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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 103. Völkerrecht im Zustand des Friedens.
Meinung in unserer Zeit an Fragen der vorstehenden Art im Gan-
zen nur noch ein geringes practisches Bedürfniß übrig gelassen.

103. Auch bei Verletzungen, welche ein Privatmann oder auch
ein Agent der Regierung ohne deren Autorisation 1 einem frem-
den Staate, es sei direct oder indirect an dessen Angehörigen, zu-
fügt, kommt es darauf an, ob dieses im Gebiete des Letzteren selbst
geschieht oder außerhalb desselben. Im ersteren Fall macht er sich
nach den Strafgesetzen des fremden Staates selbst verantwortlich
(§. 36.) und verfällt auch der dortigen Strafgerichtsbarkeit, dafern er
sich im Bereiche derselben fortdauernd befindet oder wiederbetreten
läßt. In allen übrigen Fällen hingegen läßt sich nur ein An-
spruch des verletzten Staates an denjenigen denken, dessen Botmä-
ßigkeit der Beleidiger dermalen unterworfen ist, nämlich darauf
hinzuwirken, daß dem Beleidigten die gebührende Genugthuung ge-
geben werde, sei es auf dem geeigneten Civil- oder Criminalwege,
oder durch Auslieferung oder endlich in einer sonstigen, dem recht-
lichen Interesse des Verletzten entsprechenden Weise. 2 Denn un-
möglich kann unter befreundeten, im Verhältniß der Dikäodosie zu
Einander stehenden Staaten eine Genugthuung für Beeinträchtigung
wesentlicher Staaten- oder Menschenrechte versagt werden, indem,
wenn bei zugefügten Beschädigungen an wohlbegründeten Rechten
der Anspruch auf Schadensersatz geleugnet oder willkührlich abge-
lehnt werden dürfte, das Recht selbst ein Unding oder ohne Rea-
lität sein würde. Allerdings kann jedoch von einer Verpflichtung
der anderen Staaten, eine Genugthuung dem Verletzten zu gewäh-
ren oder zu vermitteln, nur, wie schon wiederholentlich bemerkt ward,
bei wesentlichen Rechten, die überall eine Nothwendigkeit und den-
selben Werth haben, die Rede sein, nicht auch bei solchen Rechts-
verhältnissen, welche erst durch den besondern Willen der Staaten
ihre Entstehung und Gestaltung empfangen, selbst wenn dabei eine
zufällige Gleichheit unter mehreren Staaten Statt finden sollte. 3


1 Sonst gehörte der Fall unter §. 102. Die Regierung wird hier jedenfalls
ihre Mißbilligung ausdrücklich erklären müssen. Ein Beispiel zwischen Frank-
reich und Sardinien s. bei Vattel II, 338.
2 Uebereinstimmend im Allgemeinen, obwohl ohne genauere Unterscheidung
der verletzten Rechte ist Vattel II, 71--78. Vgl. auch Groot II, 17, 20.
3 S. schon oben §. 31. Eben darauf gründet sich auch der §. 39. Not. 3.
behauptete Satz.

§. 103. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Meinung in unſerer Zeit an Fragen der vorſtehenden Art im Gan-
zen nur noch ein geringes practiſches Bedürfniß übrig gelaſſen.

103. Auch bei Verletzungen, welche ein Privatmann oder auch
ein Agent der Regierung ohne deren Autoriſation 1 einem frem-
den Staate, es ſei direct oder indirect an deſſen Angehörigen, zu-
fügt, kommt es darauf an, ob dieſes im Gebiete des Letzteren ſelbſt
geſchieht oder außerhalb deſſelben. Im erſteren Fall macht er ſich
nach den Strafgeſetzen des fremden Staates ſelbſt verantwortlich
(§. 36.) und verfällt auch der dortigen Strafgerichtsbarkeit, dafern er
ſich im Bereiche derſelben fortdauernd befindet oder wiederbetreten
läßt. In allen übrigen Fällen hingegen läßt ſich nur ein An-
ſpruch des verletzten Staates an denjenigen denken, deſſen Botmä-
ßigkeit der Beleidiger dermalen unterworfen iſt, nämlich darauf
hinzuwirken, daß dem Beleidigten die gebührende Genugthuung ge-
geben werde, ſei es auf dem geeigneten Civil- oder Criminalwege,
oder durch Auslieferung oder endlich in einer ſonſtigen, dem recht-
lichen Intereſſe des Verletzten entſprechenden Weiſe. 2 Denn un-
möglich kann unter befreundeten, im Verhältniß der Dikäodoſie zu
Einander ſtehenden Staaten eine Genugthuung für Beeinträchtigung
weſentlicher Staaten- oder Menſchenrechte verſagt werden, indem,
wenn bei zugefügten Beſchädigungen an wohlbegründeten Rechten
der Anſpruch auf Schadenserſatz geleugnet oder willkührlich abge-
lehnt werden dürfte, das Recht ſelbſt ein Unding oder ohne Rea-
lität ſein würde. Allerdings kann jedoch von einer Verpflichtung
der anderen Staaten, eine Genugthuung dem Verletzten zu gewäh-
ren oder zu vermitteln, nur, wie ſchon wiederholentlich bemerkt ward,
bei weſentlichen Rechten, die überall eine Nothwendigkeit und den-
ſelben Werth haben, die Rede ſein, nicht auch bei ſolchen Rechts-
verhältniſſen, welche erſt durch den beſondern Willen der Staaten
ihre Entſtehung und Geſtaltung empfangen, ſelbſt wenn dabei eine
zufällige Gleichheit unter mehreren Staaten Statt finden ſollte. 3


1 Sonſt gehörte der Fall unter §. 102. Die Regierung wird hier jedenfalls
ihre Mißbilligung ausdrücklich erklären müſſen. Ein Beiſpiel zwiſchen Frank-
reich und Sardinien ſ. bei Vattel II, 338.
2 Uebereinſtimmend im Allgemeinen, obwohl ohne genauere Unterſcheidung
der verletzten Rechte iſt Vattel II, 71—78. Vgl. auch Groot II, 17, 20.
3 S. ſchon oben §. 31. Eben darauf gründet ſich auch der §. 39. Not. 3.
behauptete Satz.
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[181/0205] §. 103. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens. Meinung in unſerer Zeit an Fragen der vorſtehenden Art im Gan- zen nur noch ein geringes practiſches Bedürfniß übrig gelaſſen. 103. Auch bei Verletzungen, welche ein Privatmann oder auch ein Agent der Regierung ohne deren Autoriſation 1 einem frem- den Staate, es ſei direct oder indirect an deſſen Angehörigen, zu- fügt, kommt es darauf an, ob dieſes im Gebiete des Letzteren ſelbſt geſchieht oder außerhalb deſſelben. Im erſteren Fall macht er ſich nach den Strafgeſetzen des fremden Staates ſelbſt verantwortlich (§. 36.) und verfällt auch der dortigen Strafgerichtsbarkeit, dafern er ſich im Bereiche derſelben fortdauernd befindet oder wiederbetreten läßt. In allen übrigen Fällen hingegen läßt ſich nur ein An- ſpruch des verletzten Staates an denjenigen denken, deſſen Botmä- ßigkeit der Beleidiger dermalen unterworfen iſt, nämlich darauf hinzuwirken, daß dem Beleidigten die gebührende Genugthuung ge- geben werde, ſei es auf dem geeigneten Civil- oder Criminalwege, oder durch Auslieferung oder endlich in einer ſonſtigen, dem recht- lichen Intereſſe des Verletzten entſprechenden Weiſe. 2 Denn un- möglich kann unter befreundeten, im Verhältniß der Dikäodoſie zu Einander ſtehenden Staaten eine Genugthuung für Beeinträchtigung weſentlicher Staaten- oder Menſchenrechte verſagt werden, indem, wenn bei zugefügten Beſchädigungen an wohlbegründeten Rechten der Anſpruch auf Schadenserſatz geleugnet oder willkührlich abge- lehnt werden dürfte, das Recht ſelbſt ein Unding oder ohne Rea- lität ſein würde. Allerdings kann jedoch von einer Verpflichtung der anderen Staaten, eine Genugthuung dem Verletzten zu gewäh- ren oder zu vermitteln, nur, wie ſchon wiederholentlich bemerkt ward, bei weſentlichen Rechten, die überall eine Nothwendigkeit und den- ſelben Werth haben, die Rede ſein, nicht auch bei ſolchen Rechts- verhältniſſen, welche erſt durch den beſondern Willen der Staaten ihre Entſtehung und Geſtaltung empfangen, ſelbſt wenn dabei eine zufällige Gleichheit unter mehreren Staaten Statt finden ſollte. 3 1 Sonſt gehörte der Fall unter §. 102. Die Regierung wird hier jedenfalls ihre Mißbilligung ausdrücklich erklären müſſen. Ein Beiſpiel zwiſchen Frank- reich und Sardinien ſ. bei Vattel II, 338. 2 Uebereinſtimmend im Allgemeinen, obwohl ohne genauere Unterſcheidung der verletzten Rechte iſt Vattel II, 71—78. Vgl. auch Groot II, 17, 20. 3 S. ſchon oben §. 31. Eben darauf gründet ſich auch der §. 39. Not. 3. behauptete Satz.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/205>, abgerufen am 19.04.2024.