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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Drittes Buch. §. 235.
fernteren Ziele, ist besser als Vergeudung der Kräfte nach ver-
schiedenen Seiten hin. 1

Schule der Diplomatie.

235. Die Schule der Diplomatie ist das Leben und die Ge-
schichte. Vergebens wird man dafür Akademien errichten, wenn
nicht jene beiden Lehrmeisterinnen ein empfängliches Talent bilden.
In älteren Zeiten waren es die Männer vom Schwerdt, welche
oft ohne alle gelehrte Vorbereitung in politischen Angelegenheiten
gebraucht wurden, oder Geistliche in der Schule der Hierarchie ge-
bildet. Später erst traten die Laienmänner von der Feder dazu.
Darüber klagten anfangs die Männer vom Degen, weil jene oft
Dinge unternehmen, die den Krieg nach sich ziehen; denn da ihr
eigenes Leben nicht in Gefahr komme, so kümmere es sie nicht
fremdes Blut vergießen zu lassen. 2 So haben noch in neuerer
Zeit die Degen gemurrt, daß die Federn verderben oder wieder
verlöhren, was jene erkämpften. Gewiß indessen ist Politik und
Diplomatie nicht das Feld des Kriegers. Dieser verlangt oft mehr
als Recht ist, nur nach dem Stande der Gegenwart. Das Recht
aber wird immer die sicherste Basis für die fernere Geschichte ei-
nes Staates sein. Damit soll nicht gesagt werden, daß Feldher-
ren nicht ebenfalls tüchtige Diplomaten sein können. Die ältere und
neuere Zeit hat großartige Beispiele der Vereinigung beider Talente
gegeben.

Kann nun auch schon ein politisches Talent ohne schulmäßige
Bildung sich zu einem Diplomaten entwickeln, so wird es doch
eine sichere Stellung nicht ohne wirkliche Studien, vorzüglich in
heutiger Zeit, behaupten können. Voraussetzen muß man bei ihm
ein Durchdrungensein von den Grundsätzen des Rechtes überhaupt,
hinreichende Kenntniß des europäischen Völkerrechtes, der Verfas-
sung der Staaten, der Weltgeschichte, Kenntniß der Staatskräfte
und die nöthigen linguistischen Fähigkeiten. 3 Ohne Zweifel wer-

1 Beachtungswerth sind in dieser Beziehung Macchiavelli, discorsi II, 1.
Mably I, 18.
2 Die Klage findet sich bei Brienne in seinen Memoiren in Beziehung ei-
nes von ihm gemißbilligten Tractates von 1661.
3 Eine Zusammenstellung der dem Diplomaten nothwendigen oder nützlichen
Wissenschaften findet sich in v. Dresch kleinen Schriften 1827. S. 11 f.

Drittes Buch. §. 235.
fernteren Ziele, iſt beſſer als Vergeudung der Kräfte nach ver-
ſchiedenen Seiten hin. 1

Schule der Diplomatie.

235. Die Schule der Diplomatie iſt das Leben und die Ge-
ſchichte. Vergebens wird man dafür Akademien errichten, wenn
nicht jene beiden Lehrmeiſterinnen ein empfängliches Talent bilden.
In älteren Zeiten waren es die Männer vom Schwerdt, welche
oft ohne alle gelehrte Vorbereitung in politiſchen Angelegenheiten
gebraucht wurden, oder Geiſtliche in der Schule der Hierarchie ge-
bildet. Später erſt traten die Laienmänner von der Feder dazu.
Darüber klagten anfangs die Männer vom Degen, weil jene oft
Dinge unternehmen, die den Krieg nach ſich ziehen; denn da ihr
eigenes Leben nicht in Gefahr komme, ſo kümmere es ſie nicht
fremdes Blut vergießen zu laſſen. 2 So haben noch in neuerer
Zeit die Degen gemurrt, daß die Federn verderben oder wieder
verlöhren, was jene erkämpften. Gewiß indeſſen iſt Politik und
Diplomatie nicht das Feld des Kriegers. Dieſer verlangt oft mehr
als Recht iſt, nur nach dem Stande der Gegenwart. Das Recht
aber wird immer die ſicherſte Baſis für die fernere Geſchichte ei-
nes Staates ſein. Damit ſoll nicht geſagt werden, daß Feldher-
ren nicht ebenfalls tüchtige Diplomaten ſein können. Die ältere und
neuere Zeit hat großartige Beiſpiele der Vereinigung beider Talente
gegeben.

Kann nun auch ſchon ein politiſches Talent ohne ſchulmäßige
Bildung ſich zu einem Diplomaten entwickeln, ſo wird es doch
eine ſichere Stellung nicht ohne wirkliche Studien, vorzüglich in
heutiger Zeit, behaupten können. Vorausſetzen muß man bei ihm
ein Durchdrungenſein von den Grundſätzen des Rechtes überhaupt,
hinreichende Kenntniß des europäiſchen Völkerrechtes, der Verfaſ-
ſung der Staaten, der Weltgeſchichte, Kenntniß der Staatskräfte
und die nöthigen linguiſtiſchen Fähigkeiten. 3 Ohne Zweifel wer-

1 Beachtungswerth ſind in dieſer Beziehung Macchiavelli, discorsi II, 1.
Mably I, 18.
2 Die Klage findet ſich bei Brienne in ſeinen Memoiren in Beziehung ei-
nes von ihm gemißbilligten Tractates von 1661.
3 Eine Zuſammenſtellung der dem Diplomaten nothwendigen oder nützlichen
Wiſſenſchaften findet ſich in v. Dreſch kleinen Schriften 1827. S. 11 f.
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[382/0406] Drittes Buch. §. 235. fernteren Ziele, iſt beſſer als Vergeudung der Kräfte nach ver- ſchiedenen Seiten hin. 1 Schule der Diplomatie. 235. Die Schule der Diplomatie iſt das Leben und die Ge- ſchichte. Vergebens wird man dafür Akademien errichten, wenn nicht jene beiden Lehrmeiſterinnen ein empfängliches Talent bilden. In älteren Zeiten waren es die Männer vom Schwerdt, welche oft ohne alle gelehrte Vorbereitung in politiſchen Angelegenheiten gebraucht wurden, oder Geiſtliche in der Schule der Hierarchie ge- bildet. Später erſt traten die Laienmänner von der Feder dazu. Darüber klagten anfangs die Männer vom Degen, weil jene oft Dinge unternehmen, die den Krieg nach ſich ziehen; denn da ihr eigenes Leben nicht in Gefahr komme, ſo kümmere es ſie nicht fremdes Blut vergießen zu laſſen. 2 So haben noch in neuerer Zeit die Degen gemurrt, daß die Federn verderben oder wieder verlöhren, was jene erkämpften. Gewiß indeſſen iſt Politik und Diplomatie nicht das Feld des Kriegers. Dieſer verlangt oft mehr als Recht iſt, nur nach dem Stande der Gegenwart. Das Recht aber wird immer die ſicherſte Baſis für die fernere Geſchichte ei- nes Staates ſein. Damit ſoll nicht geſagt werden, daß Feldher- ren nicht ebenfalls tüchtige Diplomaten ſein können. Die ältere und neuere Zeit hat großartige Beiſpiele der Vereinigung beider Talente gegeben. Kann nun auch ſchon ein politiſches Talent ohne ſchulmäßige Bildung ſich zu einem Diplomaten entwickeln, ſo wird es doch eine ſichere Stellung nicht ohne wirkliche Studien, vorzüglich in heutiger Zeit, behaupten können. Vorausſetzen muß man bei ihm ein Durchdrungenſein von den Grundſätzen des Rechtes überhaupt, hinreichende Kenntniß des europäiſchen Völkerrechtes, der Verfaſ- ſung der Staaten, der Weltgeſchichte, Kenntniß der Staatskräfte und die nöthigen linguiſtiſchen Fähigkeiten. 3 Ohne Zweifel wer- 1 Beachtungswerth ſind in dieſer Beziehung Macchiavelli, discorsi II, 1. Mably I, 18. 2 Die Klage findet ſich bei Brienne in ſeinen Memoiren in Beziehung ei- nes von ihm gemißbilligten Tractates von 1661. 3 Eine Zuſammenſtellung der dem Diplomaten nothwendigen oder nützlichen Wiſſenſchaften findet ſich in v. Dreſch kleinen Schriften 1827. S. 11 f.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/406>, abgerufen am 16.04.2024.