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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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Sechstes Capitel.
Von den Verschmelzungen.
§. 67.

Die ersten Vorbegriffe von den Verschmelzungen der
Vorstellungen finden sich im Anfange des vierten Capi-
tels. Die Vereinigung solcher Vorstellungen, die zu ei-
nerley Continuum gehören (wie roth und blau, welches
beydes Farben sind, -- oder wie ein paar Töne, od. dgl.),
soll Verschmelzung heissen. Sie führt einen besondern
Namen, weil der Grad der Verbindung hier nicht, wie
bey den Complicationen ungleichartiger Vorstellungen
(wie Ton und Farbe), bloss von zufälligen Umständen
abhängt, sondern durch den Hemmungsgrad der verschmel-
zenden Vorstellungen selbst, beschränkt wird. Während
nun diese Art der Vereinigung verschiedener Vorstellun-
gen zu einer Gesammtkraft, niemals vollständiger werden
kann, als der Hemmungsgrad derselben es gestattet:
können recht füglich noch zufällige Hemmungen dazu
kommen, um derentwillen die Vereinigung noch geringer
wird. Allein solche Nebenumstände setzen wir hier bey
Seite.

Es ist aber nöthig, zweyerley Verschmelzung zu un-
terscheiden, eine nach der Hemmung, eine andre vor
der Hemmung *).

Zuvörderst nämlich ist klar, dass wegen der Einheit
der Seele, Alles, was sich nicht widerstrebt, ein intensi-
ves Eins werden muss; daher die Verschmelzung nach
der Hemmung. Diejenigen entgegengesetzten Vorstellun-
gen, deren Hemmung geschehn ist, verschmelzen gerade
so weit, als sie sich nun nicht mehr hemmen. Die Reste
bilden eine Totalkraft, ähnlich jener bey den unvollkom-
menen Complicationen; jedoch mit dem Unterschiede,

*) Beydes ist eigentlich Verschmelzung während der Hemmung;
allein die obige Unterscheidung befördert die Fasslichkeit.
Sechstes Capitel.
Von den Verschmelzungen.
§. 67.

Die ersten Vorbegriffe von den Verschmelzungen der
Vorstellungen finden sich im Anfange des vierten Capi-
tels. Die Vereinigung solcher Vorstellungen, die zu ei-
nerley Continuum gehören (wie roth und blau, welches
beydes Farben sind, — oder wie ein paar Töne, od. dgl.),
soll Verschmelzung heiſsen. Sie führt einen besondern
Namen, weil der Grad der Verbindung hier nicht, wie
bey den Complicationen ungleichartiger Vorstellungen
(wie Ton und Farbe), bloſs von zufälligen Umständen
abhängt, sondern durch den Hemmungsgrad der verschmel-
zenden Vorstellungen selbst, beschränkt wird. Während
nun diese Art der Vereinigung verschiedener Vorstellun-
gen zu einer Gesammtkraft, niemals vollständiger werden
kann, als der Hemmungsgrad derselben es gestattet:
können recht füglich noch zufällige Hemmungen dazu
kommen, um derentwillen die Vereinigung noch geringer
wird. Allein solche Nebenumstände setzen wir hier bey
Seite.

Es ist aber nöthig, zweyerley Verschmelzung zu un-
terscheiden, eine nach der Hemmung, eine andre vor
der Hemmung *).

Zuvörderst nämlich ist klar, daſs wegen der Einheit
der Seele, Alles, was sich nicht widerstrebt, ein intensi-
ves Eins werden muſs; daher die Verschmelzung nach
der Hemmung. Diejenigen entgegengesetzten Vorstellun-
gen, deren Hemmung geschehn ist, verschmelzen gerade
so weit, als sie sich nun nicht mehr hemmen. Die Reste
bilden eine Totalkraft, ähnlich jener bey den unvollkom-
menen Complicationen; jedoch mit dem Unterschiede,

*) Beydes ist eigentlich Verschmelzung während der Hemmung;
allein die obige Unterscheidung befördert die Faſslichkeit.
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[222/0242] Sechstes Capitel. Von den Verschmelzungen. §. 67. Die ersten Vorbegriffe von den Verschmelzungen der Vorstellungen finden sich im Anfange des vierten Capi- tels. Die Vereinigung solcher Vorstellungen, die zu ei- nerley Continuum gehören (wie roth und blau, welches beydes Farben sind, — oder wie ein paar Töne, od. dgl.), soll Verschmelzung heiſsen. Sie führt einen besondern Namen, weil der Grad der Verbindung hier nicht, wie bey den Complicationen ungleichartiger Vorstellungen (wie Ton und Farbe), bloſs von zufälligen Umständen abhängt, sondern durch den Hemmungsgrad der verschmel- zenden Vorstellungen selbst, beschränkt wird. Während nun diese Art der Vereinigung verschiedener Vorstellun- gen zu einer Gesammtkraft, niemals vollständiger werden kann, als der Hemmungsgrad derselben es gestattet: können recht füglich noch zufällige Hemmungen dazu kommen, um derentwillen die Vereinigung noch geringer wird. Allein solche Nebenumstände setzen wir hier bey Seite. Es ist aber nöthig, zweyerley Verschmelzung zu un- terscheiden, eine nach der Hemmung, eine andre vor der Hemmung *). Zuvörderst nämlich ist klar, daſs wegen der Einheit der Seele, Alles, was sich nicht widerstrebt, ein intensi- ves Eins werden muſs; daher die Verschmelzung nach der Hemmung. Diejenigen entgegengesetzten Vorstellun- gen, deren Hemmung geschehn ist, verschmelzen gerade so weit, als sie sich nun nicht mehr hemmen. Die Reste bilden eine Totalkraft, ähnlich jener bey den unvollkom- menen Complicationen; jedoch mit dem Unterschiede, *) Beydes ist eigentlich Verschmelzung während der Hemmung; allein die obige Unterscheidung befördert die Faſslichkeit.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/242>, abgerufen am 19.03.2024.