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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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bey nicht verweilen; indem wichtigere Untersuchungen
bevorstehn.


Viertes Capitel.
Von den vollkommenen Complicationen der
Vorstellungen.
§. 57.

Die Voraussetzungen, deren Folgen wir bisher auf-
gesucht haben, waren so einfach, dass die mannigfaltig
verwickelten Zustände des Bewusstseyns ihnen selten ge-
nau entsprechen können. Aber eben so hebt auch die
Statik der Körperwelt von Untersuchungen an, die auf die
Wirklichkeit nicht vollkommen passen. Der einfache He-
bel, ohne eigne Masse und Schwere, die Bewegung fallender
und geworfener Körper im luftleeren Raume, der Schwer-
punct von mathematischen Flächen und Curven, -- alles
dies sind Gedankendinge, die dennoch in der Wissen-
schaft den Vortritt haben vor den realen Gegenständen,
weil sich an jenen besser als an diesen die Elemente der
Wissenschaft nachweisen lassen. -- In der Psychologie
können wir bey dem Mangel oder doch der Schwierigkeit
bestimmter Beobachtungen weniger darauf ausgehn, ir-
gend ein wirkliches und individuelles geistiges Ereigniss
genau zu erkennen und zu erklären: als die einfachen
Gesetze einzusehen, deren höchst mannigfaltige Verflech-
tung die Wirklichkeit bestimmt. Doch es ist nicht nö-
thig, über das Voranstellen der abstractesten Voraus-
setzungen demjenigen ein Wort zu sagen, der von irgend
einem Theile der angewandten Mathematik auch nur
oberflächliche Kenntniss hat. --

Das grosse Princip, welches minder offenbar schon die
bisherigen Untersuchungen leitete, und immer klärer die

bey nicht verweilen; indem wichtigere Untersuchungen
bevorstehn.


Viertes Capitel.
Von den vollkommenen Complicationen der
Vorstellungen.
§. 57.

Die Voraussetzungen, deren Folgen wir bisher auf-
gesucht haben, waren so einfach, daſs die mannigfaltig
verwickelten Zustände des Bewuſstseyns ihnen selten ge-
nau entsprechen können. Aber eben so hebt auch die
Statik der Körperwelt von Untersuchungen an, die auf die
Wirklichkeit nicht vollkommen passen. Der einfache He-
bel, ohne eigne Masse und Schwere, die Bewegung fallender
und geworfener Körper im luftleeren Raume, der Schwer-
punct von mathematischen Flächen und Curven, — alles
dies sind Gedankendinge, die dennoch in der Wissen-
schaft den Vortritt haben vor den realen Gegenständen,
weil sich an jenen besser als an diesen die Elemente der
Wissenschaft nachweisen lassen. — In der Psychologie
können wir bey dem Mangel oder doch der Schwierigkeit
bestimmter Beobachtungen weniger darauf ausgehn, ir-
gend ein wirkliches und individuelles geistiges Ereigniſs
genau zu erkennen und zu erklären: als die einfachen
Gesetze einzusehen, deren höchst mannigfaltige Verflech-
tung die Wirklichkeit bestimmt. Doch es ist nicht nö-
thig, über das Voranstellen der abstractesten Voraus-
setzungen demjenigen ein Wort zu sagen, der von irgend
einem Theile der angewandten Mathematik auch nur
oberflächliche Kenntniſs hat. —

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[197/0217] bey nicht verweilen; indem wichtigere Untersuchungen bevorstehn. Viertes Capitel. Von den vollkommenen Complicationen der Vorstellungen. §. 57. Die Voraussetzungen, deren Folgen wir bisher auf- gesucht haben, waren so einfach, daſs die mannigfaltig verwickelten Zustände des Bewuſstseyns ihnen selten ge- nau entsprechen können. Aber eben so hebt auch die Statik der Körperwelt von Untersuchungen an, die auf die Wirklichkeit nicht vollkommen passen. Der einfache He- bel, ohne eigne Masse und Schwere, die Bewegung fallender und geworfener Körper im luftleeren Raume, der Schwer- punct von mathematischen Flächen und Curven, — alles dies sind Gedankendinge, die dennoch in der Wissen- schaft den Vortritt haben vor den realen Gegenständen, weil sich an jenen besser als an diesen die Elemente der Wissenschaft nachweisen lassen. — In der Psychologie können wir bey dem Mangel oder doch der Schwierigkeit bestimmter Beobachtungen weniger darauf ausgehn, ir- gend ein wirkliches und individuelles geistiges Ereigniſs genau zu erkennen und zu erklären: als die einfachen Gesetze einzusehen, deren höchst mannigfaltige Verflech- tung die Wirklichkeit bestimmt. Doch es ist nicht nö- thig, über das Voranstellen der abstractesten Voraus- setzungen demjenigen ein Wort zu sagen, der von irgend einem Theile der angewandten Mathematik auch nur oberflächliche Kenntniſs hat. — Das groſse Princip, welches minder offenbar schon die bisherigen Untersuchungen leitete, und immer klärer die

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/217>, abgerufen am 19.03.2024.