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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 124. Völkerrecht im Zustand des Unfriedens.
Erlaubte Mittel der Kriegführung.

124. Was die Mittel der Kriegführung betrifft, so ist im All-
gemeinen nicht blos offene Gewalt sondern auch List für zulässig
zu halten, um den Zweck des Krieges zu erreichen. Nur die Ehre
und Humanität setzen den Nationen gewisse Schranken, welche ent-
weder nie, oder doch nur ausnahmsweise aus Kriegsräson über-
schritten werden dürfen.

Als unbedingt verboten, weil unmenschlich, betrachten wir Ver-
breitung von Giftstoffen und Contagionen in feindlichem Lande, 1
den Gebrauch vergifteter 2 und solcher Waffen, wodurch unnöthige
Schmerzen und besonders schwer zu heilende Wunden zugefügt wer-
den, z. B. das Schießen a la mitraille, oder mit zackigen oder von
Glas und Kalk durchmischten Kugeln, oder mit doppelten oder hal-
birten Kugeln, gewiß auch Brandraketen gegen Personen; endlich
ein allgemeines Schlachten derer, welche keinen Widerstand leisten
oder dazu ganz unfähig sind. Sogar ein erlaubter Vernichtungs-
krieg gegen einen Staat kann dazu nicht berechtigen oder nöthigen.

Regelmäßig unzulässig, jedoch zur Rettung aus sonst unabwendba-
rer Gefahr oder als Repressalie erlaubt, ist nach Kriegsgebrauch jede
Verheerung des feindlichen Gebietes, Zerstörung der Aerndten, Ein-

waltverhältniß getreten ist. Allein bekanntlich wird durch den Kriegsstand
-- allenfalls ein bellum internecinum abgerechnet, welches nach dem
Standpunct unserer Zeit wohl nicht vorkommt, -- keineswegs der Rechtszu-
stand in dem Grade aufgehoben, daß für den Bürger, dessen Rechte auch
vom Feinde selbst im Wesentlichen anerkannt werden, eine Befreiung von
den ihn verbindenden Gesetzen, gegenüber wem es auch wolle, gerechtfertigt
werden könnte. Man muß nur die bereits gerügte Ansicht aufgeben, daß
das Criterium des Strafgesetzes in dem Schutze zu suchen sei, welchen es
Jemand gewähre. -- In wie fern durch den Fall der Nothwehr oder son-
stige Modificationen, die durch den Einfluß des Krieges auf das Strafrecht
herbeigeführt werden, Straflosigkeit oder Milderung der Strafe entstehen
können, in wie fern das Gebiet der Gnade eintreten dürfe? gehört einer
andern Seite der Beurtheilung an." S. auch Frisius Rinia van Nauta,
de delictis adv. peregrinos, maxime adv. milites hostiles. Groning
. 1825.
und des Verf. Lehrbuch des Crim. Rechts §. 37.
1 Sogar der Islam verbot und verbietet dergleichen. Pütter, Beitr. S. 54.
2 Diese verbot schon das christliche Mittelalter. c. 1. X. de sagittar. Den-
noch finden sich Beispiele des Gegentheiles bis ins 16te Jahrhundert.
Ward, I, 252. 253.
14
§. 124. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Erlaubte Mittel der Kriegführung.

124. Was die Mittel der Kriegführung betrifft, ſo iſt im All-
gemeinen nicht blos offene Gewalt ſondern auch Liſt für zuläſſig
zu halten, um den Zweck des Krieges zu erreichen. Nur die Ehre
und Humanität ſetzen den Nationen gewiſſe Schranken, welche ent-
weder nie, oder doch nur ausnahmsweiſe aus Kriegsräſon über-
ſchritten werden dürfen.

Als unbedingt verboten, weil unmenſchlich, betrachten wir Ver-
breitung von Giftſtoffen und Contagionen in feindlichem Lande, 1
den Gebrauch vergifteter 2 und ſolcher Waffen, wodurch unnöthige
Schmerzen und beſonders ſchwer zu heilende Wunden zugefügt wer-
den, z. B. das Schießen à la mitraille, oder mit zackigen oder von
Glas und Kalk durchmiſchten Kugeln, oder mit doppelten oder hal-
birten Kugeln, gewiß auch Brandraketen gegen Perſonen; endlich
ein allgemeines Schlachten derer, welche keinen Widerſtand leiſten
oder dazu ganz unfähig ſind. Sogar ein erlaubter Vernichtungs-
krieg gegen einen Staat kann dazu nicht berechtigen oder nöthigen.

Regelmäßig unzuläſſig, jedoch zur Rettung aus ſonſt unabwendba-
rer Gefahr oder als Repreſſalie erlaubt, iſt nach Kriegsgebrauch jede
Verheerung des feindlichen Gebietes, Zerſtörung der Aerndten, Ein-

waltverhältniß getreten iſt. Allein bekanntlich wird durch den Kriegsſtand
— allenfalls ein bellum internecinum abgerechnet, welches nach dem
Standpunct unſerer Zeit wohl nicht vorkommt, — keineswegs der Rechtszu-
ſtand in dem Grade aufgehoben, daß für den Bürger, deſſen Rechte auch
vom Feinde ſelbſt im Weſentlichen anerkannt werden, eine Befreiung von
den ihn verbindenden Geſetzen, gegenüber wem es auch wolle, gerechtfertigt
werden könnte. Man muß nur die bereits gerügte Anſicht aufgeben, daß
das Criterium des Strafgeſetzes in dem Schutze zu ſuchen ſei, welchen es
Jemand gewähre. — In wie fern durch den Fall der Nothwehr oder ſon-
ſtige Modificationen, die durch den Einfluß des Krieges auf das Strafrecht
herbeigeführt werden, Strafloſigkeit oder Milderung der Strafe entſtehen
können, in wie fern das Gebiet der Gnade eintreten dürfe? gehört einer
andern Seite der Beurtheilung an.“ S. auch Frisius Rinia van Nauta,
de delictis adv. peregrinos, maxime adv. milites hostiles. Groning
. 1825.
und des Verf. Lehrbuch des Crim. Rechts §. 37.
1 Sogar der Islam verbot und verbietet dergleichen. Pütter, Beitr. S. 54.
2 Dieſe verbot ſchon das chriſtliche Mittelalter. c. 1. X. de sagittar. Den-
noch finden ſich Beiſpiele des Gegentheiles bis ins 16te Jahrhundert.
Ward, I, 252. 253.
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[209/0233] §. 124. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens. Erlaubte Mittel der Kriegführung. 124. Was die Mittel der Kriegführung betrifft, ſo iſt im All- gemeinen nicht blos offene Gewalt ſondern auch Liſt für zuläſſig zu halten, um den Zweck des Krieges zu erreichen. Nur die Ehre und Humanität ſetzen den Nationen gewiſſe Schranken, welche ent- weder nie, oder doch nur ausnahmsweiſe aus Kriegsräſon über- ſchritten werden dürfen. Als unbedingt verboten, weil unmenſchlich, betrachten wir Ver- breitung von Giftſtoffen und Contagionen in feindlichem Lande, 1 den Gebrauch vergifteter 2 und ſolcher Waffen, wodurch unnöthige Schmerzen und beſonders ſchwer zu heilende Wunden zugefügt wer- den, z. B. das Schießen à la mitraille, oder mit zackigen oder von Glas und Kalk durchmiſchten Kugeln, oder mit doppelten oder hal- birten Kugeln, gewiß auch Brandraketen gegen Perſonen; endlich ein allgemeines Schlachten derer, welche keinen Widerſtand leiſten oder dazu ganz unfähig ſind. Sogar ein erlaubter Vernichtungs- krieg gegen einen Staat kann dazu nicht berechtigen oder nöthigen. Regelmäßig unzuläſſig, jedoch zur Rettung aus ſonſt unabwendba- rer Gefahr oder als Repreſſalie erlaubt, iſt nach Kriegsgebrauch jede Verheerung des feindlichen Gebietes, Zerſtörung der Aerndten, Ein- 3 1 Sogar der Islam verbot und verbietet dergleichen. Pütter, Beitr. S. 54. 2 Dieſe verbot ſchon das chriſtliche Mittelalter. c. 1. X. de sagittar. Den- noch finden ſich Beiſpiele des Gegentheiles bis ins 16te Jahrhundert. Ward, I, 252. 253. 3 waltverhältniß getreten iſt. Allein bekanntlich wird durch den Kriegsſtand — allenfalls ein bellum internecinum abgerechnet, welches nach dem Standpunct unſerer Zeit wohl nicht vorkommt, — keineswegs der Rechtszu- ſtand in dem Grade aufgehoben, daß für den Bürger, deſſen Rechte auch vom Feinde ſelbſt im Weſentlichen anerkannt werden, eine Befreiung von den ihn verbindenden Geſetzen, gegenüber wem es auch wolle, gerechtfertigt werden könnte. Man muß nur die bereits gerügte Anſicht aufgeben, daß das Criterium des Strafgeſetzes in dem Schutze zu ſuchen ſei, welchen es Jemand gewähre. — In wie fern durch den Fall der Nothwehr oder ſon- ſtige Modificationen, die durch den Einfluß des Krieges auf das Strafrecht herbeigeführt werden, Strafloſigkeit oder Milderung der Strafe entſtehen können, in wie fern das Gebiet der Gnade eintreten dürfe? gehört einer andern Seite der Beurtheilung an.“ S. auch Frisius Rinia van Nauta, de delictis adv. peregrinos, maxime adv. milites hostiles. Groning. 1825. und des Verf. Lehrbuch des Crim. Rechts §. 37. 14

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/233>, abgerufen am 25.04.2024.