Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
Quantität.
Anmerkung 1.

Die schlechte Unendlichkeit pflegt vornemlich in der
Form des Progreßes des Quantitativen ins
Unendliche
, -- diß fortgehende Ueberfliegen der
Grenze, das die Ohnmacht ist, sie aufzuheben, und der
perennirende Rückfall in dieselbe, -- für etwas Erha-
benes und für eine Art von Gottesdienst gehalten zu
werden, so wie derselbe in der Philosophie als ein Letz-
tes angesehen worden ist. Es finden sich allenthalben
Tiraden solcher Art, die als erhabne Productionen be-
wundert worden sind. In der That aber macht diese
moderne Erhabenheit nicht den Gegenstand groß,
welcher vielmehr entflieht, sondern nur das Subject,
das so große Quantitäten in sich verschlingt. Es thut
sich aber die Dürftigkeit dieser subjectiv bleibenden Erhe-
bung, die an der Leiter des Quantitativen hinaufsteigt,
damit kund, daß sie in der vergeblichen Arbeit dem un-
endlichen Ziele nicht näher kommt, welches zu erreichen
ganz anders anzugreifen ist.

Bey folgenden Tiraden dieser Art ist es zugleich
ausgedrückt, in was solche Erhebung übergeht und auf-
hört. Kant z. B. führt es als erhaben auf,

"wenn das Subject mit dem Gedanken sich über
"den Platz erhebt, den es in der Sinnenwelt einnimmt,
"und die Verknüpfung ins unendlich Große erweitert,
"eine Verknüpfung mit Sternen über Sternen, mit
"Welten über Welten, Systemen über Systemen, über-
"dem noch in grenzenlose Zeiten ihrer periodischen Be-
"wegung, deren Anfang und Fortdauer. -- Das Vor-
"stellen erliegt diesem Fortgehen ins Unermeßlich-Ferne,
"wo die fernste Welt immer noch eine fernere hat, die
"so weit zurückgeführte Vergangenheit noch eine weitere
"hinter sich, die noch so weit hinausgeführte Zukunft

"immer
Quantitaͤt.
Anmerkung 1.

Die ſchlechte Unendlichkeit pflegt vornemlich in der
Form des Progreßes des Quantitativen ins
Unendliche
, — diß fortgehende Ueberfliegen der
Grenze, das die Ohnmacht iſt, ſie aufzuheben, und der
perennirende Ruͤckfall in dieſelbe, — fuͤr etwas Erha-
benes und fuͤr eine Art von Gottesdienſt gehalten zu
werden, ſo wie derſelbe in der Philoſophie als ein Letz-
tes angeſehen worden iſt. Es finden ſich allenthalben
Tiraden ſolcher Art, die als erhabne Productionen be-
wundert worden ſind. In der That aber macht dieſe
moderne Erhabenheit nicht den Gegenſtand groß,
welcher vielmehr entflieht, ſondern nur das Subject,
das ſo große Quantitaͤten in ſich verſchlingt. Es thut
ſich aber die Duͤrftigkeit dieſer ſubjectiv bleibenden Erhe-
bung, die an der Leiter des Quantitativen hinaufſteigt,
damit kund, daß ſie in der vergeblichen Arbeit dem un-
endlichen Ziele nicht naͤher kommt, welches zu erreichen
ganz anders anzugreifen iſt.

Bey folgenden Tiraden dieſer Art iſt es zugleich
ausgedruͤckt, in was ſolche Erhebung uͤbergeht und auf-
hoͤrt. Kant z. B. fuͤhrt es als erhaben auf,

„wenn das Subject mit dem Gedanken ſich uͤber
„den Platz erhebt, den es in der Sinnenwelt einnimmt,
„und die Verknuͤpfung ins unendlich Große erweitert,
„eine Verknuͤpfung mit Sternen uͤber Sternen, mit
„Welten uͤber Welten, Syſtemen uͤber Syſtemen, uͤber-
„dem noch in grenzenloſe Zeiten ihrer periodiſchen Be-
„wegung, deren Anfang und Fortdauer. — Das Vor-
„ſtellen erliegt dieſem Fortgehen ins Unermeßlich-Ferne,
„wo die fernſte Welt immer noch eine fernere hat, die
„ſo weit zuruͤckgefuͤhrte Vergangenheit noch eine weitere
„hinter ſich, die noch ſo weit hinausgefuͤhrte Zukunft

„immer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <pb facs="#f0235" n="187"/>
                  <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Quantita&#x0364;t</hi>.</fw><lb/>
                  <div n="7">
                    <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Anmerkung</hi> 1.</hi> </head><lb/>
                    <p>Die &#x017F;chlechte Unendlichkeit pflegt vornemlich in der<lb/>
Form des <hi rendition="#g">Progreßes des Quantitativen ins<lb/>
Unendliche</hi>, &#x2014; diß fortgehende Ueberfliegen der<lb/>
Grenze, das die Ohnmacht i&#x017F;t, &#x017F;ie aufzuheben, und der<lb/>
perennirende Ru&#x0364;ckfall in die&#x017F;elbe, &#x2014; fu&#x0364;r etwas Erha-<lb/>
benes und fu&#x0364;r eine Art von Gottesdien&#x017F;t gehalten zu<lb/>
werden, &#x017F;o wie der&#x017F;elbe in der Philo&#x017F;ophie als ein Letz-<lb/>
tes ange&#x017F;ehen worden i&#x017F;t. Es finden &#x017F;ich allenthalben<lb/>
Tiraden &#x017F;olcher Art, die als erhabne Productionen be-<lb/>
wundert worden &#x017F;ind. In der That aber macht die&#x017F;e<lb/><hi rendition="#g">moderne</hi> Erhabenheit nicht den <hi rendition="#g">Gegen&#x017F;tand</hi> groß,<lb/>
welcher vielmehr entflieht, &#x017F;ondern nur das <hi rendition="#g">Subject</hi>,<lb/>
das &#x017F;o große Quantita&#x0364;ten in &#x017F;ich ver&#x017F;chlingt. Es thut<lb/>
&#x017F;ich aber die Du&#x0364;rftigkeit die&#x017F;er &#x017F;ubjectiv bleibenden Erhe-<lb/>
bung, die an der Leiter des Quantitativen hinauf&#x017F;teigt,<lb/>
damit kund, daß &#x017F;ie in der vergeblichen Arbeit dem un-<lb/>
endlichen Ziele nicht na&#x0364;her kommt, welches zu erreichen<lb/>
ganz anders anzugreifen i&#x017F;t.</p><lb/>
                    <p>Bey folgenden Tiraden die&#x017F;er Art i&#x017F;t es zugleich<lb/>
ausgedru&#x0364;ckt, in was &#x017F;olche Erhebung u&#x0364;bergeht und auf-<lb/>
ho&#x0364;rt. <hi rendition="#g">Kant</hi> z. B. fu&#x0364;hrt es als erhaben auf,</p><lb/>
                    <p>&#x201E;wenn das Subject mit dem Gedanken &#x017F;ich u&#x0364;ber<lb/>
&#x201E;den Platz erhebt, den es in der Sinnenwelt einnimmt,<lb/>
&#x201E;und die Verknu&#x0364;pfung ins unendlich Große erweitert,<lb/>
&#x201E;eine Verknu&#x0364;pfung mit Sternen u&#x0364;ber Sternen, mit<lb/>
&#x201E;Welten u&#x0364;ber Welten, Sy&#x017F;temen u&#x0364;ber Sy&#x017F;temen, u&#x0364;ber-<lb/>
&#x201E;dem noch in grenzenlo&#x017F;e Zeiten ihrer periodi&#x017F;chen Be-<lb/>
&#x201E;wegung, deren Anfang und Fortdauer. &#x2014; Das Vor-<lb/>
&#x201E;&#x017F;tellen erliegt die&#x017F;em Fortgehen ins Unermeßlich-Ferne,<lb/>
&#x201E;wo die fern&#x017F;te Welt immer noch eine fernere hat, die<lb/>
&#x201E;&#x017F;o weit zuru&#x0364;ckgefu&#x0364;hrte Vergangenheit noch eine weitere<lb/>
&#x201E;hinter &#x017F;ich, die noch &#x017F;o weit hinausgefu&#x0364;hrte Zukunft<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;immer</fw><lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0235] Quantitaͤt. Anmerkung 1. Die ſchlechte Unendlichkeit pflegt vornemlich in der Form des Progreßes des Quantitativen ins Unendliche, — diß fortgehende Ueberfliegen der Grenze, das die Ohnmacht iſt, ſie aufzuheben, und der perennirende Ruͤckfall in dieſelbe, — fuͤr etwas Erha- benes und fuͤr eine Art von Gottesdienſt gehalten zu werden, ſo wie derſelbe in der Philoſophie als ein Letz- tes angeſehen worden iſt. Es finden ſich allenthalben Tiraden ſolcher Art, die als erhabne Productionen be- wundert worden ſind. In der That aber macht dieſe moderne Erhabenheit nicht den Gegenſtand groß, welcher vielmehr entflieht, ſondern nur das Subject, das ſo große Quantitaͤten in ſich verſchlingt. Es thut ſich aber die Duͤrftigkeit dieſer ſubjectiv bleibenden Erhe- bung, die an der Leiter des Quantitativen hinaufſteigt, damit kund, daß ſie in der vergeblichen Arbeit dem un- endlichen Ziele nicht naͤher kommt, welches zu erreichen ganz anders anzugreifen iſt. Bey folgenden Tiraden dieſer Art iſt es zugleich ausgedruͤckt, in was ſolche Erhebung uͤbergeht und auf- hoͤrt. Kant z. B. fuͤhrt es als erhaben auf, „wenn das Subject mit dem Gedanken ſich uͤber „den Platz erhebt, den es in der Sinnenwelt einnimmt, „und die Verknuͤpfung ins unendlich Große erweitert, „eine Verknuͤpfung mit Sternen uͤber Sternen, mit „Welten uͤber Welten, Syſtemen uͤber Syſtemen, uͤber- „dem noch in grenzenloſe Zeiten ihrer periodiſchen Be- „wegung, deren Anfang und Fortdauer. — Das Vor- „ſtellen erliegt dieſem Fortgehen ins Unermeßlich-Ferne, „wo die fernſte Welt immer noch eine fernere hat, die „ſo weit zuruͤckgefuͤhrte Vergangenheit noch eine weitere „hinter ſich, die noch ſo weit hinausgefuͤhrte Zukunft „immer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/235
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/235>, abgerufen am 25.04.2024.