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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 185. Völkerrecht im Zustand des Unfriedens.
teln ihrer Befestigung u. s. w. gilt, kommt vorzüglich auch bei
Friedensschlüssen in Betracht. 1 Zur Ausführung einzelner Artikel
können nachträgliche Regulirungen erforderlich sein; man vereinigt
sich darüber in zusätzlichen Verträgen oder überträgt sie besonders
ernannten Commissarien. Ueber die Nichterfüllung oder Verletzung
eines Artikels können neue Streitigkeiten entstehen, nur darf der
Friede selbst doch nicht als hiermit gebrochen gelten, sondern erst
dann, wenn der beschuldigte Theil in seiner Weigerung verharrt
und zu keinem gütlichen Ausweg die Hand bietet. 2 Alles Wei-
tere bemißt sich aus dem schon entwickelten System von selbst. 3

II. Die Zwischenherrschaft und Usurpation.

185. Gelingt es einem Kriegführenden, sich in den Besitz des
feindlichen Landes oder eines Theiles desselben zu setzen und darin
zu behaupten: so beläßt er es entweder bei dem status quo, in-
dem er sich auf die thatsächlichen Vortheile der Kriegsoccupation
beschränkt (§. 131 f.), oder er beginnt eine selbständige provisori-
sche Verwaltung
, indem er, wenn auch fürs Erste ohne die
bestimmte Absicht, das eroberte Land seiner Herrschaft bleibend zu
unterwerfen, sich der einzelnen Hoheitsrechte bemächtigt und deren
Verwaltung ganz oder theilweis von seinem Willen abhängig macht;
oder er übernimmt auch wohl zuletzt die ganze Staatsgewalt, sich
an die Stelle des früheren Souveräns setzend, mit der Absicht, den-
selben von dem Wiedereintritt in jene für die Zukunft ganz aus-

1 Wegen der Auslegung s. noch Einzelnes bei Groot III, 20, 23 f. Wenn
Groot daselbst §. 25. und Pufendorf VIII, 8, 9. den zur Erfüllung ge-
setzten Termin als einen stricten betrachten, wo ohne unvorhergesehene Hin-
dernisse keine purgatio morae zulässig sei, so geht dieß über das Billigkeits-
princip hinaus, welches in allen Staatenverträgen voran stehen muß. §. 94.
Vgl. Vattel IV, 26. 27. 50.
2 In manchen Verträgen ist dieses ausdrücklich bemerkt. Vergl. z. B. den
Tractat zwischen Dänemark und Genua von 1756. Art. 37. Wenck Cod.
jur. Gent. III, p.
103. Ueber den Unterschied eines Friedensbruches und
eines neuen Krieges s. Vattel IV, 42.
3 Ueber die Frage: in wiefern Friedensschlüsse durch neu ausbrechenden Krieg
ihre Giltigkeit verlieren, welche sich auch schon aus den vorgetragenen Grund-
sätzen beantwortet, vgl. noch J. J. Moser, vermischte Abhandlung Nr. 1.
und P. C. A. Leopold, de effectu novi belli quoad vim obligandi pri-
stinarum obligationum. Helmst.
1792.
20*

§. 185. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
teln ihrer Befeſtigung u. ſ. w. gilt, kommt vorzüglich auch bei
Friedensſchlüſſen in Betracht. 1 Zur Ausführung einzelner Artikel
können nachträgliche Regulirungen erforderlich ſein; man vereinigt
ſich darüber in zuſätzlichen Verträgen oder überträgt ſie beſonders
ernannten Commiſſarien. Ueber die Nichterfüllung oder Verletzung
eines Artikels können neue Streitigkeiten entſtehen, nur darf der
Friede ſelbſt doch nicht als hiermit gebrochen gelten, ſondern erſt
dann, wenn der beſchuldigte Theil in ſeiner Weigerung verharrt
und zu keinem gütlichen Ausweg die Hand bietet. 2 Alles Wei-
tere bemißt ſich aus dem ſchon entwickelten Syſtem von ſelbſt. 3

II. Die Zwiſchenherrſchaft und Uſurpation.

185. Gelingt es einem Kriegführenden, ſich in den Beſitz des
feindlichen Landes oder eines Theiles deſſelben zu ſetzen und darin
zu behaupten: ſo beläßt er es entweder bei dem status quo, in-
dem er ſich auf die thatſächlichen Vortheile der Kriegsoccupation
beſchränkt (§. 131 f.), oder er beginnt eine ſelbſtändige proviſori-
ſche Verwaltung
, indem er, wenn auch fürs Erſte ohne die
beſtimmte Abſicht, das eroberte Land ſeiner Herrſchaft bleibend zu
unterwerfen, ſich der einzelnen Hoheitsrechte bemächtigt und deren
Verwaltung ganz oder theilweis von ſeinem Willen abhängig macht;
oder er übernimmt auch wohl zuletzt die ganze Staatsgewalt, ſich
an die Stelle des früheren Souveräns ſetzend, mit der Abſicht, den-
ſelben von dem Wiedereintritt in jene für die Zukunft ganz aus-

1 Wegen der Auslegung ſ. noch Einzelnes bei Groot III, 20, 23 f. Wenn
Groot daſelbſt §. 25. und Pufendorf VIII, 8, 9. den zur Erfüllung ge-
ſetzten Termin als einen ſtricten betrachten, wo ohne unvorhergeſehene Hin-
derniſſe keine purgatio morae zuläſſig ſei, ſo geht dieß über das Billigkeits-
princip hinaus, welches in allen Staatenverträgen voran ſtehen muß. §. 94.
Vgl. Vattel IV, 26. 27. 50.
2 In manchen Verträgen iſt dieſes ausdrücklich bemerkt. Vergl. z. B. den
Tractat zwiſchen Dänemark und Genua von 1756. Art. 37. Wenck Cod.
jur. Gent. III, p.
103. Ueber den Unterſchied eines Friedensbruches und
eines neuen Krieges ſ. Vattel IV, 42.
3 Ueber die Frage: in wiefern Friedensſchlüſſe durch neu ausbrechenden Krieg
ihre Giltigkeit verlieren, welche ſich auch ſchon aus den vorgetragenen Grund-
ſätzen beantwortet, vgl. noch J. J. Moſer, vermiſchte Abhandlung Nr. 1.
und P. C. A. Leopold, de effectu novi belli quoad vim obligandi pri-
stinarum obligationum. Helmst.
1792.
20*
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[307/0331] §. 185. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens. teln ihrer Befeſtigung u. ſ. w. gilt, kommt vorzüglich auch bei Friedensſchlüſſen in Betracht. 1 Zur Ausführung einzelner Artikel können nachträgliche Regulirungen erforderlich ſein; man vereinigt ſich darüber in zuſätzlichen Verträgen oder überträgt ſie beſonders ernannten Commiſſarien. Ueber die Nichterfüllung oder Verletzung eines Artikels können neue Streitigkeiten entſtehen, nur darf der Friede ſelbſt doch nicht als hiermit gebrochen gelten, ſondern erſt dann, wenn der beſchuldigte Theil in ſeiner Weigerung verharrt und zu keinem gütlichen Ausweg die Hand bietet. 2 Alles Wei- tere bemißt ſich aus dem ſchon entwickelten Syſtem von ſelbſt. 3 II. Die Zwiſchenherrſchaft und Uſurpation. 185. Gelingt es einem Kriegführenden, ſich in den Beſitz des feindlichen Landes oder eines Theiles deſſelben zu ſetzen und darin zu behaupten: ſo beläßt er es entweder bei dem status quo, in- dem er ſich auf die thatſächlichen Vortheile der Kriegsoccupation beſchränkt (§. 131 f.), oder er beginnt eine ſelbſtändige proviſori- ſche Verwaltung, indem er, wenn auch fürs Erſte ohne die beſtimmte Abſicht, das eroberte Land ſeiner Herrſchaft bleibend zu unterwerfen, ſich der einzelnen Hoheitsrechte bemächtigt und deren Verwaltung ganz oder theilweis von ſeinem Willen abhängig macht; oder er übernimmt auch wohl zuletzt die ganze Staatsgewalt, ſich an die Stelle des früheren Souveräns ſetzend, mit der Abſicht, den- ſelben von dem Wiedereintritt in jene für die Zukunft ganz aus- 1 Wegen der Auslegung ſ. noch Einzelnes bei Groot III, 20, 23 f. Wenn Groot daſelbſt §. 25. und Pufendorf VIII, 8, 9. den zur Erfüllung ge- ſetzten Termin als einen ſtricten betrachten, wo ohne unvorhergeſehene Hin- derniſſe keine purgatio morae zuläſſig ſei, ſo geht dieß über das Billigkeits- princip hinaus, welches in allen Staatenverträgen voran ſtehen muß. §. 94. Vgl. Vattel IV, 26. 27. 50. 2 In manchen Verträgen iſt dieſes ausdrücklich bemerkt. Vergl. z. B. den Tractat zwiſchen Dänemark und Genua von 1756. Art. 37. Wenck Cod. jur. Gent. III, p. 103. Ueber den Unterſchied eines Friedensbruches und eines neuen Krieges ſ. Vattel IV, 42. 3 Ueber die Frage: in wiefern Friedensſchlüſſe durch neu ausbrechenden Krieg ihre Giltigkeit verlieren, welche ſich auch ſchon aus den vorgetragenen Grund- ſätzen beantwortet, vgl. noch J. J. Moſer, vermiſchte Abhandlung Nr. 1. und P. C. A. Leopold, de effectu novi belli quoad vim obligandi pri- stinarum obligationum. Helmst. 1792. 20*

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/331>, abgerufen am 28.03.2024.