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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 129. Völkerrecht im Zustand des Unfriedens.
Einfluß des Krieges auf den Handelsverkehr feindlicher Personen. 1

129. Muß man es gleich als Recht jedes Erdenbürgers be-
trachten, die Verbindungswege der Völker zum Verkehr mit den-
selben, folglich auch zum Handel zu benutzen, und müßte dieses Recht
an und für sich wie jedes andere Privatrecht selbst unter den Waf-
fen fortbestehen: so darf es doch nicht in Widerspruch mit den
Interessen der Staaten geübt werden, unter deren Schutze es steht;
der Handel kann sich leicht mit seinem gewaltigen Nerv zu einer
unabhängigen, die Staaten selbst bedrohenden Macht erheben, wie
die Geschichte bereits an dem Beispiel der Hanse gezeigt hat; er
würde in seiner Freiheit zuletzt der Beherrscher der Staaten wer-
den, dessen speculative Einseitigkeit viele edlen Elemente erdrücken
könnte; zuverlässig aber würde er schon bei einzelnen Kriegen eine
große Abhängigkeit der kriegführenden Mächte von sich herbeifüh-
ren, eine gewisse Zweideutigkeit in das streng geschiedene Verhält-
niß derselben hineinlegen und die Durchführung der Kriegsunter-
nehmungen vielfach durchkreuzen, ja dem Feinde selbst oft zu Gun-
sten dienen, wenn man sogar unter den streitenden Nationen einen
unbeschränkten Handelsverkehr zu gestatten hätte. Denn der Han-
del hat keinen Feind außer demjenigen, welcher ihn stört, und sein
natürliches Princip ist Eigennutz ohne Vaterland; auch sein groß-
artiges Verdienst um die Civilisation ordnet sich dieser Triebfeder
unter. Es liegt daher in der Natur der Sache, daß ein unge-
störter Handelsverkehr zwischen den Unterthanen der streitenden
Theile nicht zugelassen werden kann, vielmehr jeder kriegführende
Staat zur Verhinderung derselben Maaßregeln zu ergreifen befugt
ist. Deshalb darf er nicht allein seinen eigenen Unterthanen mit
Androhung von Strafen und Confiscationen die gänzliche Unter-
lassung oder gewisse Beschränkungen vorschreiben, sondern er kann
auch thatsächlich jeden feindlichen Unterthan von solchem Verkehr
zurückweisen und Reactionen dagegen gebrauchen, wovon das Nä-
here in Betreff des Seehandels bei der Seebeute vorkommen wird;
er kann feindlichen Handelsforderungen die Klagbarkeit versagen,

1 Schriften über diesen so wichtigen Punct, freilich meist mit Ausdehnung
auf die erst später zur Sprache zu bringenden Verhältnisse des neutralen
Handels s. bei v. Kamptz §. 257.
§. 129. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Einfluß des Krieges auf den Handelsverkehr feindlicher Perſonen. 1

129. Muß man es gleich als Recht jedes Erdenbürgers be-
trachten, die Verbindungswege der Völker zum Verkehr mit den-
ſelben, folglich auch zum Handel zu benutzen, und müßte dieſes Recht
an und für ſich wie jedes andere Privatrecht ſelbſt unter den Waf-
fen fortbeſtehen: ſo darf es doch nicht in Widerſpruch mit den
Intereſſen der Staaten geübt werden, unter deren Schutze es ſteht;
der Handel kann ſich leicht mit ſeinem gewaltigen Nerv zu einer
unabhängigen, die Staaten ſelbſt bedrohenden Macht erheben, wie
die Geſchichte bereits an dem Beiſpiel der Hanſe gezeigt hat; er
würde in ſeiner Freiheit zuletzt der Beherrſcher der Staaten wer-
den, deſſen ſpeculative Einſeitigkeit viele edlen Elemente erdrücken
könnte; zuverläſſig aber würde er ſchon bei einzelnen Kriegen eine
große Abhängigkeit der kriegführenden Mächte von ſich herbeifüh-
ren, eine gewiſſe Zweideutigkeit in das ſtreng geſchiedene Verhält-
niß derſelben hineinlegen und die Durchführung der Kriegsunter-
nehmungen vielfach durchkreuzen, ja dem Feinde ſelbſt oft zu Gun-
ſten dienen, wenn man ſogar unter den ſtreitenden Nationen einen
unbeſchränkten Handelsverkehr zu geſtatten hätte. Denn der Han-
del hat keinen Feind außer demjenigen, welcher ihn ſtört, und ſein
natürliches Princip iſt Eigennutz ohne Vaterland; auch ſein groß-
artiges Verdienſt um die Civiliſation ordnet ſich dieſer Triebfeder
unter. Es liegt daher in der Natur der Sache, daß ein unge-
ſtörter Handelsverkehr zwiſchen den Unterthanen der ſtreitenden
Theile nicht zugelaſſen werden kann, vielmehr jeder kriegführende
Staat zur Verhinderung derſelben Maaßregeln zu ergreifen befugt
iſt. Deshalb darf er nicht allein ſeinen eigenen Unterthanen mit
Androhung von Strafen und Confiscationen die gänzliche Unter-
laſſung oder gewiſſe Beſchränkungen vorſchreiben, ſondern er kann
auch thatſächlich jeden feindlichen Unterthan von ſolchem Verkehr
zurückweiſen und Reactionen dagegen gebrauchen, wovon das Nä-
here in Betreff des Seehandels bei der Seebeute vorkommen wird;
er kann feindlichen Handelsforderungen die Klagbarkeit verſagen,

1 Schriften über dieſen ſo wichtigen Punct, freilich meiſt mit Ausdehnung
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[217/0241] §. 129. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens. Einfluß des Krieges auf den Handelsverkehr feindlicher Perſonen. 1 129. Muß man es gleich als Recht jedes Erdenbürgers be- trachten, die Verbindungswege der Völker zum Verkehr mit den- ſelben, folglich auch zum Handel zu benutzen, und müßte dieſes Recht an und für ſich wie jedes andere Privatrecht ſelbſt unter den Waf- fen fortbeſtehen: ſo darf es doch nicht in Widerſpruch mit den Intereſſen der Staaten geübt werden, unter deren Schutze es ſteht; der Handel kann ſich leicht mit ſeinem gewaltigen Nerv zu einer unabhängigen, die Staaten ſelbſt bedrohenden Macht erheben, wie die Geſchichte bereits an dem Beiſpiel der Hanſe gezeigt hat; er würde in ſeiner Freiheit zuletzt der Beherrſcher der Staaten wer- den, deſſen ſpeculative Einſeitigkeit viele edlen Elemente erdrücken könnte; zuverläſſig aber würde er ſchon bei einzelnen Kriegen eine große Abhängigkeit der kriegführenden Mächte von ſich herbeifüh- ren, eine gewiſſe Zweideutigkeit in das ſtreng geſchiedene Verhält- niß derſelben hineinlegen und die Durchführung der Kriegsunter- nehmungen vielfach durchkreuzen, ja dem Feinde ſelbſt oft zu Gun- ſten dienen, wenn man ſogar unter den ſtreitenden Nationen einen unbeſchränkten Handelsverkehr zu geſtatten hätte. Denn der Han- del hat keinen Feind außer demjenigen, welcher ihn ſtört, und ſein natürliches Princip iſt Eigennutz ohne Vaterland; auch ſein groß- artiges Verdienſt um die Civiliſation ordnet ſich dieſer Triebfeder unter. Es liegt daher in der Natur der Sache, daß ein unge- ſtörter Handelsverkehr zwiſchen den Unterthanen der ſtreitenden Theile nicht zugelaſſen werden kann, vielmehr jeder kriegführende Staat zur Verhinderung derſelben Maaßregeln zu ergreifen befugt iſt. Deshalb darf er nicht allein ſeinen eigenen Unterthanen mit Androhung von Strafen und Confiscationen die gänzliche Unter- laſſung oder gewiſſe Beſchränkungen vorſchreiben, ſondern er kann auch thatſächlich jeden feindlichen Unterthan von ſolchem Verkehr zurückweiſen und Reactionen dagegen gebrauchen, wovon das Nä- here in Betreff des Seehandels bei der Seebeute vorkommen wird; er kann feindlichen Handelsforderungen die Klagbarkeit verſagen, 1 Schriften über dieſen ſo wichtigen Punct, freilich meiſt mit Ausdehnung auf die erſt ſpäter zur Sprache zu bringenden Verhältniſſe des neutralen Handels ſ. bei v. Kamptz §. 257.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/241>, abgerufen am 29.03.2024.