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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

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Die Eiche säuselte wie Sterbeseufzer,
Tiefschmerzlich sang die Nachtigall herab.
Doch rothe Lichter drangen durch die Blätter,
Umflimmerten Maria's weißes Antlitz,
Und lockten Gluth aus ihren starren Augen,
Und mit der alten, süßen Stimme sprach sie:
"Wie wußtest Du, daß ich so elend bin,
Ich las es jüngst in deinen wilden Liedern?"

Eiskalt durchzog's mir da die Brust, mir grauste
Ob meinem eig'nen Wahnsinn, der die Zukunft
Geschaut, es zuckte dunkel durch mein Hirn,
Und vor Entsetzen bin ich aufgewacht.

Die Eiche ſaͤuſelte wie Sterbeſeufzer,
Tiefſchmerzlich ſang die Nachtigall herab.
Doch rothe Lichter drangen durch die Blaͤtter,
Umflimmerten Maria's weißes Antlitz,
Und lockten Gluth aus ihren ſtarren Augen,
Und mit der alten, ſuͤßen Stimme ſprach ſie:
“Wie wußteſt Du, daß ich ſo elend bin,
Ich las es juͤngſt in deinen wilden Liedern?”

Eiskalt durchzog's mir da die Bruſt, mir grauſte
Ob meinem eig'nen Wahnſinn, der die Zukunft
Geſchaut, es zuckte dunkel durch mein Hirn,
Und vor Entſetzen bin ich aufgewacht.

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[91/0103] Die Eiche ſaͤuſelte wie Sterbeſeufzer, Tiefſchmerzlich ſang die Nachtigall herab. Doch rothe Lichter drangen durch die Blaͤtter, Umflimmerten Maria's weißes Antlitz, Und lockten Gluth aus ihren ſtarren Augen, Und mit der alten, ſuͤßen Stimme ſprach ſie: “Wie wußteſt Du, daß ich ſo elend bin, Ich las es juͤngſt in deinen wilden Liedern?” Eiskalt durchzog's mir da die Bruſt, mir grauſte Ob meinem eig'nen Wahnſinn, der die Zukunft Geſchaut, es zuckte dunkel durch mein Hirn, Und vor Entſetzen bin ich aufgewacht.

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/103>, abgerufen am 23.04.2024.