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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Drittes Buch. §. 233.
noch nicht beendigt ist. Welche große Reihe würden nicht schon
diejenigen bilden, deren sich die römische Kirche zu allen Zeiten be-
dienen konnte! Beschränken wir uns nun darauf, aus der Ge-
schichte der weltlichen Staaten die hervorragendsten Talente kürz-
lich zu bezeichnen, so treten uns theils große Souveräne selbst, theils
Minister der auswärtigen Angelegenheiten und Unterhändler entge-
gen. Unter den Ersteren schon im Alterthum ein Philipp von Ma-
cedonien als Meister der Diplomatie, wenn Klugheit und List mit
künstlichen Mystificationen auf diesen Titel einen Anspruch geben.
In der neueren Zeit ein Carl V, Heinrich IV, Elisabeth von Eng-
land, König Wilhelm III -- unstreitig der größte Politiker des 17ten
Jahrhunderts. Weiterhin Ludwig XIV und selbst noch sein Nach-
folger Ludwig XV, der wenigstens mit Liebhaberei der Diplomatie
sich ergab, Carl Emanuel, Herzog von Savoyen, mit seinem Sy-
steme bascule,
Catharina von Rußland, Friedrich II von Preu-
ßen und Kaiser Joseph II, welche beide sich gern über die diplo-
matischen Contours hinaussetzend, wo möglich durch die That ein
Gewicht in die Wage der Völkerschicksale zu legen suchten.

Indeß bei großen Monarchen tritt jede partielle Thätigkeit un-
ter den übrigen Seiten ihres Handelns in den Hintergrund; aus-
schließliche Charactere sind nur die dienenden Diplomaten. Ihre Lei-
stungen, die sie zum Theil selbst in Memoiren der Nachwelt über-
liefert haben, sind ohne Zweifel auch die beste Musterschule künf-
tiger Diplomaten. Die größeste Zahl bietet Frankreich; in der Zeit
Heinrichs IV einen Sully, de Mornay, de Sillery, vor Allem Ar-
nold Dossat, dessen Kunst Offenheit und Redlichkeit war, wie auch
allein in Rom mit Erfolg geltend gemacht werden kann; unter
Ludwig XIII den Grafen von Brienne, Marschall von Bassom-
piere, dann Richelieu mit dem Pater Joseph de la Tremblaye; als
Unterhändler vorzüglich den Grafen d'Estrades, und dann weiter
unter Ludwig XIV einen Mazarin, Servien, Colbert und de Torcy,
dessen Aufgabe am Utrechter Congreß eine zuletzt doch mit Glück
beendigte Sisyphusarbeit war. Weniger hervortretende Talente be-
währte das Zeitalter Ludwigs XV; erst später erschöpfte sich das
diplomatische Genie in Talleyrand de Perigord. -- Von britischen
Diplomaten und Unterhändlern nennen wir vorzüglich den Cardi-
1

1 Verzeichnisse derselben s. bei Klüber dr. d. g. suppl. §. 37 s. und in B.
de Martens Guide dipl. Bibl. choisie t. I, p.
509.

Drittes Buch. §. 233.
noch nicht beendigt iſt. Welche große Reihe würden nicht ſchon
diejenigen bilden, deren ſich die römiſche Kirche zu allen Zeiten be-
dienen konnte! Beſchränken wir uns nun darauf, aus der Ge-
ſchichte der weltlichen Staaten die hervorragendſten Talente kürz-
lich zu bezeichnen, ſo treten uns theils große Souveräne ſelbſt, theils
Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten und Unterhändler entge-
gen. Unter den Erſteren ſchon im Alterthum ein Philipp von Ma-
cedonien als Meiſter der Diplomatie, wenn Klugheit und Liſt mit
künſtlichen Myſtificationen auf dieſen Titel einen Anſpruch geben.
In der neueren Zeit ein Carl V, Heinrich IV, Eliſabeth von Eng-
land, König Wilhelm III — unſtreitig der größte Politiker des 17ten
Jahrhunderts. Weiterhin Ludwig XIV und ſelbſt noch ſein Nach-
folger Ludwig XV, der wenigſtens mit Liebhaberei der Diplomatie
ſich ergab, Carl Emanuel, Herzog von Savoyen, mit ſeinem Sy-
stème bascule,
Catharina von Rußland, Friedrich II von Preu-
ßen und Kaiſer Joſeph II, welche beide ſich gern über die diplo-
matiſchen Contours hinausſetzend, wo möglich durch die That ein
Gewicht in die Wage der Völkerſchickſale zu legen ſuchten.

Indeß bei großen Monarchen tritt jede partielle Thätigkeit un-
ter den übrigen Seiten ihres Handelns in den Hintergrund; aus-
ſchließliche Charactere ſind nur die dienenden Diplomaten. Ihre Lei-
ſtungen, die ſie zum Theil ſelbſt in Memoiren der Nachwelt über-
liefert haben, ſind ohne Zweifel auch die beſte Muſterſchule künf-
tiger Diplomaten. Die größeſte Zahl bietet Frankreich; in der Zeit
Heinrichs IV einen Sully, de Mornay, de Sillery, vor Allem Ar-
nold Doſſat, deſſen Kunſt Offenheit und Redlichkeit war, wie auch
allein in Rom mit Erfolg geltend gemacht werden kann; unter
Ludwig XIII den Grafen von Brienne, Marſchall von Baſſom-
pière, dann Richelieu mit dem Pater Joſeph de la Tremblaye; als
Unterhändler vorzüglich den Grafen d’Eſtrades, und dann weiter
unter Ludwig XIV einen Mazarin, Servien, Colbert und de Torcy,
deſſen Aufgabe am Utrechter Congreß eine zuletzt doch mit Glück
beendigte Siſyphusarbeit war. Weniger hervortretende Talente be-
währte das Zeitalter Ludwigs XV; erſt ſpäter erſchöpfte ſich das
diplomatiſche Genie in Talleyrand de Perigord. — Von britiſchen
Diplomaten und Unterhändlern nennen wir vorzüglich den Cardi-
1

1 Verzeichniſſe derſelben ſ. bei Klüber dr. d. g. suppl. §. 37 s. und in B.
de Martens Guide dipl. Bibl. choisie t. I, p.
509.
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[378/0402] Drittes Buch. §. 233. noch nicht beendigt iſt. Welche große Reihe würden nicht ſchon diejenigen bilden, deren ſich die römiſche Kirche zu allen Zeiten be- dienen konnte! Beſchränken wir uns nun darauf, aus der Ge- ſchichte der weltlichen Staaten die hervorragendſten Talente kürz- lich zu bezeichnen, ſo treten uns theils große Souveräne ſelbſt, theils Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten und Unterhändler entge- gen. Unter den Erſteren ſchon im Alterthum ein Philipp von Ma- cedonien als Meiſter der Diplomatie, wenn Klugheit und Liſt mit künſtlichen Myſtificationen auf dieſen Titel einen Anſpruch geben. In der neueren Zeit ein Carl V, Heinrich IV, Eliſabeth von Eng- land, König Wilhelm III — unſtreitig der größte Politiker des 17ten Jahrhunderts. Weiterhin Ludwig XIV und ſelbſt noch ſein Nach- folger Ludwig XV, der wenigſtens mit Liebhaberei der Diplomatie ſich ergab, Carl Emanuel, Herzog von Savoyen, mit ſeinem Sy- stème bascule, Catharina von Rußland, Friedrich II von Preu- ßen und Kaiſer Joſeph II, welche beide ſich gern über die diplo- matiſchen Contours hinausſetzend, wo möglich durch die That ein Gewicht in die Wage der Völkerſchickſale zu legen ſuchten. Indeß bei großen Monarchen tritt jede partielle Thätigkeit un- ter den übrigen Seiten ihres Handelns in den Hintergrund; aus- ſchließliche Charactere ſind nur die dienenden Diplomaten. Ihre Lei- ſtungen, die ſie zum Theil ſelbſt in Memoiren der Nachwelt über- liefert haben, ſind ohne Zweifel auch die beſte Muſterſchule künf- tiger Diplomaten. Die größeſte Zahl bietet Frankreich; in der Zeit Heinrichs IV einen Sully, de Mornay, de Sillery, vor Allem Ar- nold Doſſat, deſſen Kunſt Offenheit und Redlichkeit war, wie auch allein in Rom mit Erfolg geltend gemacht werden kann; unter Ludwig XIII den Grafen von Brienne, Marſchall von Baſſom- pière, dann Richelieu mit dem Pater Joſeph de la Tremblaye; als Unterhändler vorzüglich den Grafen d’Eſtrades, und dann weiter unter Ludwig XIV einen Mazarin, Servien, Colbert und de Torcy, deſſen Aufgabe am Utrechter Congreß eine zuletzt doch mit Glück beendigte Siſyphusarbeit war. Weniger hervortretende Talente be- währte das Zeitalter Ludwigs XV; erſt ſpäter erſchöpfte ſich das diplomatiſche Genie in Talleyrand de Perigord. — Von britiſchen Diplomaten und Unterhändlern nennen wir vorzüglich den Cardi- 1 1 Verzeichniſſe derſelben ſ. bei Klüber dr. d. g. suppl. §. 37 s. und in B. de Martens Guide dipl. Bibl. choisie t. I, p. 509.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/402>, abgerufen am 24.04.2024.