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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Zweites Buch. §. 165.
mer verbleibt, falls sie keine Contrebande oder sonst verbo-
tene ist: -- Frei Schiff, unfrei Gut; Unfrei Schiff,
frei Gut
. Es beruhet im Allgemeinen auf einer wenigstens
speciösen Anwendung des oberen Grundsatzes der Gerechtig-
keit: Suum cuique.
II. Das andere System geht dem vorigen entgegen dahin: daß
die neutrale Flagge auch die feindliche Ladung gegen die an-
dere kriegführende Macht schützt: Frei Schiff, frei Gut
(le pavillon couvre la cargaison), während man in Be-
treff der neutralen Güter auf feindlichen Schiffen den Grund-
satz übt und gelten läßt, daß jene zugleich mit den letzteren
verfallen: Unfrei Schiff, unfrei Gut (La robe de
l'ennemi confisque celle d'ami
); oder auch es in dieser
Beziehung bei dem entgegengesetzten Princip bewenden läßt:
unfrei Schiff, frei Gut.

Dieses zweite System ist das Neuere; es ist ein Schutzsystem für die
Interessen der Neutralen gegen die mit der Ausführung des Er-
sten verbundenen Belästigungen, ohne daß man dabei das vollstän-
dige Bewußtsein eines zureichenden inneren Rechtsgrundes hat.

Frei Schiff, unfrei Gut, und umgekehrt.

165. Das Erste der zuvor bezeichneten Systemen war wäh-
rend des Mittelalters vorherrschend. Es findet sich im Consolato
del Mar, 1 dessen Weithinverbreitung über die europäischen süd-

1 Die merkwürdige, schon oft angeführte Stelle steht bei Pardessus, Collect.
des lois maritim. t. II, p.
303. und zwar cap. 231. (in anderen Aus-
gaben 276. auch 273. u. 264.), in der französischen Uebersetzung des spa-
nisch-romanischen Grundtextes also lautend: Lorsqu'un navire arme al-
lant ou revenant, ou etant en course, rencontrera un navire marchand,
si ce dernier appartient a des ennemis, ainsi que sa cargaison, il est
inutile d'en parler, parceque chacun est assez instruit pour savoir ce
qu'on doit faire, et, dans ce cas, il n'est pas necessaire de donner de
regle.
Mais si le navire qui sera pris appartient a des amis, tandis que
les marchandises qu'il porte appartiennent a des ennemis, l'amiral du
navire arme peut forcer et contraindre le patron du navire qu'il aura
pris a lui apporter ce qui appartiendra aux ennemis, et meme il peut
l'obliger a le garder jusqu'a ce qu'il soit en lieu de saurete; mais il
faut pour cela que l'amiral on un autre pour lui ait amarre le navire
pris a sa poupe en lieu ou il n'ait pas craint que des ennemis le lui
Zweites Buch. §. 165.
mer verbleibt, falls ſie keine Contrebande oder ſonſt verbo-
tene iſt: — Frei Schiff, unfrei Gut; Unfrei Schiff,
frei Gut
. Es beruhet im Allgemeinen auf einer wenigſtens
ſpeciöſen Anwendung des oberen Grundſatzes der Gerechtig-
keit: Suum cuique.
II. Das andere Syſtem geht dem vorigen entgegen dahin: daß
die neutrale Flagge auch die feindliche Ladung gegen die an-
dere kriegführende Macht ſchützt: Frei Schiff, frei Gut
(le pavillon couvre la cargaison), während man in Be-
treff der neutralen Güter auf feindlichen Schiffen den Grund-
ſatz übt und gelten läßt, daß jene zugleich mit den letzteren
verfallen: Unfrei Schiff, unfrei Gut (La robe de
l’ennemi confisque celle d’ami
); oder auch es in dieſer
Beziehung bei dem entgegengeſetzten Princip bewenden läßt:
unfrei Schiff, frei Gut.

Dieſes zweite Syſtem iſt das Neuere; es iſt ein Schutzſyſtem für die
Intereſſen der Neutralen gegen die mit der Ausführung des Er-
ſten verbundenen Beläſtigungen, ohne daß man dabei das vollſtän-
dige Bewußtſein eines zureichenden inneren Rechtsgrundes hat.

Frei Schiff, unfrei Gut, und umgekehrt.

165. Das Erſte der zuvor bezeichneten Syſtemen war wäh-
rend des Mittelalters vorherrſchend. Es findet ſich im Conſolato
del Mar, 1 deſſen Weithinverbreitung über die europäiſchen ſüd-

1 Die merkwürdige, ſchon oft angeführte Stelle ſteht bei Pardeſſus, Collect.
des lois maritim. t. II, p.
303. und zwar cap. 231. (in anderen Aus-
gaben 276. auch 273. u. 264.), in der franzöſiſchen Ueberſetzung des ſpa-
niſch-romaniſchen Grundtextes alſo lautend: Lorsqu’un navire armé al-
lant ou revenant, ou étant en course, rencontrera un navire marchand,
si ce dernier appartient à des ennemis, ainsi que sa cargaison, il est
inutile d’en parler, parceque chacun est assez instruit pour savoir ce
qu’on doit faire, et, dans ce cas, il n’est pas nécessaire de donner de
règle.
Mais si le navire qui sera pris appartient à des amis, tandis que
les marchandises qu’il porte appartiennent à des ennemis, l’amiral du
navire armé peut forcer et contraindre le patron du navire qu’il aura
pris à lui apporter ce qui appartiendra aux ennemis, et même il peut
l’obliger à le garder jusqu’à ce qu’il soit en lieu de sûreté; mais il
faut pour cela que l’amiral on un autre pour lui ait amarré le navire
pris a sa poupe en lieu où il n’ait pas craint que des ennemis le lui
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[276/0300] Zweites Buch. §. 165. mer verbleibt, falls ſie keine Contrebande oder ſonſt verbo- tene iſt: — Frei Schiff, unfrei Gut; Unfrei Schiff, frei Gut. Es beruhet im Allgemeinen auf einer wenigſtens ſpeciöſen Anwendung des oberen Grundſatzes der Gerechtig- keit: Suum cuique. II. Das andere Syſtem geht dem vorigen entgegen dahin: daß die neutrale Flagge auch die feindliche Ladung gegen die an- dere kriegführende Macht ſchützt: Frei Schiff, frei Gut (le pavillon couvre la cargaison), während man in Be- treff der neutralen Güter auf feindlichen Schiffen den Grund- ſatz übt und gelten läßt, daß jene zugleich mit den letzteren verfallen: Unfrei Schiff, unfrei Gut (La robe de l’ennemi confisque celle d’ami); oder auch es in dieſer Beziehung bei dem entgegengeſetzten Princip bewenden läßt: unfrei Schiff, frei Gut. Dieſes zweite Syſtem iſt das Neuere; es iſt ein Schutzſyſtem für die Intereſſen der Neutralen gegen die mit der Ausführung des Er- ſten verbundenen Beläſtigungen, ohne daß man dabei das vollſtän- dige Bewußtſein eines zureichenden inneren Rechtsgrundes hat. Frei Schiff, unfrei Gut, und umgekehrt. 165. Das Erſte der zuvor bezeichneten Syſtemen war wäh- rend des Mittelalters vorherrſchend. Es findet ſich im Conſolato del Mar, 1 deſſen Weithinverbreitung über die europäiſchen ſüd- 1 Die merkwürdige, ſchon oft angeführte Stelle ſteht bei Pardeſſus, Collect. des lois maritim. t. II, p. 303. und zwar cap. 231. (in anderen Aus- gaben 276. auch 273. u. 264.), in der franzöſiſchen Ueberſetzung des ſpa- niſch-romaniſchen Grundtextes alſo lautend: Lorsqu’un navire armé al- lant ou revenant, ou étant en course, rencontrera un navire marchand, si ce dernier appartient à des ennemis, ainsi que sa cargaison, il est inutile d’en parler, parceque chacun est assez instruit pour savoir ce qu’on doit faire, et, dans ce cas, il n’est pas nécessaire de donner de règle. Mais si le navire qui sera pris appartient à des amis, tandis que les marchandises qu’il porte appartiennent à des ennemis, l’amiral du navire armé peut forcer et contraindre le patron du navire qu’il aura pris à lui apporter ce qui appartiendra aux ennemis, et même il peut l’obliger à le garder jusqu’à ce qu’il soit en lieu de sûreté; mais il faut pour cela que l’amiral on un autre pour lui ait amarré le navire pris a sa poupe en lieu où il n’ait pas craint que des ennemis le lui

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/300>, abgerufen am 24.04.2024.