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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Zweites Buch. §. 189.
äußerung wohl um deßwillen nicht anfechten, weil der Staat,
mithin auch das ihm Zugehörige, während der Zwischenzeit
nur in der Abhängigkeit von dem Usurpator fortbestand, von
ihm also auch rechtsgiltig repräsentirt wurde; in keinem Falle
würde dasjenige, was unter onerösem Titel ohne Ausschlie-
ßung der Eviction veräußert worden ist, vindicirt werden
dürfen, weil hier den Erwerber dieselbe Billigkeit schützen
muß, welche auch im Civilrecht die exceptio rei venditae
actraditae
erzeugt hat. Denn die restaurirte Regierung muß
unbedenklich bei Wiedernahme des alten Staates auch die
Verbindlichkeit der Zwischenregierung vertreten. Wäre endlich
der alte Staat ganz aufgelöset worden, so konnten auch seine
Activen als herrenlos von der Staatsgewalt, die sich dar-
über gestellt hatte, in Eigenschaft genommen werden.

Alles Postliminium eines unterdrückten Staates fällt übrigens dann
weg, wenn er sich in seiner Gesamtheit dem Eroberer ergeben und
damit jedem Anspruch auf Wiederherstellung ausdrücklich oder still-
schweigend entsagt hat. Nur eine Selbstrevolution oder das Ge-
schenk eines Dritten kann ihn wieder daraus befreien, nicht aber
das bloße Factum einer Wiederaufhebung der früheren feindlichen
Staatsgewalt. 1

Postliminium der Privatpersonen und Privatverhältnisse.

189. In Beziehung auf Privatpersonen, worunter wir auch
die Souveräne und souveränen Familienglieder rücksichtlich ihrer
Privatrechte begreifen, findet, wie bereits im römischen Rechte un-
terschieden wird, ein zweifaches Postliminium Statt, einmal näm-
lich in Ansehung ihrer Person, sofern diese dem Feinde unterwor-
fen oder kriegsgefangen war, sodann in Ansehung ihrer Privat-
rechtsverhältnisse.

Das persönliche Postliminium steht vorzüglich mit dem Cha-

det sich zusammengedrängt in einem oldenburgischen Votum am deutschen
Bundestage, Sitzung v. 4. Dec. 1823.
1 Vattel §. 210. 213. Eine freiwillige bleibende Unterwerfung kann aber
gewiß aus der bloßen Fügsamkeit unter den Willen des Eroberers, aus der
Huldigungsleistung, aus der Annahme von Aemtern noch nicht gefolgert
werden, da Alles dies nur einem Zwange zuzuschreiben und als das ein-
zige Mittel, sich Schlimmeres zu ersparen oder so Viel als möglich zu
retten, ergriffen sein konnte.
Zweites Buch. §. 189.
äußerung wohl um deßwillen nicht anfechten, weil der Staat,
mithin auch das ihm Zugehörige, während der Zwiſchenzeit
nur in der Abhängigkeit von dem Uſurpator fortbeſtand, von
ihm alſo auch rechtsgiltig repräſentirt wurde; in keinem Falle
würde dasjenige, was unter oneröſem Titel ohne Ausſchlie-
ßung der Eviction veräußert worden iſt, vindicirt werden
dürfen, weil hier den Erwerber dieſelbe Billigkeit ſchützen
muß, welche auch im Civilrecht die exceptio rei venditae
actraditae
erzeugt hat. Denn die reſtaurirte Regierung muß
unbedenklich bei Wiedernahme des alten Staates auch die
Verbindlichkeit der Zwiſchenregierung vertreten. Wäre endlich
der alte Staat ganz aufgelöſet worden, ſo konnten auch ſeine
Activen als herrenlos von der Staatsgewalt, die ſich dar-
über geſtellt hatte, in Eigenſchaft genommen werden.

Alles Poſtliminium eines unterdrückten Staates fällt übrigens dann
weg, wenn er ſich in ſeiner Geſamtheit dem Eroberer ergeben und
damit jedem Anſpruch auf Wiederherſtellung ausdrücklich oder ſtill-
ſchweigend entſagt hat. Nur eine Selbſtrevolution oder das Ge-
ſchenk eines Dritten kann ihn wieder daraus befreien, nicht aber
das bloße Factum einer Wiederaufhebung der früheren feindlichen
Staatsgewalt. 1

Poſtliminium der Privatperſonen und Privatverhältniſſe.

189. In Beziehung auf Privatperſonen, worunter wir auch
die Souveräne und ſouveränen Familienglieder rückſichtlich ihrer
Privatrechte begreifen, findet, wie bereits im römiſchen Rechte un-
terſchieden wird, ein zweifaches Poſtliminium Statt, einmal näm-
lich in Anſehung ihrer Perſon, ſofern dieſe dem Feinde unterwor-
fen oder kriegsgefangen war, ſodann in Anſehung ihrer Privat-
rechtsverhältniſſe.

Das perſönliche Poſtliminium ſteht vorzüglich mit dem Cha-

det ſich zuſammengedrängt in einem oldenburgiſchen Votum am deutſchen
Bundestage, Sitzung v. 4. Dec. 1823.
1 Vattel §. 210. 213. Eine freiwillige bleibende Unterwerfung kann aber
gewiß aus der bloßen Fügſamkeit unter den Willen des Eroberers, aus der
Huldigungsleiſtung, aus der Annahme von Aemtern noch nicht gefolgert
werden, da Alles dies nur einem Zwange zuzuſchreiben und als das ein-
zige Mittel, ſich Schlimmeres zu erſparen oder ſo Viel als möglich zu
retten, ergriffen ſein konnte.
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[314/0338] Zweites Buch. §. 189. äußerung wohl um deßwillen nicht anfechten, weil der Staat, mithin auch das ihm Zugehörige, während der Zwiſchenzeit nur in der Abhängigkeit von dem Uſurpator fortbeſtand, von ihm alſo auch rechtsgiltig repräſentirt wurde; in keinem Falle würde dasjenige, was unter oneröſem Titel ohne Ausſchlie- ßung der Eviction veräußert worden iſt, vindicirt werden dürfen, weil hier den Erwerber dieſelbe Billigkeit ſchützen muß, welche auch im Civilrecht die exceptio rei venditae actraditae erzeugt hat. Denn die reſtaurirte Regierung muß unbedenklich bei Wiedernahme des alten Staates auch die Verbindlichkeit der Zwiſchenregierung vertreten. Wäre endlich der alte Staat ganz aufgelöſet worden, ſo konnten auch ſeine Activen als herrenlos von der Staatsgewalt, die ſich dar- über geſtellt hatte, in Eigenſchaft genommen werden. Alles Poſtliminium eines unterdrückten Staates fällt übrigens dann weg, wenn er ſich in ſeiner Geſamtheit dem Eroberer ergeben und damit jedem Anſpruch auf Wiederherſtellung ausdrücklich oder ſtill- ſchweigend entſagt hat. Nur eine Selbſtrevolution oder das Ge- ſchenk eines Dritten kann ihn wieder daraus befreien, nicht aber das bloße Factum einer Wiederaufhebung der früheren feindlichen Staatsgewalt. 1 Poſtliminium der Privatperſonen und Privatverhältniſſe. 189. In Beziehung auf Privatperſonen, worunter wir auch die Souveräne und ſouveränen Familienglieder rückſichtlich ihrer Privatrechte begreifen, findet, wie bereits im römiſchen Rechte un- terſchieden wird, ein zweifaches Poſtliminium Statt, einmal näm- lich in Anſehung ihrer Perſon, ſofern dieſe dem Feinde unterwor- fen oder kriegsgefangen war, ſodann in Anſehung ihrer Privat- rechtsverhältniſſe. Das perſönliche Poſtliminium ſteht vorzüglich mit dem Cha- 2 1 Vattel §. 210. 213. Eine freiwillige bleibende Unterwerfung kann aber gewiß aus der bloßen Fügſamkeit unter den Willen des Eroberers, aus der Huldigungsleiſtung, aus der Annahme von Aemtern noch nicht gefolgert werden, da Alles dies nur einem Zwange zuzuſchreiben und als das ein- zige Mittel, ſich Schlimmeres zu erſparen oder ſo Viel als möglich zu retten, ergriffen ſein konnte. 2 det ſich zuſammengedrängt in einem oldenburgiſchen Votum am deutſchen Bundestage, Sitzung v. 4. Dec. 1823.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/338>, abgerufen am 24.04.2024.