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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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bassin. Aber die Statue ist verwittert und ver¬
stümmelt, das Wasser ausgetrocknet, und die
Möven nisten in den schwarzen Zypressen. Wie
ein Knabe, der immer seine Komödien im Kopf
hat, dachte ich bey dem Namen Doria gleich an
Friedrich Schiller, den edelsten, wenn auch nicht
größten Dichter der Deutschen.

Obgleich meistens im Verfall, sind die Palläste
der ehemaligen Machthaber von Genua, der
Nobili, dennoch sehr schön, und mit Pracht über¬
laden. Sie stehen meistens auf den zwey großen
Straßen, genannt Strada nuova und Balbi. Der
Pallast Durazzo ist der merkwürdigste. Hier sind gute
Bilder und darunter Paul Veronese's Christus,
dem Magdalena die gewaschenen Füße abtrocknet.
Diese ist so schön, daß man fürchten sollte, sie
werde gewiß noch einmal verführt werden. Ich
stand lange vor ihr-- ach, sie schaute nicht auf!
Christus steht da wie ein Religionshamlet: go

baſſin. Aber die Statue iſt verwittert und ver¬
ſtuͤmmelt, das Waſſer ausgetrocknet, und die
Moͤven niſten in den ſchwarzen Zypreſſen. Wie
ein Knabe, der immer ſeine Komoͤdien im Kopf
hat, dachte ich bey dem Namen Doria gleich an
Friedrich Schiller, den edelſten, wenn auch nicht
groͤßten Dichter der Deutſchen.

Obgleich meiſtens im Verfall, ſind die Pallaͤſte
der ehemaligen Machthaber von Genua, der
Nobili, dennoch ſehr ſchoͤn, und mit Pracht uͤber¬
laden. Sie ſtehen meiſtens auf den zwey großen
Straßen, genannt Strada nuova und Balbi. Der
Pallaſt Durazzo iſt der merkwuͤrdigſte. Hier ſind gute
Bilder und darunter Paul Veroneſe's Chriſtus,
dem Magdalena die gewaſchenen Fuͤße abtrocknet.
Dieſe iſt ſo ſchoͤn, daß man fuͤrchten ſollte, ſie
werde gewiß noch einmal verfuͤhrt werden. Ich
ſtand lange vor ihr— ach, ſie ſchaute nicht auf!
Chriſtus ſteht da wie ein Religionshamlet: go

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[203/0211] baſſin. Aber die Statue iſt verwittert und ver¬ ſtuͤmmelt, das Waſſer ausgetrocknet, und die Moͤven niſten in den ſchwarzen Zypreſſen. Wie ein Knabe, der immer ſeine Komoͤdien im Kopf hat, dachte ich bey dem Namen Doria gleich an Friedrich Schiller, den edelſten, wenn auch nicht groͤßten Dichter der Deutſchen. Obgleich meiſtens im Verfall, ſind die Pallaͤſte der ehemaligen Machthaber von Genua, der Nobili, dennoch ſehr ſchoͤn, und mit Pracht uͤber¬ laden. Sie ſtehen meiſtens auf den zwey großen Straßen, genannt Strada nuova und Balbi. Der Pallaſt Durazzo iſt der merkwuͤrdigſte. Hier ſind gute Bilder und darunter Paul Veroneſe's Chriſtus, dem Magdalena die gewaſchenen Fuͤße abtrocknet. Dieſe iſt ſo ſchoͤn, daß man fuͤrchten ſollte, ſie werde gewiß noch einmal verfuͤhrt werden. Ich ſtand lange vor ihr— ach, ſie ſchaute nicht auf! Chriſtus ſteht da wie ein Religionshamlet: go

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/211>, abgerufen am 23.04.2024.