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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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Sache etwas gefährlich wurde, und daher mit
den christlichen Gefühlen seines weichen Herzens
nicht mehr übereinstimmte. Seitdem aber die
Gefahr verschwunden, die Märtyrer für ihre
Gesinnung gelitten, fast alle sie von selbst auf¬
gegeben, und sogar unsere feurigsten Barbiere
ihre deutschen Röcke ausgezogen haben, seitdem
hat die Blüthezeit unseres vorsichtigen Vater¬
landsretters erst recht begonnen; er allein hat
noch das Demagogenkostüm und die dazu gehö¬
rigen Redensarten beybehalten; er preißt noch
immer Arminius den Cherusker und Frau Thus¬
nelda, als sey er ihr blonder Enkel; er bewahrt
noch immer seinen germanisch patriotischen Haß
gegen welsches Babelthum, gegen die Erfindung der
Seife, gegen Thiersch's heidnisch griechische Gram¬
matik, gegen Quinctilius Varus, gegen Handschuh
und gegen alle Menschen die eine anständige
Nase haben; -- und so steht er da, als wandelndes
Denkmal einer untergegangenen Zeit, und wie

Sache etwas gefaͤhrlich wurde, und daher mit
den chriſtlichen Gefuͤhlen ſeines weichen Herzens
nicht mehr uͤbereinſtimmte. Seitdem aber die
Gefahr verſchwunden, die Maͤrtyrer fuͤr ihre
Geſinnung gelitten, faſt alle ſie von ſelbſt auf¬
gegeben, und ſogar unſere feurigſten Barbiere
ihre deutſchen Roͤcke ausgezogen haben, ſeitdem
hat die Bluͤthezeit unſeres vorſichtigen Vater¬
landsretters erſt recht begonnen; er allein hat
noch das Demagogenkoſtuͤm und die dazu gehoͤ¬
rigen Redensarten beybehalten; er preißt noch
immer Arminius den Cherusker und Frau Thus¬
nelda, als ſey er ihr blonder Enkel; er bewahrt
noch immer ſeinen germaniſch patriotiſchen Haß
gegen welſches Babelthum, gegen die Erfindung der
Seife, gegen Thierſch's heidniſch griechiſche Gram¬
matik, gegen Quinctilius Varus, gegen Handſchuh
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Naſe haben; — und ſo ſteht er da, als wandelndes
Denkmal einer untergegangenen Zeit, und wie

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[29/0037] Sache etwas gefaͤhrlich wurde, und daher mit den chriſtlichen Gefuͤhlen ſeines weichen Herzens nicht mehr uͤbereinſtimmte. Seitdem aber die Gefahr verſchwunden, die Maͤrtyrer fuͤr ihre Geſinnung gelitten, faſt alle ſie von ſelbſt auf¬ gegeben, und ſogar unſere feurigſten Barbiere ihre deutſchen Roͤcke ausgezogen haben, ſeitdem hat die Bluͤthezeit unſeres vorſichtigen Vater¬ landsretters erſt recht begonnen; er allein hat noch das Demagogenkoſtuͤm und die dazu gehoͤ¬ rigen Redensarten beybehalten; er preißt noch immer Arminius den Cherusker und Frau Thus¬ nelda, als ſey er ihr blonder Enkel; er bewahrt noch immer ſeinen germaniſch patriotiſchen Haß gegen welſches Babelthum, gegen die Erfindung der Seife, gegen Thierſch's heidniſch griechiſche Gram¬ matik, gegen Quinctilius Varus, gegen Handſchuh und gegen alle Menſchen die eine anſtaͤndige Naſe haben; — und ſo ſteht er da, als wandelndes Denkmal einer untergegangenen Zeit, und wie

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/37>, abgerufen am 28.03.2024.