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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§§. 182. 183. Völkerrecht im Zustand des Unfriedens.
Besondere Friedensclauseln.

182. Besondere Regeln für gewisse Friedensclauseln mit eigen-
thümlicher Bedeutung sind:

a) Wird die Restitution einer Sache aus dem Besitze eines
Theiles dem anderen versprochen, so versteht sich solches lediglich
von demjenigen Zustande, worin sie sich zur Zeit der Wegnahme
befand. Allein vermöge der Amnestieclausel können weder die von
dem Occupanten daran in der Zwischenzeit vorgenommenen Zer-
störungen und Beschädigungen, noch auch die davon bezogenen
Früchte reclamirt werden, so wenig als die Nachtheile zufälliger
Veränderungen. Was aber der Besitzer selbst daran geändert oder
hinzugethan hat, darf er wieder hinwegnehmen. 1

b) Wird die Abtretung eines bestimmten Landes oder Landes-
theiles versprochen: so ist darunter regelmäßig der Mitübergang
aller darauf bisher schon haftenden Verbindlichkeiten begriffen, des-
gleichen der darin befindlichen Staatsgüter und Rechte, da es der
Zweck der Abtretung ist, die Gemeinschaft mit dem gegenseitigen
Territorium ganz aufzuheben; es müssen endlich den abgetretenen
Unterthanen nicht bloß ihre privatbürgerlichen, sondern auch poli-
tischen Rechte gelassen werden, wenn sie möglicher Weise in dem
neuen Zustande der Dinge fortbestehen können, oder wenn nicht
schon der Erwerber sich vor dem Frieden in vollständigen unbeschränk-
ten Besitz der Staatsgewalt gegen die nächstdem auch abgetretenen
Unterthanen mit Aufhebung der früheren Verfassung gesetzt hatte,
in welchem Falle die nachherige Abtretung im Frieden nur noch
das Recht des früheren Souveräns aufheben konnte; 2

Alles dieses mit Vorbehalt entgegenstehender Bedingungen.

Anfangspunct der Wirksamkeit.

183. Der Zeitpunct, von welchem ab der geschlossene Friede
seine Wirkungen äußert, ist, wie bei Verträgen überhaupt, der Tag
der Abschließung durch Bevollwortete oder ein eigends dazu be-
stimmter Termin. (§. 86. 87.) Werden dennoch Feindseligkeiten

1 Vergl. Heinr. v. Cocceji de postlim. et amnestia und zu Groot III, 9.
(t. IV, p. 140 s.) Vattel IV, §. 31. Wheaton a. a. O. §. 6. We-
gen der Früchte s. auch Schweikart, hessische Staatscapitalien S. 72 ff.
2 Vgl. oben §. 25 u. 72.
20
§§. 182. 183. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Beſondere Friedensclauſeln.

182. Beſondere Regeln für gewiſſe Friedensclauſeln mit eigen-
thümlicher Bedeutung ſind:

a) Wird die Reſtitution einer Sache aus dem Beſitze eines
Theiles dem anderen verſprochen, ſo verſteht ſich ſolches lediglich
von demjenigen Zuſtande, worin ſie ſich zur Zeit der Wegnahme
befand. Allein vermöge der Amneſtieclauſel können weder die von
dem Occupanten daran in der Zwiſchenzeit vorgenommenen Zer-
ſtörungen und Beſchädigungen, noch auch die davon bezogenen
Früchte reclamirt werden, ſo wenig als die Nachtheile zufälliger
Veränderungen. Was aber der Beſitzer ſelbſt daran geändert oder
hinzugethan hat, darf er wieder hinwegnehmen. 1

b) Wird die Abtretung eines beſtimmten Landes oder Landes-
theiles verſprochen: ſo iſt darunter regelmäßig der Mitübergang
aller darauf bisher ſchon haftenden Verbindlichkeiten begriffen, des-
gleichen der darin befindlichen Staatsgüter und Rechte, da es der
Zweck der Abtretung iſt, die Gemeinſchaft mit dem gegenſeitigen
Territorium ganz aufzuheben; es müſſen endlich den abgetretenen
Unterthanen nicht bloß ihre privatbürgerlichen, ſondern auch poli-
tiſchen Rechte gelaſſen werden, wenn ſie möglicher Weiſe in dem
neuen Zuſtande der Dinge fortbeſtehen können, oder wenn nicht
ſchon der Erwerber ſich vor dem Frieden in vollſtändigen unbeſchränk-
ten Beſitz der Staatsgewalt gegen die nächſtdem auch abgetretenen
Unterthanen mit Aufhebung der früheren Verfaſſung geſetzt hatte,
in welchem Falle die nachherige Abtretung im Frieden nur noch
das Recht des früheren Souveräns aufheben konnte; 2

Alles dieſes mit Vorbehalt entgegenſtehender Bedingungen.

Anfangspunct der Wirkſamkeit.

183. Der Zeitpunct, von welchem ab der geſchloſſene Friede
ſeine Wirkungen äußert, iſt, wie bei Verträgen überhaupt, der Tag
der Abſchließung durch Bevollwortete oder ein eigends dazu be-
ſtimmter Termin. (§. 86. 87.) Werden dennoch Feindſeligkeiten

1 Vergl. Heinr. v. Cocceji de postlim. et amnestia und zu Groot III, 9.
(t. IV, p. 140 s.) Vattel IV, §. 31. Wheaton a. a. O. §. 6. We-
gen der Früchte ſ. auch Schweikart, heſſiſche Staatscapitalien S. 72 ff.
2 Vgl. oben §. 25 u. 72.
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[305/0329] §§. 182. 183. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens. Beſondere Friedensclauſeln. 182. Beſondere Regeln für gewiſſe Friedensclauſeln mit eigen- thümlicher Bedeutung ſind: a) Wird die Reſtitution einer Sache aus dem Beſitze eines Theiles dem anderen verſprochen, ſo verſteht ſich ſolches lediglich von demjenigen Zuſtande, worin ſie ſich zur Zeit der Wegnahme befand. Allein vermöge der Amneſtieclauſel können weder die von dem Occupanten daran in der Zwiſchenzeit vorgenommenen Zer- ſtörungen und Beſchädigungen, noch auch die davon bezogenen Früchte reclamirt werden, ſo wenig als die Nachtheile zufälliger Veränderungen. Was aber der Beſitzer ſelbſt daran geändert oder hinzugethan hat, darf er wieder hinwegnehmen. 1 b) Wird die Abtretung eines beſtimmten Landes oder Landes- theiles verſprochen: ſo iſt darunter regelmäßig der Mitübergang aller darauf bisher ſchon haftenden Verbindlichkeiten begriffen, des- gleichen der darin befindlichen Staatsgüter und Rechte, da es der Zweck der Abtretung iſt, die Gemeinſchaft mit dem gegenſeitigen Territorium ganz aufzuheben; es müſſen endlich den abgetretenen Unterthanen nicht bloß ihre privatbürgerlichen, ſondern auch poli- tiſchen Rechte gelaſſen werden, wenn ſie möglicher Weiſe in dem neuen Zuſtande der Dinge fortbeſtehen können, oder wenn nicht ſchon der Erwerber ſich vor dem Frieden in vollſtändigen unbeſchränk- ten Beſitz der Staatsgewalt gegen die nächſtdem auch abgetretenen Unterthanen mit Aufhebung der früheren Verfaſſung geſetzt hatte, in welchem Falle die nachherige Abtretung im Frieden nur noch das Recht des früheren Souveräns aufheben konnte; 2 Alles dieſes mit Vorbehalt entgegenſtehender Bedingungen. Anfangspunct der Wirkſamkeit. 183. Der Zeitpunct, von welchem ab der geſchloſſene Friede ſeine Wirkungen äußert, iſt, wie bei Verträgen überhaupt, der Tag der Abſchließung durch Bevollwortete oder ein eigends dazu be- ſtimmter Termin. (§. 86. 87.) Werden dennoch Feindſeligkeiten 1 Vergl. Heinr. v. Cocceji de postlim. et amnestia und zu Groot III, 9. (t. IV, p. 140 s.) Vattel IV, §. 31. Wheaton a. a. O. §. 6. We- gen der Früchte ſ. auch Schweikart, heſſiſche Staatscapitalien S. 72 ff. 2 Vgl. oben §. 25 u. 72. 20

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/329>, abgerufen am 28.03.2024.