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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Erstes Buch. §. 104.
Allgemein ahndungswürdige Verletzungen des Völkerrechts.

104. Zu den Verletzungen des Völkerrechts, welche alle Na-
tionen unter der Herrschaft eines gleichen sittlichen Rechtes gleich-
mäßig betreffen, und sie sämmtlich zu einer Unterdrückung oder Besei-
tigung gleichmäßig berechtigen, gehört überhaupt jede thatsächliche ab-
solute Verleugnung der Rechte aller Menschen und Nationen, eine
Rechtlosstellung derselben überhaupt oder in gewissen Beziehungen,
welche sich wenigstens schon in Einer Handlung als bestimmte Ten-
denz mit dazu geeigneten Mitteln Kund gegeben hat; insbesondere

ein planmäßiges Streben zur Gründung einer Universalherr-
schaft mittelst Vernichtung der einzelnen Staaten, oder auch
nur über ein allen Nationen gemeinsames Gebiet, dergleichen
das Weltmeer ist (§. 16. 30. a. E. 74.);
Verletzungen der Rechte der Staatenrepräsentanten, deren Hei-
lighaltung eine wesentliche Stütze des Völkerverkehrs ist; 1
Rechtsverweigerung bei allgemein giltigen Ansprüchen; 2 oder
Aufstellung rechtswidriger Prinzipien gegen Alle und Durch-
setzung derselben gegen Einen; 3
Beunruhigung und Störung des gemeinsamen Verkehrs auf
offenen Land- und Seestraßen.

Eine Art hiervon ist die Seeräuberei (Piraterie), bestehend in
gewaltsamer Anhaltung und Wegnahme von Nationalschiffen oder
des darauf befindlichen Eigenthums, um sich damit zu bereichern,
ohne dazu den Auftrag einer sich dafür verantwortlich machenden
Staatsgewalt nachweisen zu können. 4 Dergleichen Beginnen gilt
als eine Feindseligkeit gegen alle Menschen, wenn es entweder schon
ein habituelles geworden ist oder doch als beabsichtigt erkannt wer-
den kann. Werden Seeräuber in der That selbst begriffen und ma-

1 Daher nehmen auch bei vorfallenden Verletzungen des Völkerrechts in die-
sem Stück augenblicklich meist alle Glieder des diplomatischen Corps An-
theil an den Erörterungen, oder man fordert sie dazu auf. Beispiele s. in
Ch. de Martens Causes celebr. I, 83. 220.
2 Vgl. Vattel II, §. 70.
3 Derselbe §. 53.
4 Ueber den Begriff der Piraterie vgl. Wheaton, intern. L. II, 2, §. 16.
Gesetze von Einzelstaaten können diesen Begriff in Betreff ihrer Untertha-
nen noch anders bestimmen oder erweitern; allein sie können dies nicht zum
Präjudiz anderer Staaten thun.
Erſtes Buch. §. 104.
Allgemein ahndungswürdige Verletzungen des Völkerrechts.

104. Zu den Verletzungen des Völkerrechts, welche alle Na-
tionen unter der Herrſchaft eines gleichen ſittlichen Rechtes gleich-
mäßig betreffen, und ſie ſämmtlich zu einer Unterdrückung oder Beſei-
tigung gleichmäßig berechtigen, gehört überhaupt jede thatſächliche ab-
ſolute Verleugnung der Rechte aller Menſchen und Nationen, eine
Rechtlosſtellung derſelben überhaupt oder in gewiſſen Beziehungen,
welche ſich wenigſtens ſchon in Einer Handlung als beſtimmte Ten-
denz mit dazu geeigneten Mitteln Kund gegeben hat; insbeſondere

ein planmäßiges Streben zur Gründung einer Univerſalherr-
ſchaft mittelſt Vernichtung der einzelnen Staaten, oder auch
nur über ein allen Nationen gemeinſames Gebiet, dergleichen
das Weltmeer iſt (§. 16. 30. a. E. 74.);
Verletzungen der Rechte der Staatenrepräſentanten, deren Hei-
lighaltung eine weſentliche Stütze des Völkerverkehrs iſt; 1
Rechtsverweigerung bei allgemein giltigen Anſprüchen; 2 oder
Aufſtellung rechtswidriger Prinzipien gegen Alle und Durch-
ſetzung derſelben gegen Einen; 3
Beunruhigung und Störung des gemeinſamen Verkehrs auf
offenen Land- und Seeſtraßen.

Eine Art hiervon iſt die Seeräuberei (Piraterie), beſtehend in
gewaltſamer Anhaltung und Wegnahme von Nationalſchiffen oder
des darauf befindlichen Eigenthums, um ſich damit zu bereichern,
ohne dazu den Auftrag einer ſich dafür verantwortlich machenden
Staatsgewalt nachweiſen zu können. 4 Dergleichen Beginnen gilt
als eine Feindſeligkeit gegen alle Menſchen, wenn es entweder ſchon
ein habituelles geworden iſt oder doch als beabſichtigt erkannt wer-
den kann. Werden Seeräuber in der That ſelbſt begriffen und ma-

1 Daher nehmen auch bei vorfallenden Verletzungen des Völkerrechts in die-
ſem Stück augenblicklich meiſt alle Glieder des diplomatiſchen Corps An-
theil an den Erörterungen, oder man fordert ſie dazu auf. Beiſpiele ſ. in
Ch. de Martens Causes célèbr. I, 83. 220.
2 Vgl. Vattel II, §. 70.
3 Derſelbe §. 53.
4 Ueber den Begriff der Piraterie vgl. Wheaton, intern. L. II, 2, §. 16.
Geſetze von Einzelſtaaten können dieſen Begriff in Betreff ihrer Untertha-
nen noch anders beſtimmen oder erweitern; allein ſie können dies nicht zum
Präjudiz anderer Staaten thun.
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[182/0206] Erſtes Buch. §. 104. Allgemein ahndungswürdige Verletzungen des Völkerrechts. 104. Zu den Verletzungen des Völkerrechts, welche alle Na- tionen unter der Herrſchaft eines gleichen ſittlichen Rechtes gleich- mäßig betreffen, und ſie ſämmtlich zu einer Unterdrückung oder Beſei- tigung gleichmäßig berechtigen, gehört überhaupt jede thatſächliche ab- ſolute Verleugnung der Rechte aller Menſchen und Nationen, eine Rechtlosſtellung derſelben überhaupt oder in gewiſſen Beziehungen, welche ſich wenigſtens ſchon in Einer Handlung als beſtimmte Ten- denz mit dazu geeigneten Mitteln Kund gegeben hat; insbeſondere ein planmäßiges Streben zur Gründung einer Univerſalherr- ſchaft mittelſt Vernichtung der einzelnen Staaten, oder auch nur über ein allen Nationen gemeinſames Gebiet, dergleichen das Weltmeer iſt (§. 16. 30. a. E. 74.); Verletzungen der Rechte der Staatenrepräſentanten, deren Hei- lighaltung eine weſentliche Stütze des Völkerverkehrs iſt; 1 Rechtsverweigerung bei allgemein giltigen Anſprüchen; 2 oder Aufſtellung rechtswidriger Prinzipien gegen Alle und Durch- ſetzung derſelben gegen Einen; 3 Beunruhigung und Störung des gemeinſamen Verkehrs auf offenen Land- und Seeſtraßen. Eine Art hiervon iſt die Seeräuberei (Piraterie), beſtehend in gewaltſamer Anhaltung und Wegnahme von Nationalſchiffen oder des darauf befindlichen Eigenthums, um ſich damit zu bereichern, ohne dazu den Auftrag einer ſich dafür verantwortlich machenden Staatsgewalt nachweiſen zu können. 4 Dergleichen Beginnen gilt als eine Feindſeligkeit gegen alle Menſchen, wenn es entweder ſchon ein habituelles geworden iſt oder doch als beabſichtigt erkannt wer- den kann. Werden Seeräuber in der That ſelbſt begriffen und ma- 1 Daher nehmen auch bei vorfallenden Verletzungen des Völkerrechts in die- ſem Stück augenblicklich meiſt alle Glieder des diplomatiſchen Corps An- theil an den Erörterungen, oder man fordert ſie dazu auf. Beiſpiele ſ. in Ch. de Martens Causes célèbr. I, 83. 220. 2 Vgl. Vattel II, §. 70. 3 Derſelbe §. 53. 4 Ueber den Begriff der Piraterie vgl. Wheaton, intern. L. II, 2, §. 16. Geſetze von Einzelſtaaten können dieſen Begriff in Betreff ihrer Untertha- nen noch anders beſtimmen oder erweitern; allein ſie können dies nicht zum Präjudiz anderer Staaten thun.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/206>, abgerufen am 28.03.2024.