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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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will, was man ebenfalls einmal geträumt hat.
Ich betrachtete abwechselnd die Häuser und die
Menschen, und ich meinte fast, diese Häuser
hätte ich einst in ihren besseren Tagen gesehen,
als ihre hübschen Malereien noch farbig glänzten,
als die goldenen Zierrathen an den Fensterfriesen
noch nicht so geschwärzt waren, und als die
marmorne Madonna, die das Kind auf dem
Arme trägt, noch ihren wunderschönen Kopf auf¬
hatte, den jetzt die bilderstürmende Zeit so pöbel¬
haft abgebrochen. Auch die Gesichter der alten
Frauen schienen mir so bekannt, es kam mir vor,
als wären sie herausgeschnitten aus jenen alt¬
italienischen Gemälden, die ich einst als Knabe
in der Düsseldorfer Gallerie gesehen habe. Eben¬
falls die alten Männer schienen mir so längst
vergessen wohlbekannt, und sie schauten mich an
mit ernsten Augen, wie aus der Tiefe eines Jahr¬
tausends. Sogar die kecken jungen Mädchen
hatten so etwas jahrtausendlich Verstorbenes und

will, was man ebenfalls einmal getraͤumt hat.
Ich betrachtete abwechſelnd die Haͤuſer und die
Menſchen, und ich meinte faſt, dieſe Haͤuſer
haͤtte ich einſt in ihren beſſeren Tagen geſehen,
als ihre huͤbſchen Malereien noch farbig glaͤnzten,
als die goldenen Zierrathen an den Fenſterfrieſen
noch nicht ſo geſchwaͤrzt waren, und als die
marmorne Madonna, die das Kind auf dem
Arme traͤgt, noch ihren wunderſchoͤnen Kopf auf¬
hatte, den jetzt die bilderſtuͤrmende Zeit ſo poͤbel¬
haft abgebrochen. Auch die Geſichter der alten
Frauen ſchienen mir ſo bekannt, es kam mir vor,
als waͤren ſie herausgeſchnitten aus jenen alt¬
italieniſchen Gemaͤlden, die ich einſt als Knabe
in der Duͤſſeldorfer Gallerie geſehen habe. Eben¬
falls die alten Maͤnner ſchienen mir ſo laͤngſt
vergeſſen wohlbekannt, und ſie ſchauten mich an
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tauſends. Sogar die kecken jungen Maͤdchen
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[88/0096] will, was man ebenfalls einmal getraͤumt hat. Ich betrachtete abwechſelnd die Haͤuſer und die Menſchen, und ich meinte faſt, dieſe Haͤuſer haͤtte ich einſt in ihren beſſeren Tagen geſehen, als ihre huͤbſchen Malereien noch farbig glaͤnzten, als die goldenen Zierrathen an den Fenſterfrieſen noch nicht ſo geſchwaͤrzt waren, und als die marmorne Madonna, die das Kind auf dem Arme traͤgt, noch ihren wunderſchoͤnen Kopf auf¬ hatte, den jetzt die bilderſtuͤrmende Zeit ſo poͤbel¬ haft abgebrochen. Auch die Geſichter der alten Frauen ſchienen mir ſo bekannt, es kam mir vor, als waͤren ſie herausgeſchnitten aus jenen alt¬ italieniſchen Gemaͤlden, die ich einſt als Knabe in der Duͤſſeldorfer Gallerie geſehen habe. Eben¬ falls die alten Maͤnner ſchienen mir ſo laͤngſt vergeſſen wohlbekannt, und ſie ſchauten mich an mit ernſten Augen, wie aus der Tiefe eines Jahr¬ tauſends. Sogar die kecken jungen Maͤdchen hatten ſo etwas jahrtauſendlich Verſtorbenes und

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/96>, abgerufen am 24.04.2024.