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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,2. Nürnberg, 1813.

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Das Wesen.
sie sind, für ein tavtologisches, leeres Gerede. Wenn
auf die Frage, warum dieser Mensch in die Stadt reise,
der Grund angegeben wird, weil in der Stadt sich eine
anziehende Kraft befinde, die ihn dahin treibe, so gilt
diese Art des Antwortens für abgeschmakt, die in den
Wissenschaften sanctionirt ist. -- Leibnitz warf der
Newtonischen anziehenden Kraft vor, daß sie eine
solche verborgene Qualität sey, als die Scholastiker zum
Behuf des Erklärens gebrauchten. Man müßte ihr eher
das Gegentheil zum Vorwurf machen, daß sie eine zu
bekannte
Qualität sey; denu sie hat keinen andern
Inhalt, als die Erscheinung selbst. -- Wodurch sich diese
Erklärungsweise eben empfiehlt, ist ihre große Deutlich-
keit und Begreiflichkeit; denn es ist nichts deutlicher und
begreiflicher, als daß z. E. eine Pflanze ihren Grund in
einer vegetativen, d. h. Pflanzen hervorbringenden Kraft
habe. -- Eine occulte Qualität könnte sie nur in dem
Sinne genannt werden, als der Grund einen andern
Inhalt
haben soll, als das zu erklärende; ein solcher
ist nicht angegeben; insofern ist jene zum Erklären ge-
brauchte Kraft allerdings ein verborgener Grund, als
ein Grund, wie er gefodert wird, nicht angegeben ist.
Es wird durch diesen Formalismus so wenig etwas er-
klärt, als die Natur einer Pflanze erkannt wird, wenn
ich sage, daß sie eine Pflanze ist; bey aller Deutlichkeit
dieses Satzes, oder daß sie ihren Grund in einer Pflan-
zen hervorbringenden Kraft habe, kann man diß deßwe-
gen eine sehr occulte Erklärungsweise nennen.

Zweytens, der Form nach, kommen in die-
ser Erklärungsweise die beyden entgegengesetzten
Richtungen
der Grundbeziehung vor, ohne in
ihrem bestimmten Verhältnisse erkannt zu seyn. Der
Grund ist einestheils Grund, als die in sich reflectirte
Inhaltsbestimmung des Daseyns, das er begründet, an-

dern-

Das Weſen.
ſie ſind, fuͤr ein tavtologiſches, leeres Gerede. Wenn
auf die Frage, warum dieſer Menſch in die Stadt reiſe,
der Grund angegeben wird, weil in der Stadt ſich eine
anziehende Kraft befinde, die ihn dahin treibe, ſo gilt
dieſe Art des Antwortens fuͤr abgeſchmakt, die in den
Wiſſenſchaften ſanctionirt iſt. — Leibnitz warf der
Newtoniſchen anziehenden Kraft vor, daß ſie eine
ſolche verborgene Qualitaͤt ſey, als die Scholaſtiker zum
Behuf des Erklaͤrens gebrauchten. Man muͤßte ihr eher
das Gegentheil zum Vorwurf machen, daß ſie eine zu
bekannte
Qualitaͤt ſey; denu ſie hat keinen andern
Inhalt, als die Erſcheinung ſelbſt. — Wodurch ſich dieſe
Erklaͤrungsweiſe eben empfiehlt, iſt ihre große Deutlich-
keit und Begreiflichkeit; denn es iſt nichts deutlicher und
begreiflicher, als daß z. E. eine Pflanze ihren Grund in
einer vegetativen, d. h. Pflanzen hervorbringenden Kraft
habe. — Eine occulte Qualitaͤt koͤnnte ſie nur in dem
Sinne genannt werden, als der Grund einen andern
Inhalt
haben ſoll, als das zu erklaͤrende; ein ſolcher
iſt nicht angegeben; inſofern iſt jene zum Erklaͤren ge-
brauchte Kraft allerdings ein verborgener Grund, als
ein Grund, wie er gefodert wird, nicht angegeben iſt.
Es wird durch dieſen Formalismus ſo wenig etwas er-
klaͤrt, als die Natur einer Pflanze erkannt wird, wenn
ich ſage, daß ſie eine Pflanze iſt; bey aller Deutlichkeit
dieſes Satzes, oder daß ſie ihren Grund in einer Pflan-
zen hervorbringenden Kraft habe, kann man diß deßwe-
gen eine ſehr occulte Erklaͤrungsweiſe nennen.

Zweytens, der Form nach, kommen in die-
ſer Erklaͤrungsweiſe die beyden entgegengeſetzten
Richtungen
der Grundbeziehung vor, ohne in
ihrem beſtimmten Verhaͤltniſſe erkannt zu ſeyn. Der
Grund iſt einestheils Grund, als die in ſich reflectirte
Inhaltsbeſtimmung des Daſeyns, das er begruͤndet, an-

dern-
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[107/0119] Das Weſen. ſie ſind, fuͤr ein tavtologiſches, leeres Gerede. Wenn auf die Frage, warum dieſer Menſch in die Stadt reiſe, der Grund angegeben wird, weil in der Stadt ſich eine anziehende Kraft befinde, die ihn dahin treibe, ſo gilt dieſe Art des Antwortens fuͤr abgeſchmakt, die in den Wiſſenſchaften ſanctionirt iſt. — Leibnitz warf der Newtoniſchen anziehenden Kraft vor, daß ſie eine ſolche verborgene Qualitaͤt ſey, als die Scholaſtiker zum Behuf des Erklaͤrens gebrauchten. Man muͤßte ihr eher das Gegentheil zum Vorwurf machen, daß ſie eine zu bekannte Qualitaͤt ſey; denu ſie hat keinen andern Inhalt, als die Erſcheinung ſelbſt. — Wodurch ſich dieſe Erklaͤrungsweiſe eben empfiehlt, iſt ihre große Deutlich- keit und Begreiflichkeit; denn es iſt nichts deutlicher und begreiflicher, als daß z. E. eine Pflanze ihren Grund in einer vegetativen, d. h. Pflanzen hervorbringenden Kraft habe. — Eine occulte Qualitaͤt koͤnnte ſie nur in dem Sinne genannt werden, als der Grund einen andern Inhalt haben ſoll, als das zu erklaͤrende; ein ſolcher iſt nicht angegeben; inſofern iſt jene zum Erklaͤren ge- brauchte Kraft allerdings ein verborgener Grund, als ein Grund, wie er gefodert wird, nicht angegeben iſt. Es wird durch dieſen Formalismus ſo wenig etwas er- klaͤrt, als die Natur einer Pflanze erkannt wird, wenn ich ſage, daß ſie eine Pflanze iſt; bey aller Deutlichkeit dieſes Satzes, oder daß ſie ihren Grund in einer Pflan- zen hervorbringenden Kraft habe, kann man diß deßwe- gen eine ſehr occulte Erklaͤrungsweiſe nennen. Zweytens, der Form nach, kommen in die- ſer Erklaͤrungsweiſe die beyden entgegengeſetzten Richtungen der Grundbeziehung vor, ohne in ihrem beſtimmten Verhaͤltniſſe erkannt zu ſeyn. Der Grund iſt einestheils Grund, als die in ſich reflectirte Inhaltsbeſtimmung des Daſeyns, das er begruͤndet, an- dern-

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,2. Nürnberg, 1813, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0102_1813/119>, abgerufen am 24.04.2024.