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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 47. Völkerrecht im Zustand des Friedens.
tercession zur Abwendung der Ungerechtigkeit, und wenn dennoch da-
bei beharrt werden sollte, wenn vorzüglich eine Gewaltherrschaft alles
Recht mit Füßen tritt, die völlige Abbrechung jeder Verbindung.

Eine weitere Befugniß, nämlich zu einer thatlichen Coopera-
tion, eröffnet sich, wenn in einem Staate ein innerer Krieg wirk-
lich ausgebrochen ist und ein anderer Staat von dem im Recht
befindlichen oder widerrechtlich bedrängten Theile um Hilfe ange-
rufen wird. Es ist schon das Recht jedes einzelnen Menschen,
dem widerrechtlich Gekränkten zu seiner und seines Rechts Erhal-
tung beizustehen; es muß auch das Recht der Staaten sein. 1 Der
Gebrauch darf nur kein leichtsinniger werden; denn das Urtheil
über Recht und Unrecht im einzelnen Fall kann leicht trügen; die
Hilfeleistung nimmt zugleich Leben und Vermögen der Unterthanen
in Anspruch; es kann die Gefahr und der schlimmste Erfolg auf den
Hilfeleistenden selbst zurückfallen. Unter allen Umständen muß die
Cooperation in den natürlichen Schranken des Accessorischen blei-
ben; sie kann nicht aufgedrungen werden, nicht weiter gehen als
der Wille der Hauptpartei und muß aufhören, wenn diese selbst
nicht mehr existirt oder sich unterwirft.

Nach diesen Grundsätzen entscheidet sich unter anderm in wie
fern eine Einmischung in Religionsangelegenheiten eines fremden
Staates, namentlich bei religiösen Verfolgungen und Maaßregeln
der Intoleranz zulässig sei. 2

III. Specialrechte einzelner Staaten unter einander.

47. Die Befugnisse, welche ein Staat an dem anderen, au-
ßer den allgemein völkerrechtlichen, durch giltige Titel (§. 11.) er-
werben kann (§. 26.), sind theils schon bei Gelegenheit der all-
gemeinen Rechte der Persönlichkeit vorgekommen, theils werden sie
noch fernerhin im Sachen-, Obligationen- und Actionenrechte ihre
Stelle finden. Ein gemeinsames gesetzliches Erbrecht besteht an
sich nicht unter den Europäischen Staaten. Wohl aber kann
durch Verträge Einer Staatsgewalt die Succession in die Rechte

1 Vattel, a. a. O. §. 56. Jo. Guil. Marckart, de jure atque obligatione
gentium succurrendi injusta oppressis. Harderov.
1748. S. auch oben
S. 51.
2 Erörterungen hierüber bei Vattel, a. a. O. §. 58--62. Schmelzing,
§. 190.

§. 47. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
terceſſion zur Abwendung der Ungerechtigkeit, und wenn dennoch da-
bei beharrt werden ſollte, wenn vorzüglich eine Gewaltherrſchaft alles
Recht mit Füßen tritt, die völlige Abbrechung jeder Verbindung.

Eine weitere Befugniß, nämlich zu einer thatlichen Coopera-
tion, eröffnet ſich, wenn in einem Staate ein innerer Krieg wirk-
lich ausgebrochen iſt und ein anderer Staat von dem im Recht
befindlichen oder widerrechtlich bedrängten Theile um Hilfe ange-
rufen wird. Es iſt ſchon das Recht jedes einzelnen Menſchen,
dem widerrechtlich Gekränkten zu ſeiner und ſeines Rechts Erhal-
tung beizuſtehen; es muß auch das Recht der Staaten ſein. 1 Der
Gebrauch darf nur kein leichtſinniger werden; denn das Urtheil
über Recht und Unrecht im einzelnen Fall kann leicht trügen; die
Hilfeleiſtung nimmt zugleich Leben und Vermögen der Unterthanen
in Anſpruch; es kann die Gefahr und der ſchlimmſte Erfolg auf den
Hilfeleiſtenden ſelbſt zurückfallen. Unter allen Umſtänden muß die
Cooperation in den natürlichen Schranken des Acceſſoriſchen blei-
ben; ſie kann nicht aufgedrungen werden, nicht weiter gehen als
der Wille der Hauptpartei und muß aufhören, wenn dieſe ſelbſt
nicht mehr exiſtirt oder ſich unterwirft.

Nach dieſen Grundſätzen entſcheidet ſich unter anderm in wie
fern eine Einmiſchung in Religionsangelegenheiten eines fremden
Staates, namentlich bei religiöſen Verfolgungen und Maaßregeln
der Intoleranz zuläſſig ſei. 2

III. Specialrechte einzelner Staaten unter einander.

47. Die Befugniſſe, welche ein Staat an dem anderen, au-
ßer den allgemein völkerrechtlichen, durch giltige Titel (§. 11.) er-
werben kann (§. 26.), ſind theils ſchon bei Gelegenheit der all-
gemeinen Rechte der Perſönlichkeit vorgekommen, theils werden ſie
noch fernerhin im Sachen-, Obligationen- und Actionenrechte ihre
Stelle finden. Ein gemeinſames geſetzliches Erbrecht beſteht an
ſich nicht unter den Europäiſchen Staaten. Wohl aber kann
durch Verträge Einer Staatsgewalt die Succeſſion in die Rechte

1 Vattel, a. a. O. §. 56. Jo. Guil. Marckart, de jure atque obligatione
gentium succurrendi injusta oppressis. Harderov.
1748. S. auch oben
S. 51.
2 Erörterungen hierüber bei Vattel, a. a. O. §. 58—62. Schmelzing,
§. 190.
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[89/0113] §. 47. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens. terceſſion zur Abwendung der Ungerechtigkeit, und wenn dennoch da- bei beharrt werden ſollte, wenn vorzüglich eine Gewaltherrſchaft alles Recht mit Füßen tritt, die völlige Abbrechung jeder Verbindung. Eine weitere Befugniß, nämlich zu einer thatlichen Coopera- tion, eröffnet ſich, wenn in einem Staate ein innerer Krieg wirk- lich ausgebrochen iſt und ein anderer Staat von dem im Recht befindlichen oder widerrechtlich bedrängten Theile um Hilfe ange- rufen wird. Es iſt ſchon das Recht jedes einzelnen Menſchen, dem widerrechtlich Gekränkten zu ſeiner und ſeines Rechts Erhal- tung beizuſtehen; es muß auch das Recht der Staaten ſein. 1 Der Gebrauch darf nur kein leichtſinniger werden; denn das Urtheil über Recht und Unrecht im einzelnen Fall kann leicht trügen; die Hilfeleiſtung nimmt zugleich Leben und Vermögen der Unterthanen in Anſpruch; es kann die Gefahr und der ſchlimmſte Erfolg auf den Hilfeleiſtenden ſelbſt zurückfallen. Unter allen Umſtänden muß die Cooperation in den natürlichen Schranken des Acceſſoriſchen blei- ben; ſie kann nicht aufgedrungen werden, nicht weiter gehen als der Wille der Hauptpartei und muß aufhören, wenn dieſe ſelbſt nicht mehr exiſtirt oder ſich unterwirft. Nach dieſen Grundſätzen entſcheidet ſich unter anderm in wie fern eine Einmiſchung in Religionsangelegenheiten eines fremden Staates, namentlich bei religiöſen Verfolgungen und Maaßregeln der Intoleranz zuläſſig ſei. 2 III. Specialrechte einzelner Staaten unter einander. 47. Die Befugniſſe, welche ein Staat an dem anderen, au- ßer den allgemein völkerrechtlichen, durch giltige Titel (§. 11.) er- werben kann (§. 26.), ſind theils ſchon bei Gelegenheit der all- gemeinen Rechte der Perſönlichkeit vorgekommen, theils werden ſie noch fernerhin im Sachen-, Obligationen- und Actionenrechte ihre Stelle finden. Ein gemeinſames geſetzliches Erbrecht beſteht an ſich nicht unter den Europäiſchen Staaten. Wohl aber kann durch Verträge Einer Staatsgewalt die Succeſſion in die Rechte 1 Vattel, a. a. O. §. 56. Jo. Guil. Marckart, de jure atque obligatione gentium succurrendi injusta oppressis. Harderov. 1748. S. auch oben S. 51. 2 Erörterungen hierüber bei Vattel, a. a. O. §. 58—62. Schmelzing, §. 190.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/113>, abgerufen am 29.03.2024.