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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 186. Völkerrecht im Zustande des Unfriedens.
leisten, in Betreff der Rechte, welche sie in dem alten legitimen
Staate hatten, so lange sie sich nicht jenem unterwerfen. Wegen
des Verhältnisses zu dritten Staaten gilt das schon oben §. 23.
und 49. Bemerkte; wegen den Verbindlichkeiten des alten Staates
der Grundsatz des §. 25.

186. Anlangend den Fall einer bloß provisorischen Verwaltung,
hängt zuförderst die Bedeutung und der Umfang derselben von
den Zwecken und Grenzen ab, welche sich der Eroberer dabei vor-
stecken will. Denn das ist klar, daß er weder gegen den früheren
Staat noch auch gegen den verdrängten Souverän in einem obli-
gatorischen Verhältnisse steht; sein Recht und die allgemeinen Gren-
zen desselben sind allein die Gesetze des Krieges. Zwei Hauptfälle
dürften jedoch dabei zu unterscheiden sein:

Entweder nämlich hat der Eroberer noch nicht die bestimmte
Absicht und Möglichkeit, das eroberte Land zu behalten: und dann
kann er zwar die Verwaltung von seiner Auctorität abhängig ma-
chen, jede Einwirkung des fremden Souveräns davon ausschließen
und sich den Nutzen aneignen: jedoch wird er hier noch nicht als
der eigentliche Besitzer der Staatsgewalt anzusehen sein, diese viel-
mehr nur einstweilen unter seiner Curatel, nach Art einer privat-
rechtlichen missio in bona debitoris stehen, mithin nach ihren
früheren Principien und wesentlichen Formen fortzuüben sein, mit
Vorbehalt der demnächstigen Rechenschaft oder Ausgleichung im
Frieden.

Oder der Eroberer hat schon die Möglichkeit und die Absicht das
Eroberte zu behalten, beziehungsweise darüber für sich zu disponiren:
dann ist die Einsetzung einer provisorischen Verwaltung schon der
Anfang der Usurpation, nur noch nicht in der vollendeten Form,
wovon jedoch materiell dasselbe gilt, was zuvor von der Usurpa-
tion bemerkt wurde. Eine solche provisorische Verwaltung macht
sich besonders dadurch bemerklich, daß die einzelnen Hoheitsrechte
schon im Namen des Eroberers verwaltet werden. 1

Von selbst versteht sich übrigens, daß die unter der Auctorität
des Feindes handelnden Behörden eines von Jenem für sich in

1 Dies geschahe z. B. in Curhessen, alsbald nachdem Napoleon dasselbe
1806 in Besitz genommen hatte. Schweikart, Napoleon und die Curhes-
sische Staatsgl. S. 25 f. Aehnliche provisorische Verwaltungen und Gou-
vernements wurden von den Alliirten 1813 u. 1814 eingesetzt.

§. 186. Voͤlkerrecht im Zuſtande des Unfriedens.
leiſten, in Betreff der Rechte, welche ſie in dem alten legitimen
Staate hatten, ſo lange ſie ſich nicht jenem unterwerfen. Wegen
des Verhältniſſes zu dritten Staaten gilt das ſchon oben §. 23.
und 49. Bemerkte; wegen den Verbindlichkeiten des alten Staates
der Grundſatz des §. 25.

186. Anlangend den Fall einer bloß proviſoriſchen Verwaltung,
hängt zuförderſt die Bedeutung und der Umfang derſelben von
den Zwecken und Grenzen ab, welche ſich der Eroberer dabei vor-
ſtecken will. Denn das iſt klar, daß er weder gegen den früheren
Staat noch auch gegen den verdrängten Souverän in einem obli-
gatoriſchen Verhältniſſe ſteht; ſein Recht und die allgemeinen Gren-
zen deſſelben ſind allein die Geſetze des Krieges. Zwei Hauptfälle
dürften jedoch dabei zu unterſcheiden ſein:

Entweder nämlich hat der Eroberer noch nicht die beſtimmte
Abſicht und Möglichkeit, das eroberte Land zu behalten: und dann
kann er zwar die Verwaltung von ſeiner Auctorität abhängig ma-
chen, jede Einwirkung des fremden Souveräns davon ausſchließen
und ſich den Nutzen aneignen: jedoch wird er hier noch nicht als
der eigentliche Beſitzer der Staatsgewalt anzuſehen ſein, dieſe viel-
mehr nur einſtweilen unter ſeiner Curatel, nach Art einer privat-
rechtlichen missio in bona debitoris ſtehen, mithin nach ihren
früheren Principien und weſentlichen Formen fortzuüben ſein, mit
Vorbehalt der demnächſtigen Rechenſchaft oder Ausgleichung im
Frieden.

Oder der Eroberer hat ſchon die Möglichkeit und die Abſicht das
Eroberte zu behalten, beziehungsweiſe darüber für ſich zu disponiren:
dann iſt die Einſetzung einer proviſoriſchen Verwaltung ſchon der
Anfang der Uſurpation, nur noch nicht in der vollendeten Form,
wovon jedoch materiell daſſelbe gilt, was zuvor von der Uſurpa-
tion bemerkt wurde. Eine ſolche proviſoriſche Verwaltung macht
ſich beſonders dadurch bemerklich, daß die einzelnen Hoheitsrechte
ſchon im Namen des Eroberers verwaltet werden. 1

Von ſelbſt verſteht ſich übrigens, daß die unter der Auctorität
des Feindes handelnden Behörden eines von Jenem für ſich in

1 Dies geſchahe z. B. in Curheſſen, alsbald nachdem Napoleon daſſelbe
1806 in Beſitz genommen hatte. Schweikart, Napoleon und die Curheſ-
ſiſche Staatsgl. S. 25 f. Aehnliche proviſoriſche Verwaltungen und Gou-
vernements wurden von den Alliirten 1813 u. 1814 eingeſetzt.
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[309/0333] §. 186. Voͤlkerrecht im Zuſtande des Unfriedens. leiſten, in Betreff der Rechte, welche ſie in dem alten legitimen Staate hatten, ſo lange ſie ſich nicht jenem unterwerfen. Wegen des Verhältniſſes zu dritten Staaten gilt das ſchon oben §. 23. und 49. Bemerkte; wegen den Verbindlichkeiten des alten Staates der Grundſatz des §. 25. 186. Anlangend den Fall einer bloß proviſoriſchen Verwaltung, hängt zuförderſt die Bedeutung und der Umfang derſelben von den Zwecken und Grenzen ab, welche ſich der Eroberer dabei vor- ſtecken will. Denn das iſt klar, daß er weder gegen den früheren Staat noch auch gegen den verdrängten Souverän in einem obli- gatoriſchen Verhältniſſe ſteht; ſein Recht und die allgemeinen Gren- zen deſſelben ſind allein die Geſetze des Krieges. Zwei Hauptfälle dürften jedoch dabei zu unterſcheiden ſein: Entweder nämlich hat der Eroberer noch nicht die beſtimmte Abſicht und Möglichkeit, das eroberte Land zu behalten: und dann kann er zwar die Verwaltung von ſeiner Auctorität abhängig ma- chen, jede Einwirkung des fremden Souveräns davon ausſchließen und ſich den Nutzen aneignen: jedoch wird er hier noch nicht als der eigentliche Beſitzer der Staatsgewalt anzuſehen ſein, dieſe viel- mehr nur einſtweilen unter ſeiner Curatel, nach Art einer privat- rechtlichen missio in bona debitoris ſtehen, mithin nach ihren früheren Principien und weſentlichen Formen fortzuüben ſein, mit Vorbehalt der demnächſtigen Rechenſchaft oder Ausgleichung im Frieden. Oder der Eroberer hat ſchon die Möglichkeit und die Abſicht das Eroberte zu behalten, beziehungsweiſe darüber für ſich zu disponiren: dann iſt die Einſetzung einer proviſoriſchen Verwaltung ſchon der Anfang der Uſurpation, nur noch nicht in der vollendeten Form, wovon jedoch materiell daſſelbe gilt, was zuvor von der Uſurpa- tion bemerkt wurde. Eine ſolche proviſoriſche Verwaltung macht ſich beſonders dadurch bemerklich, daß die einzelnen Hoheitsrechte ſchon im Namen des Eroberers verwaltet werden. 1 Von ſelbſt verſteht ſich übrigens, daß die unter der Auctorität des Feindes handelnden Behörden eines von Jenem für ſich in 1 Dies geſchahe z. B. in Curheſſen, alsbald nachdem Napoleon daſſelbe 1806 in Beſitz genommen hatte. Schweikart, Napoleon und die Curheſ- ſiſche Staatsgl. S. 25 f. Aehnliche proviſoriſche Verwaltungen und Gou- vernements wurden von den Alliirten 1813 u. 1814 eingeſetzt.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/333>, abgerufen am 29.03.2024.