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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 119. Völkerrecht im Zustand des Unfriedens.
aus; ist sie völlig in den Kriegsstand eingetreten, so theilt sie das
Loos der kriegenden Hauptparteien.

Beschränkungen des Kriegsfeldes können nur durch Conventio-
nen oder Politik herbeigeführt werden. Die Geschichte liefert Bei-
spiele von bloß particulären Kriegsoperationen gegen einen bestimm-
ten Theil eines Gebietes, anstatt eines sonst die Regel bildenden
allgemeinen Kriegszustandes der feindlichen Territorien, und zwar
vorzüglich bei Interventionen im Interesse des Europäischen Friedens. 1

Eigentliches Kriegsrecht. Kriegsmanier. Kriegsräson.

119. Auch der Krieg hat seine bestimmten Rechte und Formen.
Dieses ist das eigentliche ius belli. Schon die Alten hatten ein
solches; 2 aber es setzte der ungebundenen Willkühr nur wenige
Schranken. Erst im Mittelalter streiften sich manche Härten ab,
theils durch den Einfluß des Christenthums, theils auch durch den
Geist des Ritterthums. 3 Die letzten Jahrhunderte haben nach
manchen Schwankungen die Menschlichkeit, das Bewußtsein der
Gattung, als Regulativ angenommen. Civilisirte Völker erkennen
in dem Kriege nur einen Nothstand, ein unvermeidliches Uebel;
welches nicht weiter ausgedehnt werden darf, als die Noth es er-
fordert; wo nicht der Mensch gegen den Menschen zu seiner Ver-
nichtung und so gegen sich selbst, sondern Staat gegen Staat mit
den einem jeden zu Gebot stehenden Kräften und Mitteln kämpft,
und seinen Willen durch Angriff und Vertheidigung durchzusetzen
sucht. 4


1 Wir erinnern an die Intervention Frankreichs, Großbritanniens und Ruß-
lands in den Griechischen Angelegenheiten: Nouv. Recueil t. XII, 1 sqq.;
an den particulären Feldzug Frankreichs gegen Antwerpen 1832. auf Grund
der Verträge mit Großbritannien vom 22. Oct. 1832. und mit Belgien
vom 10. Nov. d. J. Ebds. XIII, 39. 57.; an die Intervention in den
orientalischen Angelegenheiten: an S. Jean d'Acre --. Im 7 jähr. Kriege
war von einer während des Waffenstillstandes fortzusetzenden Belagerung der
Festung Neiße die Rede. Flassan, dipl. franc. V, 146.
2 Vgl. Liv. 2, 12. 31, 30. "esse enim quaedam belli iura, quae ut fa-
cere ita pati sit fas."
3 Die einzelnen Momente sind hervorgehoben bei Ward, Enquiry von chap.
X.
an. S. auch oben S. 7 f.
4 So Portalis in seiner Rede bei Installation des Conseil des prises am
14 Flor. J. VIII.: "Le droit de la guerre est fonde sur ce qu'un
peuple pour l'interet de sa conservation ou pour le soin de sa defense

§. 119. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
aus; iſt ſie völlig in den Kriegsſtand eingetreten, ſo theilt ſie das
Loos der kriegenden Hauptparteien.

Beſchränkungen des Kriegsfeldes können nur durch Conventio-
nen oder Politik herbeigeführt werden. Die Geſchichte liefert Bei-
ſpiele von bloß particulären Kriegsoperationen gegen einen beſtimm-
ten Theil eines Gebietes, anſtatt eines ſonſt die Regel bildenden
allgemeinen Kriegszuſtandes der feindlichen Territorien, und zwar
vorzüglich bei Interventionen im Intereſſe des Europäiſchen Friedens. 1

Eigentliches Kriegsrecht. Kriegsmanier. Kriegsräſon.

119. Auch der Krieg hat ſeine beſtimmten Rechte und Formen.
Dieſes iſt das eigentliche ius belli. Schon die Alten hatten ein
ſolches; 2 aber es ſetzte der ungebundenen Willkühr nur wenige
Schranken. Erſt im Mittelalter ſtreiften ſich manche Härten ab,
theils durch den Einfluß des Chriſtenthums, theils auch durch den
Geiſt des Ritterthums. 3 Die letzten Jahrhunderte haben nach
manchen Schwankungen die Menſchlichkeit, das Bewußtſein der
Gattung, als Regulativ angenommen. Civiliſirte Völker erkennen
in dem Kriege nur einen Nothſtand, ein unvermeidliches Uebel;
welches nicht weiter ausgedehnt werden darf, als die Noth es er-
fordert; wo nicht der Menſch gegen den Menſchen zu ſeiner Ver-
nichtung und ſo gegen ſich ſelbſt, ſondern Staat gegen Staat mit
den einem jeden zu Gebot ſtehenden Kräften und Mitteln kämpft,
und ſeinen Willen durch Angriff und Vertheidigung durchzuſetzen
ſucht. 4


1 Wir erinnern an die Intervention Frankreichs, Großbritanniens und Ruß-
lands in den Griechiſchen Angelegenheiten: Nouv. Recueil t. XII, 1 sqq.;
an den particulären Feldzug Frankreichs gegen Antwerpen 1832. auf Grund
der Verträge mit Großbritannien vom 22. Oct. 1832. und mit Belgien
vom 10. Nov. d. J. Ebdſ. XIII, 39. 57.; an die Intervention in den
orientaliſchen Angelegenheiten: an S. Jean d’Acre —. Im 7 jähr. Kriege
war von einer während des Waffenſtillſtandes fortzuſetzenden Belagerung der
Feſtung Neiße die Rede. Flassan, dipl. franç. V, 146.
2 Vgl. Liv. 2, 12. 31, 30. „esse enim quaedam belli iura, quae ut fa-
cere ita pati sit fas.“
3 Die einzelnen Momente ſind hervorgehoben bei Ward, Enquiry von chap.
X.
an. S. auch oben S. 7 f.
4 So Portalis in ſeiner Rede bei Inſtallation des Conseil des prises am
14 Flor. J. VIII.: „Le droit de la guerre est fondé sur ce qu’un
peuple pour l’intérêt de sa conservation ou pour le soin de sa défense
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[201/0225] §. 119. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens. aus; iſt ſie völlig in den Kriegsſtand eingetreten, ſo theilt ſie das Loos der kriegenden Hauptparteien. Beſchränkungen des Kriegsfeldes können nur durch Conventio- nen oder Politik herbeigeführt werden. Die Geſchichte liefert Bei- ſpiele von bloß particulären Kriegsoperationen gegen einen beſtimm- ten Theil eines Gebietes, anſtatt eines ſonſt die Regel bildenden allgemeinen Kriegszuſtandes der feindlichen Territorien, und zwar vorzüglich bei Interventionen im Intereſſe des Europäiſchen Friedens. 1 Eigentliches Kriegsrecht. Kriegsmanier. Kriegsräſon. 119. Auch der Krieg hat ſeine beſtimmten Rechte und Formen. Dieſes iſt das eigentliche ius belli. Schon die Alten hatten ein ſolches; 2 aber es ſetzte der ungebundenen Willkühr nur wenige Schranken. Erſt im Mittelalter ſtreiften ſich manche Härten ab, theils durch den Einfluß des Chriſtenthums, theils auch durch den Geiſt des Ritterthums. 3 Die letzten Jahrhunderte haben nach manchen Schwankungen die Menſchlichkeit, das Bewußtſein der Gattung, als Regulativ angenommen. Civiliſirte Völker erkennen in dem Kriege nur einen Nothſtand, ein unvermeidliches Uebel; welches nicht weiter ausgedehnt werden darf, als die Noth es er- fordert; wo nicht der Menſch gegen den Menſchen zu ſeiner Ver- nichtung und ſo gegen ſich ſelbſt, ſondern Staat gegen Staat mit den einem jeden zu Gebot ſtehenden Kräften und Mitteln kämpft, und ſeinen Willen durch Angriff und Vertheidigung durchzuſetzen ſucht. 4 1 Wir erinnern an die Intervention Frankreichs, Großbritanniens und Ruß- lands in den Griechiſchen Angelegenheiten: Nouv. Recueil t. XII, 1 sqq.; an den particulären Feldzug Frankreichs gegen Antwerpen 1832. auf Grund der Verträge mit Großbritannien vom 22. Oct. 1832. und mit Belgien vom 10. Nov. d. J. Ebdſ. XIII, 39. 57.; an die Intervention in den orientaliſchen Angelegenheiten: an S. Jean d’Acre —. Im 7 jähr. Kriege war von einer während des Waffenſtillſtandes fortzuſetzenden Belagerung der Feſtung Neiße die Rede. Flassan, dipl. franç. V, 146. 2 Vgl. Liv. 2, 12. 31, 30. „esse enim quaedam belli iura, quae ut fa- cere ita pati sit fas.“ 3 Die einzelnen Momente ſind hervorgehoben bei Ward, Enquiry von chap. X. an. S. auch oben S. 7 f. 4 So Portalis in ſeiner Rede bei Inſtallation des Conseil des prises am 14 Flor. J. VIII.: „Le droit de la guerre est fondé sur ce qu’un peuple pour l’intérêt de sa conservation ou pour le soin de sa défense

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/225>, abgerufen am 28.03.2024.