſt vorzüglich die Rückſicht auf Kanonenſchußweite aufgekommen. Gün-
ther II, 52.
9*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0155" n="131"/><fw place="top" type="header">§. 74. <hi rendition="#g">Vo&#x0364;lkerrecht im Zu&#x017F;tand des Friedens</hi>.</fw><lb/>
ern&#x017F;tlich behauptet. Nur das Recht auf Flaggengruß i&#x017F;t von Groß-<lb/>
britannien &#x017F;tets in &#x017F;einen Engmeeren reclamirt worden. <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">Wheaton intern. L. l. c. §. 9. Edinburgh Review XI, p. 17. s.</hi></note> Zuge-<lb/>
geben wird überdies von den Mei&#x017F;ten, daß das Staatseigenthum<lb/>
oder, was gleichbedeutend i&#x017F;t, die Souveränetät jedes Landes &#x017F;ich<lb/>
noch ausdehnt</p><lb/>
            <list>
              <item><hi rendition="#aq">a)</hi> auf die darin befindlichen Fluß&#x017F;trecken;</item><lb/>
              <item><hi rendition="#aq">b)</hi> auf Meerbu&#x017F;en, Buchten, Rheden und Hafen, welche &#x017F;ich im<lb/>
Schutz des Landes befinden, und von da aus andern Na-<lb/>
tionen durch Vertheidigungs-An&#x017F;talten ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en werden<lb/>
können; <note place="foot" n="2">Die Briti&#x017F;che Praxis begreift &#x017F;eit undenklicher Zeit hierunter die &#x017F;. g.<lb/><hi rendition="#aq">King&#x2019;s chambres,</hi> das Meer innerhalb zweier Vorgebirge. <hi rendition="#aq">Wheaton in-<lb/>
tern. L. §. 7. l. c.</hi></note></item><lb/>
              <item><hi rendition="#aq">c)</hi> auf das ganze Kü&#x017F;tenmeer, &#x017F;o weit es von der Kü&#x017F;te aus<lb/>
oder durch &#x017F;tets gegenwärtige Seemacht und Vertheidigungs-<lb/>
An&#x017F;talten in einem aus&#x017F;chließlichen Be&#x017F;itz gehalten werden<lb/>
kann (<hi rendition="#aq">quousque mari e terra imperari potest</hi>); ja es<lb/>
&#x017F;cheint hierüber ein gewi&#x017F;&#x017F;es Einver&#x017F;tändniß der Nationen<lb/>
im Princip zu be&#x017F;tehen, wenn auch die Ausdehnung der<lb/>
Seegrenze nicht von allen auf völlig überein&#x017F;timmende Wei&#x017F;e<lb/>
angenommen wird. <note place="foot" n="3">Bei den italieni&#x017F;chen Schrift&#x017F;tellern und Rechtslehrern ward &#x017F;on&#x017F;t mei&#x017F;t eine<lb/>
Entfernung von 100 Meilen angenommen. So auch noch von Don Car-<lb/>
los Abreu, <hi rendition="#aq">tratado sobre las prisas maritimas Cadix</hi> 1746. Andere ha-<lb/>
ben 60 Meilen vorge&#x017F;chlagen. Vgl. <hi rendition="#aq">Bodin. de rep. 1,</hi> 9. Seit Bynkers-<lb/>
hoek i&#x017F;t vorzüglich die Rück&#x017F;icht auf Kanonen&#x017F;chußweite aufgekommen. Gün-<lb/>
ther <hi rendition="#aq">II,</hi> 52.</note></item>
            </list>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>Das Meeres-Eigenthum überhaupt.</head><lb/>
            <p>74. Bleibt man bei den natürlichen Verhältni&#x017F;&#x017F;en der Men&#x017F;chen<lb/>
unter einander und zu den Kräften der leblo&#x017F;en Schöpfung &#x017F;tehen,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t wohl nicht zu leugnen, daß ein einzelnes mächtiges Volk<lb/>
oder mehrere in Gemein&#x017F;chaft im Stande &#x017F;ein würden, allen übri-<lb/>
gen die Mitbenutzung eines be&#x017F;timmten Meeres, ja &#x017F;elb&#x017F;t des &#x017F;. g.<lb/>
großen Weltmeeres zu ver&#x017F;chließen, oder doch die&#x017F;elben bei der Mit-<lb/>
benutzung von dem Willen des herr&#x017F;chenden Theiles abhängig zu<lb/>
machen. Allein abge&#x017F;ehen von den endlo&#x017F;en Schwierigkeiten, womit<lb/>
eine alleinige oder Oberherr&#x017F;chaft zu kämpfen haben würde, die zu<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">9*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[131/0155] §. 74. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens. ernſtlich behauptet. Nur das Recht auf Flaggengruß iſt von Groß- britannien ſtets in ſeinen Engmeeren reclamirt worden. 1 Zuge- geben wird überdies von den Meiſten, daß das Staatseigenthum oder, was gleichbedeutend iſt, die Souveränetät jedes Landes ſich noch ausdehnt a) auf die darin befindlichen Flußſtrecken; b) auf Meerbuſen, Buchten, Rheden und Hafen, welche ſich im Schutz des Landes befinden, und von da aus andern Na- tionen durch Vertheidigungs-Anſtalten verſchloſſen werden können; 2 c) auf das ganze Küſtenmeer, ſo weit es von der Küſte aus oder durch ſtets gegenwärtige Seemacht und Vertheidigungs- Anſtalten in einem ausſchließlichen Beſitz gehalten werden kann (quousque mari e terra imperari potest); ja es ſcheint hierüber ein gewiſſes Einverſtändniß der Nationen im Princip zu beſtehen, wenn auch die Ausdehnung der Seegrenze nicht von allen auf völlig übereinſtimmende Weiſe angenommen wird. 3 Das Meeres-Eigenthum überhaupt. 74. Bleibt man bei den natürlichen Verhältniſſen der Menſchen unter einander und zu den Kräften der lebloſen Schöpfung ſtehen, ſo iſt wohl nicht zu leugnen, daß ein einzelnes mächtiges Volk oder mehrere in Gemeinſchaft im Stande ſein würden, allen übri- gen die Mitbenutzung eines beſtimmten Meeres, ja ſelbſt des ſ. g. großen Weltmeeres zu verſchließen, oder doch dieſelben bei der Mit- benutzung von dem Willen des herrſchenden Theiles abhängig zu machen. Allein abgeſehen von den endloſen Schwierigkeiten, womit eine alleinige oder Oberherrſchaft zu kämpfen haben würde, die zu 1 Wheaton intern. L. l. c. §. 9. Edinburgh Review XI, p. 17. s. 2 Die Britiſche Praxis begreift ſeit undenklicher Zeit hierunter die ſ. g. King’s chambres, das Meer innerhalb zweier Vorgebirge. Wheaton in- tern. L. §. 7. l. c. 3 Bei den italieniſchen Schriftſtellern und Rechtslehrern ward ſonſt meiſt eine Entfernung von 100 Meilen angenommen. So auch noch von Don Car- los Abreu, tratado sobre las prisas maritimas Cadix 1746. Andere ha- ben 60 Meilen vorgeſchlagen. Vgl. Bodin. de rep. 1, 9. Seit Bynkers- hoek iſt vorzüglich die Rückſicht auf Kanonenſchußweite aufgekommen. Gün- ther II, 52. 9*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/155
Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/155>, abgerufen am 25.04.2024.