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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Drittes Buch. §. 239
gehend für gewisse Verhandlungen eine gewisse Sprache als diplo-
matische beliebt werden, wovon sich wieder die Hofsprache unter-
scheiden läßt, d. i. die Sprache einzelner Höfe in der Privatcon-
versation. 1

Der Gebrauch der Staaten und Höfe hat in beiderlei Hin-
sicht öfters gewechselt, ohne jedoch von dem obigen Princip selbst
abgewichen zu sein.

Sprache der diplomatischen Verhandlungen und Urkunden war
noch bis in das vorige Jahrhundert hinein meistentheils die la-
teinische; 2 Hofsprache war früherhin gewöhnlich die Landessprache;
so lange jedoch König Philipp II von Spanien lebte, hatte die
spanische Sprache bei einer großen Zahl europäischer Höfe starken
Eingang gefunden. Seit Ludwig XIV indeß überwog hier fast
allgemein die französische Sprache; sie wurde damit bald auch die
Sprache der diplomatischen Verhandlungen, ein Umstand worin die
französische Politik keinen geringen Bundesgenossen gefunden hat. 3
Niemals ist gleichwohl durch ein allgemeines Völkergesetz oder durch
ein auf der Idee der Nothwendigkeit beruhendes Herkommen die
französische Sprache als gemeinsame Staatensprache wirklich reci-
pirt, sondern wie oft sie auch in neuerer Zeit gebraucht worden
ist, hat man sich meistens von Seiten anderer Staaten gegen et-
wanige Consequenzen ausdrücklich gewährt, 4 wenn nicht die fran-

1 Vgl. Fr. Carl Moser, Abhandl von den europäischen Hof- und Staats-
sprachen. Frankf. 1750. v. Rohr, Einleitung in die Cerimonialwissenschaft.
S. 405. J. J. Moser Vers. II, 153.
2 Noch die Quadrupel-Alliance zu London von 1718 ist in latein. Sprache
abgefaßt. Einzelne Mächte, z. B. die päpstliche Curie, bedient sich in
ihren völkerrechtlichen Urkunden noch jetzt derselben Sprache.
3 Ein Beispiel liefert die Verfassung des pyrenäischen Friedens, worüber die
Memoiren von Brienne nachzusehen sind. (v. Schiller, allgem. Samml.
histor. Mem. Abth. II. Bd. 17. S. 143.)
4 Einen sehr allgemeinen Vorbehalt enthält in dieser Beziehung die Wiener
Congreßacte Art. 120. mit den Worten: La langue francaise ayant ete
exclusivement employee dans toutes les copies du present traite il est
reconnu par les puissances qui ont concouru a cet acte, que l'emploi
de cette langue, ne tirera point a consequence pour l'avenir; de sorte
que chaque puissance se reserve d'adopter, dans les negociations et con-
ventions futures, la langue dont elle s'est servie jusqu' ici dans ses
relations diplomatiques, sans que le traite actuel puisse etre cite comme
exemple contraire aux usages etablis."

Drittes Buch. §. 239
gehend für gewiſſe Verhandlungen eine gewiſſe Sprache als diplo-
matiſche beliebt werden, wovon ſich wieder die Hofſprache unter-
ſcheiden läßt, d. i. die Sprache einzelner Höfe in der Privatcon-
verſation. 1

Der Gebrauch der Staaten und Höfe hat in beiderlei Hin-
ſicht öfters gewechſelt, ohne jedoch von dem obigen Princip ſelbſt
abgewichen zu ſein.

Sprache der diplomatiſchen Verhandlungen und Urkunden war
noch bis in das vorige Jahrhundert hinein meiſtentheils die la-
teiniſche; 2 Hofſprache war früherhin gewöhnlich die Landesſprache;
ſo lange jedoch König Philipp II von Spanien lebte, hatte die
ſpaniſche Sprache bei einer großen Zahl europäiſcher Höfe ſtarken
Eingang gefunden. Seit Ludwig XIV indeß überwog hier faſt
allgemein die franzöſiſche Sprache; ſie wurde damit bald auch die
Sprache der diplomatiſchen Verhandlungen, ein Umſtand worin die
franzöſiſche Politik keinen geringen Bundesgenoſſen gefunden hat. 3
Niemals iſt gleichwohl durch ein allgemeines Völkergeſetz oder durch
ein auf der Idee der Nothwendigkeit beruhendes Herkommen die
franzöſiſche Sprache als gemeinſame Staatenſprache wirklich reci-
pirt, ſondern wie oft ſie auch in neuerer Zeit gebraucht worden
iſt, hat man ſich meiſtens von Seiten anderer Staaten gegen et-
wanige Conſequenzen ausdrücklich gewährt, 4 wenn nicht die fran-

1 Vgl. Fr. Carl Moſer, Abhandl von den europäiſchen Hof- und Staats-
ſprachen. Frankf. 1750. v. Rohr, Einleitung in die Cerimonialwiſſenſchaft.
S. 405. J. J. Moſer Verſ. II, 153.
2 Noch die Quadrupel-Alliance zu London von 1718 iſt in latein. Sprache
abgefaßt. Einzelne Mächte, z. B. die päpſtliche Curie, bedient ſich in
ihren völkerrechtlichen Urkunden noch jetzt derſelben Sprache.
3 Ein Beiſpiel liefert die Verfaſſung des pyrenäiſchen Friedens, worüber die
Memoiren von Brienne nachzuſehen ſind. (v. Schiller, allgem. Samml.
hiſtor. Mem. Abth. II. Bd. 17. S. 143.)
4 Einen ſehr allgemeinen Vorbehalt enthält in dieſer Beziehung die Wiener
Congreßacte Art. 120. mit den Worten: La langue française ayant été
exclusivement employée dans toutes les copies du présent traité il est
reconnu par les puissances qui ont concouru à cet acte, que l’emploi
de cette langue, ne tirera point à conséquence pour l’avenir; de sorte
que chaque puissance se réserve d’adopter, dans les négociations et con-
ventions futures, la langue dont elle s’est servie jusqu’ ici dans ses
relations diplomatiques, sans que le traité actuel puisse être cité comme
exemple contraire aux usages établis.“
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[388/0412] Drittes Buch. §. 239 gehend für gewiſſe Verhandlungen eine gewiſſe Sprache als diplo- matiſche beliebt werden, wovon ſich wieder die Hofſprache unter- ſcheiden läßt, d. i. die Sprache einzelner Höfe in der Privatcon- verſation. 1 Der Gebrauch der Staaten und Höfe hat in beiderlei Hin- ſicht öfters gewechſelt, ohne jedoch von dem obigen Princip ſelbſt abgewichen zu ſein. Sprache der diplomatiſchen Verhandlungen und Urkunden war noch bis in das vorige Jahrhundert hinein meiſtentheils die la- teiniſche; 2 Hofſprache war früherhin gewöhnlich die Landesſprache; ſo lange jedoch König Philipp II von Spanien lebte, hatte die ſpaniſche Sprache bei einer großen Zahl europäiſcher Höfe ſtarken Eingang gefunden. Seit Ludwig XIV indeß überwog hier faſt allgemein die franzöſiſche Sprache; ſie wurde damit bald auch die Sprache der diplomatiſchen Verhandlungen, ein Umſtand worin die franzöſiſche Politik keinen geringen Bundesgenoſſen gefunden hat. 3 Niemals iſt gleichwohl durch ein allgemeines Völkergeſetz oder durch ein auf der Idee der Nothwendigkeit beruhendes Herkommen die franzöſiſche Sprache als gemeinſame Staatenſprache wirklich reci- pirt, ſondern wie oft ſie auch in neuerer Zeit gebraucht worden iſt, hat man ſich meiſtens von Seiten anderer Staaten gegen et- wanige Conſequenzen ausdrücklich gewährt, 4 wenn nicht die fran- 1 Vgl. Fr. Carl Moſer, Abhandl von den europäiſchen Hof- und Staats- ſprachen. Frankf. 1750. v. Rohr, Einleitung in die Cerimonialwiſſenſchaft. S. 405. J. J. Moſer Verſ. II, 153. 2 Noch die Quadrupel-Alliance zu London von 1718 iſt in latein. Sprache abgefaßt. Einzelne Mächte, z. B. die päpſtliche Curie, bedient ſich in ihren völkerrechtlichen Urkunden noch jetzt derſelben Sprache. 3 Ein Beiſpiel liefert die Verfaſſung des pyrenäiſchen Friedens, worüber die Memoiren von Brienne nachzuſehen ſind. (v. Schiller, allgem. Samml. hiſtor. Mem. Abth. II. Bd. 17. S. 143.) 4 Einen ſehr allgemeinen Vorbehalt enthält in dieſer Beziehung die Wiener Congreßacte Art. 120. mit den Worten: La langue française ayant été exclusivement employée dans toutes les copies du présent traité il est reconnu par les puissances qui ont concouru à cet acte, que l’emploi de cette langue, ne tirera point à conséquence pour l’avenir; de sorte que chaque puissance se réserve d’adopter, dans les négociations et con- ventions futures, la langue dont elle s’est servie jusqu’ ici dans ses relations diplomatiques, sans que le traité actuel puisse être cité comme exemple contraire aux usages établis.“

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/412>, abgerufen am 29.03.2024.