Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite
§. 228. Die Formen des völkerrechtlichen Verkehres.
renden Souveräns oder desjenigen, an welchen die Mission
in Staatsangelegenheiten erfolgt ist.

Denn ein Erlöschen der Vollmacht kann hier von Rechtswegen
nicht angenommen werden; es müßte etwa dieselbe, wie schon ge-
sagt, ausdrücklich nur auf die Personen der Souveräne gestellt sein.
Außerdem kann der Regierungswechsel höchstens nur einen Still-
stand in den diplomatischen Functionen mit sich führen.

Wirkungen der Suspension oder Beendigung diplomatischer Sendungen.

228. Weder die Suspension noch auch die Beendigung diplo-
matischer Sendungen vernichtet sofort die völkerrechtliche Stellung
des Beauftragten, und wenn auch vormals die Staatenpraxis be-
sonders im Falle eines ausgebrochenen Krieges nicht selten, ja so-
gar regelmäßig noch während des Mittelalters schonungslos gegen
Gesandte verfuhr: 1 so hat sie sich doch längst einer besseren Rich-
tung ergeben. Gesandte fremder Staaten müssen auch unter den
Feinden derselben unverletzbar bleiben. 2

Was nun zunächst den Fall einer bloßen Suspension betrifft:
so erstreckt sich diese im Wesentlichen nur auf den Geschäftsverkehr,
und kann daher der Regel nach keine Aenderung in den persön-
lichen Rechtsverhältnissen eines Abgeordneten nach sich ziehen.

Hat die Mission selbst völlig aufgehört, so versteht sich für
den absendenden Staat unzweifelhaft das Recht, seine Interessen
gegen jede eigenmächtige und fremdartige Einmischung sicher zu stel-
len und das ihm Gebührende unverletzt aus dem fremden Lande
zurückzuempfangen. Es muß daher sogar bei eingetretener Miß-
stimmung und Feindseligkeit dem Abgeordneten Zeit und Gelegen-
heit gegeben werden, sich aus dem fremden Staate ungehindert mit
seinen Angehörigen und Effecten zurückzuziehen, überdem auch bis
dahin jede wesentliche Rechtszuständigkeit der Abgesandten in ihrer
heutigen Entwickelung, nämlich Unverletzbarkeit und Exterritorialität,
respectirt werden. 3 Die Bestimmung der Zeit ist allerdings von
dem Ermessen des fremden Staates abhängig; aber eine offenbar zu
kurze Frist würde das Völkerrecht verletzen. Erst wenn eine billige

1 Ward, Enquiry I, 285. Wegen der Saracenischen Praxis ebends. II, 477.
Pütter, Beitr. 167.
2 Grundsatz auch des kirchlichen Rechts. Can. 2. Dist. I.
3 Bielfeld, instit. II, p. 179. §. 30.
24*
§. 228. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
renden Souveräns oder desjenigen, an welchen die Miſſion
in Staatsangelegenheiten erfolgt iſt.

Denn ein Erlöſchen der Vollmacht kann hier von Rechtswegen
nicht angenommen werden; es müßte etwa dieſelbe, wie ſchon ge-
ſagt, ausdrücklich nur auf die Perſonen der Souveräne geſtellt ſein.
Außerdem kann der Regierungswechſel höchſtens nur einen Still-
ſtand in den diplomatiſchen Functionen mit ſich führen.

Wirkungen der Suspenſion oder Beendigung diplomatiſcher Sendungen.

228. Weder die Suspenſion noch auch die Beendigung diplo-
matiſcher Sendungen vernichtet ſofort die völkerrechtliche Stellung
des Beauftragten, und wenn auch vormals die Staatenpraxis be-
ſonders im Falle eines ausgebrochenen Krieges nicht ſelten, ja ſo-
gar regelmäßig noch während des Mittelalters ſchonungslos gegen
Geſandte verfuhr: 1 ſo hat ſie ſich doch längſt einer beſſeren Rich-
tung ergeben. Geſandte fremder Staaten müſſen auch unter den
Feinden derſelben unverletzbar bleiben. 2

Was nun zunächſt den Fall einer bloßen Suspenſion betrifft:
ſo erſtreckt ſich dieſe im Weſentlichen nur auf den Geſchäftsverkehr,
und kann daher der Regel nach keine Aenderung in den perſön-
lichen Rechtsverhältniſſen eines Abgeordneten nach ſich ziehen.

Hat die Miſſion ſelbſt völlig aufgehört, ſo verſteht ſich für
den abſendenden Staat unzweifelhaft das Recht, ſeine Intereſſen
gegen jede eigenmächtige und fremdartige Einmiſchung ſicher zu ſtel-
len und das ihm Gebührende unverletzt aus dem fremden Lande
zurückzuempfangen. Es muß daher ſogar bei eingetretener Miß-
ſtimmung und Feindſeligkeit dem Abgeordneten Zeit und Gelegen-
heit gegeben werden, ſich aus dem fremden Staate ungehindert mit
ſeinen Angehörigen und Effecten zurückzuziehen, überdem auch bis
dahin jede weſentliche Rechtszuſtändigkeit der Abgeſandten in ihrer
heutigen Entwickelung, nämlich Unverletzbarkeit und Exterritorialität,
reſpectirt werden. 3 Die Beſtimmung der Zeit iſt allerdings von
dem Ermeſſen des fremden Staates abhängig; aber eine offenbar zu
kurze Friſt würde das Völkerrecht verletzen. Erſt wenn eine billige

1 Ward, Enquiry I, 285. Wegen der Saraceniſchen Praxis ebendſ. II, 477.
Pütter, Beitr. 167.
2 Grundſatz auch des kirchlichen Rechts. Can. 2. Dist. I.
3 Bielfeld, instit. II, p. 179. §. 30.
24*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <list>
                  <item><pb facs="#f0395" n="371"/><fw place="top" type="header">§. 228. <hi rendition="#g">Die Formen des vo&#x0364;lkerrechtlichen Verkehres</hi>.</fw><lb/>
renden Souveräns oder desjenigen, an welchen die Mi&#x017F;&#x017F;ion<lb/>
in Staatsangelegenheiten erfolgt i&#x017F;t.</item>
                </list><lb/>
                <p>Denn ein Erlö&#x017F;chen der Vollmacht kann hier von Rechtswegen<lb/>
nicht angenommen werden; es müßte etwa die&#x017F;elbe, wie &#x017F;chon ge-<lb/>
&#x017F;agt, ausdrücklich nur auf die Per&#x017F;onen der Souveräne ge&#x017F;tellt &#x017F;ein.<lb/>
Außerdem kann der Regierungswech&#x017F;el höch&#x017F;tens nur einen Still-<lb/>
&#x017F;tand in den diplomati&#x017F;chen Functionen mit &#x017F;ich führen.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>Wirkungen der Suspen&#x017F;ion oder Beendigung diplomati&#x017F;cher Sendungen.</head><lb/>
                <p>228. Weder die Suspen&#x017F;ion noch auch die Beendigung diplo-<lb/>
mati&#x017F;cher Sendungen vernichtet &#x017F;ofort die völkerrechtliche Stellung<lb/>
des Beauftragten, und wenn auch vormals die Staatenpraxis be-<lb/>
&#x017F;onders im Falle eines ausgebrochenen Krieges nicht &#x017F;elten, ja &#x017F;o-<lb/>
gar regelmäßig noch während des Mittelalters &#x017F;chonungslos gegen<lb/>
Ge&#x017F;andte verfuhr: <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">Ward, Enquiry I,</hi> 285. Wegen der Saraceni&#x017F;chen Praxis ebend&#x017F;. <hi rendition="#aq">II,</hi> 477.<lb/>
Pütter, Beitr. 167.</note> &#x017F;o hat &#x017F;ie &#x017F;ich doch läng&#x017F;t einer be&#x017F;&#x017F;eren Rich-<lb/>
tung ergeben. Ge&#x017F;andte fremder Staaten mü&#x017F;&#x017F;en auch unter den<lb/>
Feinden der&#x017F;elben unverletzbar bleiben. <note place="foot" n="2">Grund&#x017F;atz auch des kirchlichen Rechts. <hi rendition="#aq">Can. 2. Dist. I.</hi></note></p><lb/>
                <p>Was nun zunäch&#x017F;t den Fall einer bloßen Suspen&#x017F;ion betrifft:<lb/>
&#x017F;o er&#x017F;treckt &#x017F;ich die&#x017F;e im We&#x017F;entlichen nur auf den Ge&#x017F;chäftsverkehr,<lb/>
und kann daher der Regel nach keine Aenderung in den per&#x017F;ön-<lb/>
lichen Rechtsverhältni&#x017F;&#x017F;en eines Abgeordneten nach &#x017F;ich ziehen.</p><lb/>
                <p>Hat die Mi&#x017F;&#x017F;ion &#x017F;elb&#x017F;t völlig aufgehört, &#x017F;o ver&#x017F;teht &#x017F;ich für<lb/>
den ab&#x017F;endenden Staat unzweifelhaft das Recht, &#x017F;eine Intere&#x017F;&#x017F;en<lb/>
gegen jede eigenmächtige und fremdartige Einmi&#x017F;chung &#x017F;icher zu &#x017F;tel-<lb/>
len und das ihm Gebührende unverletzt aus dem fremden Lande<lb/>
zurückzuempfangen. Es muß daher &#x017F;ogar bei eingetretener Miß-<lb/>
&#x017F;timmung und Feind&#x017F;eligkeit dem Abgeordneten Zeit und Gelegen-<lb/>
heit gegeben werden, &#x017F;ich aus dem fremden Staate ungehindert mit<lb/>
&#x017F;einen Angehörigen und Effecten zurückzuziehen, überdem auch bis<lb/>
dahin jede we&#x017F;entliche Rechtszu&#x017F;tändigkeit der Abge&#x017F;andten in ihrer<lb/>
heutigen Entwickelung, nämlich Unverletzbarkeit und Exterritorialität,<lb/>
re&#x017F;pectirt werden. <note place="foot" n="3">Bielfeld, <hi rendition="#aq">instit. II, p.</hi> 179. §. 30.</note> Die Be&#x017F;timmung der Zeit i&#x017F;t allerdings von<lb/>
dem Erme&#x017F;&#x017F;en des fremden Staates abhängig; aber eine offenbar zu<lb/>
kurze Fri&#x017F;t würde das Völkerrecht verletzen. Er&#x017F;t wenn eine billige<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">24*</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[371/0395] §. 228. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres. renden Souveräns oder desjenigen, an welchen die Miſſion in Staatsangelegenheiten erfolgt iſt. Denn ein Erlöſchen der Vollmacht kann hier von Rechtswegen nicht angenommen werden; es müßte etwa dieſelbe, wie ſchon ge- ſagt, ausdrücklich nur auf die Perſonen der Souveräne geſtellt ſein. Außerdem kann der Regierungswechſel höchſtens nur einen Still- ſtand in den diplomatiſchen Functionen mit ſich führen. Wirkungen der Suspenſion oder Beendigung diplomatiſcher Sendungen. 228. Weder die Suspenſion noch auch die Beendigung diplo- matiſcher Sendungen vernichtet ſofort die völkerrechtliche Stellung des Beauftragten, und wenn auch vormals die Staatenpraxis be- ſonders im Falle eines ausgebrochenen Krieges nicht ſelten, ja ſo- gar regelmäßig noch während des Mittelalters ſchonungslos gegen Geſandte verfuhr: 1 ſo hat ſie ſich doch längſt einer beſſeren Rich- tung ergeben. Geſandte fremder Staaten müſſen auch unter den Feinden derſelben unverletzbar bleiben. 2 Was nun zunächſt den Fall einer bloßen Suspenſion betrifft: ſo erſtreckt ſich dieſe im Weſentlichen nur auf den Geſchäftsverkehr, und kann daher der Regel nach keine Aenderung in den perſön- lichen Rechtsverhältniſſen eines Abgeordneten nach ſich ziehen. Hat die Miſſion ſelbſt völlig aufgehört, ſo verſteht ſich für den abſendenden Staat unzweifelhaft das Recht, ſeine Intereſſen gegen jede eigenmächtige und fremdartige Einmiſchung ſicher zu ſtel- len und das ihm Gebührende unverletzt aus dem fremden Lande zurückzuempfangen. Es muß daher ſogar bei eingetretener Miß- ſtimmung und Feindſeligkeit dem Abgeordneten Zeit und Gelegen- heit gegeben werden, ſich aus dem fremden Staate ungehindert mit ſeinen Angehörigen und Effecten zurückzuziehen, überdem auch bis dahin jede weſentliche Rechtszuſtändigkeit der Abgeſandten in ihrer heutigen Entwickelung, nämlich Unverletzbarkeit und Exterritorialität, reſpectirt werden. 3 Die Beſtimmung der Zeit iſt allerdings von dem Ermeſſen des fremden Staates abhängig; aber eine offenbar zu kurze Friſt würde das Völkerrecht verletzen. Erſt wenn eine billige 1 Ward, Enquiry I, 285. Wegen der Saraceniſchen Praxis ebendſ. II, 477. Pütter, Beitr. 167. 2 Grundſatz auch des kirchlichen Rechts. Can. 2. Dist. I. 3 Bielfeld, instit. II, p. 179. §. 30. 24*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/395
Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/395>, abgerufen am 28.03.2024.