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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 215. Die Formen des völkerrechtlichen Verkehres.

Steht ein Gesandter auch noch in einem dauernden Unterthans-
oder Dienstverhältniß zu dem Staate, bei welchem er als Gesand-
ter einer anderen Macht accreditirt ist, so kann jenem das Recht
der Bestrafung durch das gesandtschaftliche Verhältniß schwerlich
entzogen sein. 1 Gewiß aber wird zuvor das Interesse des aus-
wärtigen Staates durch genommene Rücksprache mit demselben vor
weiterem gerichtlichen Einschreiten sicher zu stellen sein.

d. Befreiung von der bürgerlichen Gerichtsbarkeit.

215. Nachdem sich einmal die Fiction einer Exterritorialität
der Gesandten aufgethan hatte, konnte nun ihre Exemtion von der
bürgerlichen Gerichtsbarkeit in dem bereits §. 42. No. VII. dar-
gelegten Umfang nicht ausbleiben. Zwar sind die Meinungen hier-
über stets getheilter gewesen, als in Betreff der Strafgerichtsbar-
keit; 2 es würde auch, wie wir noch an einer anderen Stelle (§.
202.) bemerkt haben, eine gänzliche Exemtion in allen bürgerlichen
Streitsachen ohne Unterschied aus der Natur der gesandtschaftlichen
Mission nicht zu rechtfertigen sein; indessen giebt es, so viel uns
bekannt, zur Zeit kein Land, in welchem noch andere Ausnahmen
von der Exemtion der Gesandten statuirt würden, als die mit der
Exterritorialität an sich verträglichen; 3 so daß für jetzt jeder Streit
unerheblich oder niedergeschlagen sein dürfte. Aus dem theoretischen
Standpuncte lassen sich allerdings Bedenken erheben, ob diese all-
seitige Staatenpraxis nur auf einer precären Convenienz oder auf
einer Ueberzeugung von der inneren Nothwendigkeit des Principes
beruht; ob nicht also jeder Staat von der bisherigen Observanz

s. bei v. Ompteda §. 253. und bei v. Kamptz §. 228. Der letzte Versuch
einer Anklage eines fremden Gesandten wurde 1765 von dem Chevalier
D'Eon wider den französischen Ambassadeur de Guerchy gemacht, indessen
scheint die Sache keinen Fortgang gehabt zu haben. Moser Versuch 419.
Ward gedenkt dieses Falles nicht in seiner sorgfältigen Auseinandersetzung
der Frage.
1 In diesem Falle befand sich Wicquefort selbst im Jahre 1675, wie Byn-
kershoeck Cap. 18. §. 6. darlegt.
2 Die Erörterung dieses Punctes nach seinen inneren und geschichtlichen
Gründen siehe bei Bynkershoeck de jud. compet.; sonstige Schriften bei
v. Ompteda §. 265. und v. Kamptz §. 236.
3 Den Nachweis liefert Merlin Sect. V, §. 4. Nr. 1--9. Ward Eu-
quiry II,
497.
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§. 215. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.

Steht ein Geſandter auch noch in einem dauernden Unterthans-
oder Dienſtverhältniß zu dem Staate, bei welchem er als Geſand-
ter einer anderen Macht accreditirt iſt, ſo kann jenem das Recht
der Beſtrafung durch das geſandtſchaftliche Verhältniß ſchwerlich
entzogen ſein. 1 Gewiß aber wird zuvor das Intereſſe des aus-
wärtigen Staates durch genommene Rückſprache mit demſelben vor
weiterem gerichtlichen Einſchreiten ſicher zu ſtellen ſein.

d. Befreiung von der bürgerlichen Gerichtsbarkeit.

215. Nachdem ſich einmal die Fiction einer Exterritorialität
der Geſandten aufgethan hatte, konnte nun ihre Exemtion von der
bürgerlichen Gerichtsbarkeit in dem bereits §. 42. No. VII. dar-
gelegten Umfang nicht ausbleiben. Zwar ſind die Meinungen hier-
über ſtets getheilter geweſen, als in Betreff der Strafgerichtsbar-
keit; 2 es würde auch, wie wir noch an einer anderen Stelle (§.
202.) bemerkt haben, eine gaͤnzliche Exemtion in allen bürgerlichen
Streitſachen ohne Unterſchied aus der Natur der geſandtſchaftlichen
Miſſion nicht zu rechtfertigen ſein; indeſſen giebt es, ſo viel uns
bekannt, zur Zeit kein Land, in welchem noch andere Ausnahmen
von der Exemtion der Geſandten ſtatuirt würden, als die mit der
Exterritorialität an ſich verträglichen; 3 ſo daß für jetzt jeder Streit
unerheblich oder niedergeſchlagen ſein dürfte. Aus dem theoretiſchen
Standpuncte laſſen ſich allerdings Bedenken erheben, ob dieſe all-
ſeitige Staatenpraxis nur auf einer precären Convenienz oder auf
einer Ueberzeugung von der inneren Nothwendigkeit des Principes
beruht; ob nicht alſo jeder Staat von der bisherigen Obſervanz

ſ. bei v. Ompteda §. 253. und bei v. Kamptz §. 228. Der letzte Verſuch
einer Anklage eines fremden Geſandten wurde 1765 von dem Chevalier
D’Eon wider den franzöſiſchen Ambassadeur de Guerchy gemacht, indeſſen
ſcheint die Sache keinen Fortgang gehabt zu haben. Moſer Verſuch 419.
Ward gedenkt dieſes Falles nicht in ſeiner ſorgfältigen Auseinanderſetzung
der Frage.
1 In dieſem Falle befand ſich Wicquefort ſelbſt im Jahre 1675, wie Byn-
kershoeck Cap. 18. §. 6. darlegt.
2 Die Erörterung dieſes Punctes nach ſeinen inneren und geſchichtlichen
Gründen ſiehe bei Bynkershoeck de jud. compet.; ſonſtige Schriften bei
v. Ompteda §. 265. und v. Kamptz §. 236.
3 Den Nachweis liefert Merlin Sect. V, §. 4. Nr. 1—9. Ward Eu-
quiry II,
497.
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[353/0377] §. 215. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres. Steht ein Geſandter auch noch in einem dauernden Unterthans- oder Dienſtverhältniß zu dem Staate, bei welchem er als Geſand- ter einer anderen Macht accreditirt iſt, ſo kann jenem das Recht der Beſtrafung durch das geſandtſchaftliche Verhältniß ſchwerlich entzogen ſein. 1 Gewiß aber wird zuvor das Intereſſe des aus- wärtigen Staates durch genommene Rückſprache mit demſelben vor weiterem gerichtlichen Einſchreiten ſicher zu ſtellen ſein. d. Befreiung von der bürgerlichen Gerichtsbarkeit. 215. Nachdem ſich einmal die Fiction einer Exterritorialität der Geſandten aufgethan hatte, konnte nun ihre Exemtion von der bürgerlichen Gerichtsbarkeit in dem bereits §. 42. No. VII. dar- gelegten Umfang nicht ausbleiben. Zwar ſind die Meinungen hier- über ſtets getheilter geweſen, als in Betreff der Strafgerichtsbar- keit; 2 es würde auch, wie wir noch an einer anderen Stelle (§. 202.) bemerkt haben, eine gaͤnzliche Exemtion in allen bürgerlichen Streitſachen ohne Unterſchied aus der Natur der geſandtſchaftlichen Miſſion nicht zu rechtfertigen ſein; indeſſen giebt es, ſo viel uns bekannt, zur Zeit kein Land, in welchem noch andere Ausnahmen von der Exemtion der Geſandten ſtatuirt würden, als die mit der Exterritorialität an ſich verträglichen; 3 ſo daß für jetzt jeder Streit unerheblich oder niedergeſchlagen ſein dürfte. Aus dem theoretiſchen Standpuncte laſſen ſich allerdings Bedenken erheben, ob dieſe all- ſeitige Staatenpraxis nur auf einer precären Convenienz oder auf einer Ueberzeugung von der inneren Nothwendigkeit des Principes beruht; ob nicht alſo jeder Staat von der bisherigen Obſervanz 2 1 In dieſem Falle befand ſich Wicquefort ſelbſt im Jahre 1675, wie Byn- kershoeck Cap. 18. §. 6. darlegt. 2 Die Erörterung dieſes Punctes nach ſeinen inneren und geſchichtlichen Gründen ſiehe bei Bynkershoeck de jud. compet.; ſonſtige Schriften bei v. Ompteda §. 265. und v. Kamptz §. 236. 3 Den Nachweis liefert Merlin Sect. V, §. 4. Nr. 1—9. Ward Eu- quiry II, 497. 2 ſ. bei v. Ompteda §. 253. und bei v. Kamptz §. 228. Der letzte Verſuch einer Anklage eines fremden Geſandten wurde 1765 von dem Chevalier D’Eon wider den franzöſiſchen Ambassadeur de Guerchy gemacht, indeſſen ſcheint die Sache keinen Fortgang gehabt zu haben. Moſer Verſuch 419. Ward gedenkt dieſes Falles nicht in ſeiner ſorgfältigen Auseinanderſetzung der Frage. 23

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/377>, abgerufen am 23.04.2024.