Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

Es ist eine natürliche Vorstellung, dass, eh in der
Philosophie an die Sache selbst, nemlich an das wirk-
liche Erkennen dessen, was in Wahrheit ist, gegan-
gen wird, es nothwendig sey, vorher über das Er-
kennen sich zu verständigen, das als das Werkzeug,
wodurch man des Absoluten sich bemächtige, oder
als das Mittel, durch welches hindurch man es er-
blicke, betrachtet wird. Die Besorgniss scheint ge-
recht, theils dass es verschiedene Arten der Erkennt-
niss geben, und darunter eine geschickter als eine an-
dere zur Erreichung dieses Endzwecks seyn möchte,
hiemit durch falsche Wahl unter ihnen, -- theils
auch dass, indem das Erkennen ein Vermögen von
bestimmter Art und Umfange ist, ohne die genauere
Bestimmung seiner Natur und Gräntze, Wolken des
Irrthums statt des Himmels der Wahrheit erfasst
werden. Diese Besorgniss muss sich wohl sogar in
die Ueberzeugung verwandeln, dass das ganze Begin-
nen, dasjenige, was An-sich ist, durch das Erken-
nen dem Bewusstseyn zu erwerben, in seinem Be-
griffe widersinnig sey, und zwischen das Erkennen
und das Absolute eine sie schlechthin scheidende
Gräntze falle. Denn ist das Erkennen das Werk-
zeug, sich des absoluten Wesens zu bemächtigen,
so fällt sogleich auf, dass die Anwendung eines
Werkzeugs auf eine Sache, sie vielmehr nicht lässt,

A 2

Es ist eine natürliche Vorstellung, daſs, eh in der
Philosophie an die Sache selbst, nemlich an das wirk-
liche Erkennen dessen, was in Wahrheit ist, gegan-
gen wird, es nothwendig ſey, vorher über das Er-
kennen sich zu verständigen, das als das Werkzeug,
wodurch man des Absoluten sich bemächtige, oder
als das Mittel, durch welches hindurch man es er-
blicke, betrachtet wird. Die Besorgniſs scheint ge-
recht, theils daſs es verschiedene Arten der Erkennt-
niſs geben, und darunter eine geschickter als eine an-
dere zur Erreichung dieses Endzwecks seyn möchte,
hiemit durch falsche Wahl unter ihnen, — theils
auch daſs, indem das Erkennen ein Vermögen von
bestimmter Art und Umfange iſt, ohne die genauere
Bestimmung seiner Natur und Gräntze, Wolken des
Irrthums statt des Himmels der Wahrheit erfaſst
werden. Dieſe Besorgniſs muſs sich wohl sogar in
die Ueberzeugung verwandeln, daſs das ganze Begin-
nen, dasjenige, was An-sich ist, durch das Erken-
nen dem Bewuſstseyn zu erwerben, in seinem Be-
griffe widersinnig sey, und zwischen das Erkennen
und das Absolute eine sie schlechthin scheidende
Gräntze falle. Denn ist das Erkennen das Werk-
zeug, sich des absoluten Wesens zu bemächtigen,
so fällt sogleich auf, daſs die Anwendung eines
Werkzeugs auf eine Sache, sie vielmehr nicht läſst,

A 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0112"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head/>
          <p><hi rendition="#in">E</hi>s ist eine natürliche Vorstellung, da&#x017F;s, eh in der<lb/>
Philosophie an die Sache selbst, nemlich an das wirk-<lb/>
liche Erkennen dessen, was in Wahrheit ist, gegan-<lb/>
gen wird, es nothwendig &#x017F;ey, vorher über das Er-<lb/>
kennen sich zu verständigen, das als das Werkzeug,<lb/>
wodurch man des Absoluten sich bemächtige, oder<lb/>
als das Mittel, durch welches hindurch man es er-<lb/>
blicke, betrachtet wird. Die Besorgni&#x017F;s scheint ge-<lb/>
recht, theils da&#x017F;s es verschiedene Arten der Erkennt-<lb/>
ni&#x017F;s geben, und darunter eine geschickter als eine an-<lb/>
dere zur Erreichung dieses Endzwecks seyn möchte,<lb/>
hiemit durch falsche Wahl unter ihnen, &#x2014; theils<lb/>
auch da&#x017F;s, indem das Erkennen ein Vermögen von<lb/>
bestimmter Art und Umfange i&#x017F;t, ohne die genauere<lb/>
Bestimmung seiner Natur und Gräntze, Wolken des<lb/>
Irrthums statt des Himmels der Wahrheit erfa&#x017F;st<lb/>
werden. Die&#x017F;e Besorgni&#x017F;s mu&#x017F;s sich wohl sogar in<lb/>
die Ueberzeugung verwandeln, da&#x017F;s das ganze Begin-<lb/>
nen, dasjenige, was An-sich ist, durch das Erken-<lb/>
nen dem Bewu&#x017F;stseyn zu erwerben, in seinem Be-<lb/>
griffe widersinnig sey, und zwischen das Erkennen<lb/>
und das Absolute eine sie schlechthin scheidende<lb/>
Gräntze falle. Denn ist das Erkennen das Werk-<lb/>
zeug, sich des absoluten Wesens zu bemächtigen,<lb/>
so fällt sogleich auf, da&#x017F;s die Anwendung eines<lb/>
Werkzeugs auf eine Sache, sie vielmehr nicht lä&#x017F;st,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 2</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0112] Es ist eine natürliche Vorstellung, daſs, eh in der Philosophie an die Sache selbst, nemlich an das wirk- liche Erkennen dessen, was in Wahrheit ist, gegan- gen wird, es nothwendig ſey, vorher über das Er- kennen sich zu verständigen, das als das Werkzeug, wodurch man des Absoluten sich bemächtige, oder als das Mittel, durch welches hindurch man es er- blicke, betrachtet wird. Die Besorgniſs scheint ge- recht, theils daſs es verschiedene Arten der Erkennt- niſs geben, und darunter eine geschickter als eine an- dere zur Erreichung dieses Endzwecks seyn möchte, hiemit durch falsche Wahl unter ihnen, — theils auch daſs, indem das Erkennen ein Vermögen von bestimmter Art und Umfange iſt, ohne die genauere Bestimmung seiner Natur und Gräntze, Wolken des Irrthums statt des Himmels der Wahrheit erfaſst werden. Dieſe Besorgniſs muſs sich wohl sogar in die Ueberzeugung verwandeln, daſs das ganze Begin- nen, dasjenige, was An-sich ist, durch das Erken- nen dem Bewuſstseyn zu erwerben, in seinem Be- griffe widersinnig sey, und zwischen das Erkennen und das Absolute eine sie schlechthin scheidende Gräntze falle. Denn ist das Erkennen das Werk- zeug, sich des absoluten Wesens zu bemächtigen, so fällt sogleich auf, daſs die Anwendung eines Werkzeugs auf eine Sache, sie vielmehr nicht läſst, A 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/112
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/112>, abgerufen am 19.04.2024.