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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812.

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gen das Werden, oder gegen den Anfang und Un-
tergang, Entstehen oder Vergehen hat. -- Die Kanti-
sche Antinomie über die Endlichkeit oder Unendlichkeit der
Welt in Raum und Zeit wird unten bey dem Begriffe
der Unendlichkeit näher betrachtet werden. -- Jene ein-
fache gewöhnliche Dialektik beruht auf dem Festhalten des
Gegensatzes von Seyn und Nichts. Es wird auf fol-
gende Art bewiesen, daß kein Anfang der Welt oder von
Etwas möglich sey:

Es kann nichts anfangen, weder insofern etwas ist,
noch insofern es nicht ist; denn insofern es ist, fängt es
nicht erst an; insofern es aber nicht ist, fängt es auch
nicht an. -- Wenn die Welt oder Etwas angefangen
haben sollte, so hätte sie im Nichts angefangen, aber im
Nichts oder das Nichts ist nicht Anfang; denn Anfang
schließt ein Seyn in sich, aber das Nichts enthält kein
Seyn. -- Aus demselben Grunde kann auch Etwas nicht
aufhören. Denn so müßte das Seyn das Nichts enthal-
ten, Seyn aber ist nur Seyn, nicht das Gegentheil sei-
ner selbst.

Werden aber, oder Anfangen und Aufhören sind
gerade diese Einheit des Seyns und Nichts, gegen
welche diese Dialektik nichts vorbringt, als sie assertorisch
zu läugnen, und dem Seyn und Nichts, jedem getrennt
von dem andern, Wahrheit zuzuschreiben. -- Dem ge-
wöhnlichen reflectirenden Vorstellen, gilt es für vollkom-
mene Wahrheit, daß Seyn und Nichts, nicht eines
seyen; auf der andern Seite aber läßt es ein Anfangen
und Aufhören, als eben so wahrhafte Bestimmungen gel-
ten; aber in diesen nimmt es in der That eine Einheit
des Seyns und Nichts für wahrhaft an.

Indem die absolute Geschiedenheit des Seyns vom
Nichts vorausgesetzt wird, so ist -- was man so oft hört --

der

Qualitaͤt.
gen das Werden, oder gegen den Anfang und Un-
tergang, Entſtehen oder Vergehen hat. — Die Kanti-
ſche Antinomie uͤber die Endlichkeit oder Unendlichkeit der
Welt in Raum und Zeit wird unten bey dem Begriffe
der Unendlichkeit naͤher betrachtet werden. — Jene ein-
fache gewoͤhnliche Dialektik beruht auf dem Feſthalten des
Gegenſatzes von Seyn und Nichts. Es wird auf fol-
gende Art bewieſen, daß kein Anfang der Welt oder von
Etwas moͤglich ſey:

Es kann nichts anfangen, weder inſofern etwas iſt,
noch inſofern es nicht iſt; denn inſofern es iſt, faͤngt es
nicht erſt an; inſofern es aber nicht iſt, faͤngt es auch
nicht an. — Wenn die Welt oder Etwas angefangen
haben ſollte, ſo haͤtte ſie im Nichts angefangen, aber im
Nichts oder das Nichts iſt nicht Anfang; denn Anfang
ſchließt ein Seyn in ſich, aber das Nichts enthaͤlt kein
Seyn. — Aus demſelben Grunde kann auch Etwas nicht
aufhoͤren. Denn ſo muͤßte das Seyn das Nichts enthal-
ten, Seyn aber iſt nur Seyn, nicht das Gegentheil ſei-
ner ſelbſt.

Werden aber, oder Anfangen und Aufhoͤren ſind
gerade dieſe Einheit des Seyns und Nichts, gegen
welche dieſe Dialektik nichts vorbringt, als ſie aſſertoriſch
zu laͤugnen, und dem Seyn und Nichts, jedem getrennt
von dem andern, Wahrheit zuzuſchreiben. — Dem ge-
woͤhnlichen reflectirenden Vorſtellen, gilt es fuͤr vollkom-
mene Wahrheit, daß Seyn und Nichts, nicht eines
ſeyen; auf der andern Seite aber laͤßt es ein Anfangen
und Aufhoͤren, als eben ſo wahrhafte Beſtimmungen gel-
ten; aber in dieſen nimmt es in der That eine Einheit
des Seyns und Nichts fuͤr wahrhaft an.

Indem die abſolute Geſchiedenheit des Seyns vom
Nichts vorausgeſetzt wird, ſo iſt — was man ſo oft hoͤrt —

der
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[41/0089] Qualitaͤt. gen das Werden, oder gegen den Anfang und Un- tergang, Entſtehen oder Vergehen hat. — Die Kanti- ſche Antinomie uͤber die Endlichkeit oder Unendlichkeit der Welt in Raum und Zeit wird unten bey dem Begriffe der Unendlichkeit naͤher betrachtet werden. — Jene ein- fache gewoͤhnliche Dialektik beruht auf dem Feſthalten des Gegenſatzes von Seyn und Nichts. Es wird auf fol- gende Art bewieſen, daß kein Anfang der Welt oder von Etwas moͤglich ſey: Es kann nichts anfangen, weder inſofern etwas iſt, noch inſofern es nicht iſt; denn inſofern es iſt, faͤngt es nicht erſt an; inſofern es aber nicht iſt, faͤngt es auch nicht an. — Wenn die Welt oder Etwas angefangen haben ſollte, ſo haͤtte ſie im Nichts angefangen, aber im Nichts oder das Nichts iſt nicht Anfang; denn Anfang ſchließt ein Seyn in ſich, aber das Nichts enthaͤlt kein Seyn. — Aus demſelben Grunde kann auch Etwas nicht aufhoͤren. Denn ſo muͤßte das Seyn das Nichts enthal- ten, Seyn aber iſt nur Seyn, nicht das Gegentheil ſei- ner ſelbſt. Werden aber, oder Anfangen und Aufhoͤren ſind gerade dieſe Einheit des Seyns und Nichts, gegen welche dieſe Dialektik nichts vorbringt, als ſie aſſertoriſch zu laͤugnen, und dem Seyn und Nichts, jedem getrennt von dem andern, Wahrheit zuzuſchreiben. — Dem ge- woͤhnlichen reflectirenden Vorſtellen, gilt es fuͤr vollkom- mene Wahrheit, daß Seyn und Nichts, nicht eines ſeyen; auf der andern Seite aber laͤßt es ein Anfangen und Aufhoͤren, als eben ſo wahrhafte Beſtimmungen gel- ten; aber in dieſen nimmt es in der That eine Einheit des Seyns und Nichts fuͤr wahrhaft an. Indem die abſolute Geſchiedenheit des Seyns vom Nichts vorausgeſetzt wird, ſo iſt — was man ſo oft hoͤrt — der

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/89>, abgerufen am 19.04.2024.