Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 206. Die Formen des völkerrechtlichen Verkehres.
neuere Völkerherkommen hat dieses bei eigentlichen Gesandten in
Verbindung mit der persönlichen Unverletzbarkeit zu einem Exterri-
torialitätsverhältniß gestaltet, wovon jedoch kein Schluß auf alle
diplomatische Personen (§. 198.) sofort zu machen sein würde,
dessen zweifelhafte Puncte auch nur aus den natürlichen Verhält-
nissen des diplomatischen Verkehrs zu erklären und zu reguliren sind.

In der Natur der Sache ist nun ein Mehreres nicht begrün-
det, als daß alle diplomatischen Personen, wenn ihre Function ge-
hörig beglaubigt und anerkannt ist, sogar in ihren eigenen persön-
lichen Angelegenheiten mit einer besonderen Rücksicht behandelt wer-
den müssen, damit das ihnen aufgetragene Geschäft nicht unter-
brochen oder beeinträchtigt wird. 1 In welcher Weise dergleichen
Störungen indessen zu entfernen seien, würde in Ermangelung con-
ventioneller Bestimmungen von den Gesetzen und Anordnungen jeder
Staatsgewalt abhängen, in deren Bereich sich jene Personen befin-
den; die allgemeine Regel des Völkerrechts widersetzt sich nur je-
dem Act der Staatsgewalt, es sei in Justiz- oder Verwaltungs-
sachen, womit die persönliche Unverletzbarkeit eines fremden Abge-
ordneten und die Würde des von ihm vertretenen Staates nicht
zusammen bestehen könnte, so daß insbesondere kein persönliches
Zwangsverfahren gegen ihn angewendet werden darf. 2

Pflichtverhältniß der diplomatischen Personen im fremden Staate und Rechte
desselben gegen sie.

206. Das Hauptmotiv, welches das Verhalten eines Abgeord-
neten in dem fremden Staate bestimmen muß, ist die Pflicht einer
treuen Vertretung aller Interessen des absendenden Staates nach

1 "Ne impediatur legatio", "ne ab officio suscepto legationis avocetur"
-- ist auch der Grund der obigen Vorschriften des römischen Rechts.
2 Eine gänzliche Befreiung von der auswärtigen Gerichtsbarkeit in persön-
lichen Sachen des Gesandten kann aus der Natur des Gesandtschaftsver-
hältnisses allerdings wohl nicht hergeleitet werden, wie solches auch neuer-
dings wieder von Pinheiro Ferreira zu Vattel IV, 92 fgg. und schon von
vielen Aelteren bemerkt, auch nicht allezeit in der Praxis der einzelnen Staa-
ten angenommen ist. Freilich aber eine Gerichtsbarkeit ohne die Möglich-
keit einer Zwangsrealisirung hat sehr wenig Bedeutung, und die Gren-
zen, bis wohin sie demnach gehen kann, ihre großen Schwierigkeiten. Da-
her erklärt sich die Annahme der Exterritorialitätsfiction in der neueren
Staatenpraxis.
22*

§. 206. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
neuere Völkerherkommen hat dieſes bei eigentlichen Geſandten in
Verbindung mit der perſönlichen Unverletzbarkeit zu einem Exterri-
torialitätsverhältniß geſtaltet, wovon jedoch kein Schluß auf alle
diplomatiſche Perſonen (§. 198.) ſofort zu machen ſein würde,
deſſen zweifelhafte Puncte auch nur aus den natürlichen Verhält-
niſſen des diplomatiſchen Verkehrs zu erklären und zu reguliren ſind.

In der Natur der Sache iſt nun ein Mehreres nicht begrün-
det, als daß alle diplomatiſchen Perſonen, wenn ihre Function ge-
hörig beglaubigt und anerkannt iſt, ſogar in ihren eigenen perſön-
lichen Angelegenheiten mit einer beſonderen Rückſicht behandelt wer-
den müſſen, damit das ihnen aufgetragene Geſchäft nicht unter-
brochen oder beeinträchtigt wird. 1 In welcher Weiſe dergleichen
Störungen indeſſen zu entfernen ſeien, würde in Ermangelung con-
ventioneller Beſtimmungen von den Geſetzen und Anordnungen jeder
Staatsgewalt abhängen, in deren Bereich ſich jene Perſonen befin-
den; die allgemeine Regel des Völkerrechts widerſetzt ſich nur je-
dem Act der Staatsgewalt, es ſei in Juſtiz- oder Verwaltungs-
ſachen, womit die perſönliche Unverletzbarkeit eines fremden Abge-
ordneten und die Würde des von ihm vertretenen Staates nicht
zuſammen beſtehen könnte, ſo daß insbeſondere kein perſönliches
Zwangsverfahren gegen ihn angewendet werden darf. 2

Pflichtverhältniß der diplomatiſchen Perſonen im fremden Staate und Rechte
deſſelben gegen ſie.

206. Das Hauptmotiv, welches das Verhalten eines Abgeord-
neten in dem fremden Staate beſtimmen muß, iſt die Pflicht einer
treuen Vertretung aller Intereſſen des abſendenden Staates nach

1 „Ne impediatur legatio“, „ne ab officio suscepto legationis avocetur“
— iſt auch der Grund der obigen Vorſchriften des römiſchen Rechts.
2 Eine gänzliche Befreiung von der auswärtigen Gerichtsbarkeit in perſön-
lichen Sachen des Geſandten kann aus der Natur des Geſandtſchaftsver-
hältniſſes allerdings wohl nicht hergeleitet werden, wie ſolches auch neuer-
dings wieder von Pinheiro Ferreira zu Vattel IV, 92 fgg. und ſchon von
vielen Aelteren bemerkt, auch nicht allezeit in der Praxis der einzelnen Staa-
ten angenommen iſt. Freilich aber eine Gerichtsbarkeit ohne die Möglich-
keit einer Zwangsrealiſirung hat ſehr wenig Bedeutung, und die Gren-
zen, bis wohin ſie demnach gehen kann, ihre großen Schwierigkeiten. Da-
her erklärt ſich die Annahme der Exterritorialitätsfiction in der neueren
Staatenpraxis.
22*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0363" n="339"/><fw place="top" type="header">§. 206. <hi rendition="#g">Die Formen des vo&#x0364;lkerrechtlichen Verkehres</hi>.</fw><lb/>
neuere Völkerherkommen hat die&#x017F;es bei eigentlichen Ge&#x017F;andten in<lb/>
Verbindung mit der per&#x017F;önlichen Unverletzbarkeit zu einem Exterri-<lb/>
torialitätsverhältniß ge&#x017F;taltet, wovon jedoch kein Schluß auf alle<lb/>
diplomati&#x017F;che Per&#x017F;onen (§. 198.) &#x017F;ofort zu machen &#x017F;ein würde,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en zweifelhafte Puncte auch nur aus den natürlichen Verhält-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;en des diplomati&#x017F;chen Verkehrs zu erklären und zu reguliren &#x017F;ind.</p><lb/>
              <p>In der Natur der Sache i&#x017F;t nun ein Mehreres nicht begrün-<lb/>
det, als daß alle diplomati&#x017F;chen Per&#x017F;onen, wenn ihre Function ge-<lb/>
hörig beglaubigt und anerkannt i&#x017F;t, &#x017F;ogar in ihren eigenen per&#x017F;ön-<lb/>
lichen Angelegenheiten mit einer be&#x017F;onderen Rück&#x017F;icht behandelt wer-<lb/>
den mü&#x017F;&#x017F;en, damit das ihnen aufgetragene Ge&#x017F;chäft nicht unter-<lb/>
brochen oder beeinträchtigt wird. <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">&#x201E;Ne impediatur legatio&#x201C;, &#x201E;ne ab officio suscepto legationis avocetur&#x201C;</hi><lb/>
&#x2014; i&#x017F;t auch der Grund der obigen Vor&#x017F;chriften des römi&#x017F;chen Rechts.</note> In welcher Wei&#x017F;e dergleichen<lb/>
Störungen inde&#x017F;&#x017F;en zu entfernen &#x017F;eien, würde in Ermangelung con-<lb/>
ventioneller Be&#x017F;timmungen von den Ge&#x017F;etzen und Anordnungen jeder<lb/>
Staatsgewalt abhängen, in deren Bereich &#x017F;ich jene Per&#x017F;onen befin-<lb/>
den; die allgemeine Regel des Völkerrechts wider&#x017F;etzt &#x017F;ich nur je-<lb/>
dem Act der Staatsgewalt, es &#x017F;ei in Ju&#x017F;tiz- oder Verwaltungs-<lb/>
&#x017F;achen, womit die per&#x017F;önliche Unverletzbarkeit eines fremden Abge-<lb/>
ordneten und die Würde des von ihm vertretenen Staates nicht<lb/>
zu&#x017F;ammen be&#x017F;tehen könnte, &#x017F;o daß insbe&#x017F;ondere kein per&#x017F;önliches<lb/>
Zwangsverfahren gegen ihn angewendet werden darf. <note place="foot" n="2">Eine gänzliche Befreiung von der auswärtigen Gerichtsbarkeit in per&#x017F;ön-<lb/>
lichen Sachen des Ge&#x017F;andten kann aus der Natur des Ge&#x017F;andt&#x017F;chaftsver-<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;es allerdings wohl nicht hergeleitet werden, wie &#x017F;olches auch neuer-<lb/>
dings wieder von Pinheiro Ferreira zu Vattel <hi rendition="#aq">IV,</hi> 92 fgg. und &#x017F;chon von<lb/>
vielen Aelteren bemerkt, auch nicht allezeit in der Praxis der einzelnen Staa-<lb/>
ten angenommen i&#x017F;t. Freilich aber eine Gerichtsbarkeit ohne die Möglich-<lb/>
keit einer Zwangsreali&#x017F;irung hat &#x017F;ehr wenig Bedeutung, und die Gren-<lb/>
zen, bis wohin &#x017F;ie demnach gehen kann, ihre großen Schwierigkeiten. Da-<lb/>
her erklärt &#x017F;ich die Annahme der Exterritorialitätsfiction in der neueren<lb/>
Staatenpraxis.</note></p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>Pflichtverhältniß der diplomati&#x017F;chen Per&#x017F;onen im fremden Staate und Rechte<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben gegen &#x017F;ie.</head><lb/>
              <p>206. Das Hauptmotiv, welches das Verhalten eines Abgeord-<lb/>
neten in dem fremden Staate be&#x017F;timmen muß, i&#x017F;t die Pflicht einer<lb/>
treuen Vertretung aller Intere&#x017F;&#x017F;en des ab&#x017F;endenden Staates nach<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">22*</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[339/0363] §. 206. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres. neuere Völkerherkommen hat dieſes bei eigentlichen Geſandten in Verbindung mit der perſönlichen Unverletzbarkeit zu einem Exterri- torialitätsverhältniß geſtaltet, wovon jedoch kein Schluß auf alle diplomatiſche Perſonen (§. 198.) ſofort zu machen ſein würde, deſſen zweifelhafte Puncte auch nur aus den natürlichen Verhält- niſſen des diplomatiſchen Verkehrs zu erklären und zu reguliren ſind. In der Natur der Sache iſt nun ein Mehreres nicht begrün- det, als daß alle diplomatiſchen Perſonen, wenn ihre Function ge- hörig beglaubigt und anerkannt iſt, ſogar in ihren eigenen perſön- lichen Angelegenheiten mit einer beſonderen Rückſicht behandelt wer- den müſſen, damit das ihnen aufgetragene Geſchäft nicht unter- brochen oder beeinträchtigt wird. 1 In welcher Weiſe dergleichen Störungen indeſſen zu entfernen ſeien, würde in Ermangelung con- ventioneller Beſtimmungen von den Geſetzen und Anordnungen jeder Staatsgewalt abhängen, in deren Bereich ſich jene Perſonen befin- den; die allgemeine Regel des Völkerrechts widerſetzt ſich nur je- dem Act der Staatsgewalt, es ſei in Juſtiz- oder Verwaltungs- ſachen, womit die perſönliche Unverletzbarkeit eines fremden Abge- ordneten und die Würde des von ihm vertretenen Staates nicht zuſammen beſtehen könnte, ſo daß insbeſondere kein perſönliches Zwangsverfahren gegen ihn angewendet werden darf. 2 Pflichtverhältniß der diplomatiſchen Perſonen im fremden Staate und Rechte deſſelben gegen ſie. 206. Das Hauptmotiv, welches das Verhalten eines Abgeord- neten in dem fremden Staate beſtimmen muß, iſt die Pflicht einer treuen Vertretung aller Intereſſen des abſendenden Staates nach 1 „Ne impediatur legatio“, „ne ab officio suscepto legationis avocetur“ — iſt auch der Grund der obigen Vorſchriften des römiſchen Rechts. 2 Eine gänzliche Befreiung von der auswärtigen Gerichtsbarkeit in perſön- lichen Sachen des Geſandten kann aus der Natur des Geſandtſchaftsver- hältniſſes allerdings wohl nicht hergeleitet werden, wie ſolches auch neuer- dings wieder von Pinheiro Ferreira zu Vattel IV, 92 fgg. und ſchon von vielen Aelteren bemerkt, auch nicht allezeit in der Praxis der einzelnen Staa- ten angenommen iſt. Freilich aber eine Gerichtsbarkeit ohne die Möglich- keit einer Zwangsrealiſirung hat ſehr wenig Bedeutung, und die Gren- zen, bis wohin ſie demnach gehen kann, ihre großen Schwierigkeiten. Da- her erklärt ſich die Annahme der Exterritorialitätsfiction in der neueren Staatenpraxis. 22*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/363
Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/363>, abgerufen am 23.04.2024.