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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,2. Nürnberg, 1813.

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Zweytes Buch. I. Abschnitt.
Gründe haben; sie enthält als ein Concretes mannichfal-
tige wesentliche Bestimmungen, deren jede deßwegen als
Grund angegeben werden kann. Das Aufsuchen und An-
geben von Gründen, worinn vornemlich das Räson-
nement
besteht, ist darum ein endloses Herumtreiben,
das keine letzte Bestimmung enthält; es kann von allem
und jeden einer und mehrere gute Gründe angegeben
werden, so wie von seinem Entgegengesetzten, und es
können eine Menge Gründe vorhanden seyn, ohne daß
aus ihnen etwas erfolgt. Was Socrates und Plato
Sophisterey nennen, ist nichts anderes als das Rai-
sonnement aus Gründen; Plato setzt demselben die Be-
trachtung der Idee, d. h. der Sache an und für sich
selbst, oder in ihrem Begriffe entgegen. Die Gründe
sind nur von wesentlichen Inhaltsbestimmungen,
Verhältnissen und Rüksichten genommen, deren jede Sa-
che, gerade wie auch ihr Gegentheil, mehrere hat; in
ihrer Form der Wesentlichkeit gilt die eine so gut als die
andere; weil sie nicht den ganzen Umfang der Sache ent-
hält, ist sie einseitiger Grund, deren die andern beson-
dern Seiten wieder besondere haben, und wovon keiner
die Sache, welche ihre Verknüpfung ausmacht und
sie alle enthält, erschöpft; keiner ist zureichender
Grund, d. h. der Begriff.

c.
Der vollständige Grund.

1. Im realen Grunde sind der Grund als Inhalt,
und als Beziehung, nur Grundlagen. Jener ist nur
gesetzt als wesentlich und als Grund; die Beziehung
ist das Etwas des Begründeten, als das unbestimmte
Substrat eines verschiedenen Inhalts, eine Verknüpfung
desselben, die nicht seine eigne Reflexion, sondern eine

äusser-

Zweytes Buch. I. Abſchnitt.
Gruͤnde haben; ſie enthaͤlt als ein Concretes mannichfal-
tige weſentliche Beſtimmungen, deren jede deßwegen als
Grund angegeben werden kann. Das Aufſuchen und An-
geben von Gruͤnden, worinn vornemlich das Raͤſon-
nement
beſteht, iſt darum ein endloſes Herumtreiben,
das keine letzte Beſtimmung enthaͤlt; es kann von allem
und jeden einer und mehrere gute Gruͤnde angegeben
werden, ſo wie von ſeinem Entgegengeſetzten, und es
koͤnnen eine Menge Gruͤnde vorhanden ſeyn, ohne daß
aus ihnen etwas erfolgt. Was Socrates und Plato
Sophiſterey nennen, iſt nichts anderes als das Rai-
ſonnement aus Gruͤnden; Plato ſetzt demſelben die Be-
trachtung der Idee, d. h. der Sache an und fuͤr ſich
ſelbſt, oder in ihrem Begriffe entgegen. Die Gruͤnde
ſind nur von weſentlichen Inhaltsbeſtimmungen,
Verhaͤltniſſen und Ruͤkſichten genommen, deren jede Sa-
che, gerade wie auch ihr Gegentheil, mehrere hat; in
ihrer Form der Weſentlichkeit gilt die eine ſo gut als die
andere; weil ſie nicht den ganzen Umfang der Sache ent-
haͤlt, iſt ſie einſeitiger Grund, deren die andern beſon-
dern Seiten wieder beſondere haben, und wovon keiner
die Sache, welche ihre Verknuͤpfung ausmacht und
ſie alle enthaͤlt, erſchoͤpft; keiner iſt zureichender
Grund, d. h. der Begriff.

c.
Der vollſtaͤndige Grund.

1. Im realen Grunde ſind der Grund als Inhalt,
und als Beziehung, nur Grundlagen. Jener iſt nur
geſetzt als weſentlich und als Grund; die Beziehung
iſt das Etwas des Begruͤndeten, als das unbeſtimmte
Subſtrat eines verſchiedenen Inhalts, eine Verknuͤpfung
deſſelben, die nicht ſeine eigne Reflexion, ſondern eine

aͤuſſer-
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[118/0130] Zweytes Buch. I. Abſchnitt. Gruͤnde haben; ſie enthaͤlt als ein Concretes mannichfal- tige weſentliche Beſtimmungen, deren jede deßwegen als Grund angegeben werden kann. Das Aufſuchen und An- geben von Gruͤnden, worinn vornemlich das Raͤſon- nement beſteht, iſt darum ein endloſes Herumtreiben, das keine letzte Beſtimmung enthaͤlt; es kann von allem und jeden einer und mehrere gute Gruͤnde angegeben werden, ſo wie von ſeinem Entgegengeſetzten, und es koͤnnen eine Menge Gruͤnde vorhanden ſeyn, ohne daß aus ihnen etwas erfolgt. Was Socrates und Plato Sophiſterey nennen, iſt nichts anderes als das Rai- ſonnement aus Gruͤnden; Plato ſetzt demſelben die Be- trachtung der Idee, d. h. der Sache an und fuͤr ſich ſelbſt, oder in ihrem Begriffe entgegen. Die Gruͤnde ſind nur von weſentlichen Inhaltsbeſtimmungen, Verhaͤltniſſen und Ruͤkſichten genommen, deren jede Sa- che, gerade wie auch ihr Gegentheil, mehrere hat; in ihrer Form der Weſentlichkeit gilt die eine ſo gut als die andere; weil ſie nicht den ganzen Umfang der Sache ent- haͤlt, iſt ſie einſeitiger Grund, deren die andern beſon- dern Seiten wieder beſondere haben, und wovon keiner die Sache, welche ihre Verknuͤpfung ausmacht und ſie alle enthaͤlt, erſchoͤpft; keiner iſt zureichender Grund, d. h. der Begriff. c. Der vollſtaͤndige Grund. 1. Im realen Grunde ſind der Grund als Inhalt, und als Beziehung, nur Grundlagen. Jener iſt nur geſetzt als weſentlich und als Grund; die Beziehung iſt das Etwas des Begruͤndeten, als das unbeſtimmte Subſtrat eines verſchiedenen Inhalts, eine Verknuͤpfung deſſelben, die nicht ſeine eigne Reflexion, ſondern eine aͤuſſer-

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,2. Nürnberg, 1813, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0102_1813/130>, abgerufen am 28.03.2024.