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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Einleitung.


Bedeutung und Existenz eines Völkerrechts.

1. Völkerrecht, jus gentium, in seiner antiken und weitesten Be-
deutung, welche die Römische Jurisprudenz festgehalten hat, 1 ist
alles in gemeinsamer Völkersitte begründete Recht, welches nicht al-
lein unter den Nationen im gegenseitigen Verkehr selbst gilt, son-
dern auch jedes Rechtsverhältniß einzelner Personen in sich schließt,
was nach allseitigem Einverständniß überall gleiche Bedeutung, glei-
chen Charakter hat und nicht in den Institutionen einzelner Staa-
ten seinen eigenthümlichen Grund oder seine eigenthümliche Ge-
staltung empfangen hat. Es umfaßt demnach zwei Bestandtheile,
nämlich

I. die allgemeinen Menschenrechte und Privatverhältnisse der
Einzelnen, welche die Staaten auch den zu ihnen nicht ge-
hörigen Individuen anerkennen;
II. die Verhältnisse der Staaten unter einander selbst in ihren
gegenseitigen Berührungen.

Dieser letztere Bestandtheil hat in der neuen Welt allein den Na-
men Völkerrecht, droit des gens, jus gentium behauptet. Rich-
tiger bezeichnet man ihn durch äußeres Staatenrecht im Ge-
gensatz des inneren Staatsrechts der Einzelstaaten, jus inter gen-
tes,
2 droit international. Der erstere Bestandtheil des antiken

1 Ueber diesen Begriff s. m. Isidor. Orig. V, 4. Dirksen im Rhein. Mus.
f. Jurispr. I, 1. Welcker Encyclop. u. Method. Stuttg. 1829. S. 88.
123. v. Savigny System I, S. 109. 413.
2 Dieser Ausdruck ist zuerst von Zouch im Jus feciale v. 1650 als der
richtigere empfohlen. D'Aguesseau nannte es droit entre les gens; seit
1
Einleitung.


Bedeutung und Exiſtenz eines Völkerrechts.

1. Völkerrecht, jus gentium, in ſeiner antiken und weiteſten Be-
deutung, welche die Römiſche Jurisprudenz feſtgehalten hat, 1 iſt
alles in gemeinſamer Völkerſitte begründete Recht, welches nicht al-
lein unter den Nationen im gegenſeitigen Verkehr ſelbſt gilt, ſon-
dern auch jedes Rechtsverhältniß einzelner Perſonen in ſich ſchließt,
was nach allſeitigem Einverſtändniß überall gleiche Bedeutung, glei-
chen Charakter hat und nicht in den Inſtitutionen einzelner Staa-
ten ſeinen eigenthümlichen Grund oder ſeine eigenthümliche Ge-
ſtaltung empfangen hat. Es umfaßt demnach zwei Beſtandtheile,
nämlich

I. die allgemeinen Menſchenrechte und Privatverhältniſſe der
Einzelnen, welche die Staaten auch den zu ihnen nicht ge-
hörigen Individuen anerkennen;
II. die Verhältniſſe der Staaten unter einander ſelbſt in ihren
gegenſeitigen Berührungen.

Dieſer letztere Beſtandtheil hat in der neuen Welt allein den Na-
men Völkerrecht, droit des gens, jus gentium behauptet. Rich-
tiger bezeichnet man ihn durch äußeres Staatenrecht im Ge-
genſatz des inneren Staatsrechts der Einzelſtaaten, jus inter gen-
tes,
2 droit international. Der erſtere Beſtandtheil des antiken

1 Ueber dieſen Begriff ſ. m. Isidor. Orig. V, 4. Dirkſen im Rhein. Muſ.
f. Jurispr. I, 1. Welcker Encyclop. u. Method. Stuttg. 1829. S. 88.
123. v. Savigny Syſtem I, S. 109. 413.
2 Dieſer Ausdruck iſt zuerſt von Zouch im Jus feciale v. 1650 als der
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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/25>, abgerufen am 28.03.2024.